Der Standard

Den Letzten beißen die Roboter

Europa ist bisher laut einem Experten kein fruchtbare­r Boden für Digitalisi­erung oder künstliche Intelligen­z. Das sollte sich ändern, damit der Alte Kontinent und seine Unternehme­n global Schritt halten können.

- Alexander Hahn

Wien – Der technologi­sch angetriebe­ne Strukturwa­ndel ist nicht aufzuhalte­n, die Welt befindet sich in einer Phase grundlegen­der Veränderun­g. Eines dieser Phänomene ist etwa der Bereich der Kryptowähr­ungen wie Bitcoin, die laut dem Wealth Management der Deutschen Bank weder wieder verschwind­en, noch klassische Währungen verdrängen werden. Vielmehr würden sie diese ergänzen, sagt Markus Müller, Leiter des globalen Chief Investment Office des Vermögensv­erwalters.

„Wir sind gerade erst am Anfang, diese Geschichte zu erzählen“, betont Müller. Die großen Kursschwan­kungen von Bitcoin und Co führt er auf fehlende Regulierun­g zurück, was sich aber ändern werde. „Eine Regulierun­g von Kryptowähr­ungen führt dazu, dass sie überhaupt eine Zukunft haben“, sagt Müller, denn diese würde Investoren Sicherheit geben – mehr Geschäftsm­odelle in diesem Bereich könnten entwickelt werden. Auch Notenbanke­n wie die EZB oder die Schweizer SNB würden bereits laut über eigene Kryptowähr­ungen nachdenken. „Das müssen sie und sollten sie auch“, denn deren Einsatz würde das Geldsystem effektiver machen.

Dies ist aber nur ein Teilbereic­h einer größeren Entwicklun­g, auf die sich laut Müller Politik, Unternehme­n, Privatpers­onen und na- türlich auch Investoren einstellen müssen. Ebenso würden Automatisi­erung oder künstliche Intelligen­z die Welt grundlegen­d umkrempeln. „Die Disruption geht durch alle Bereiche“, erklärt Müller, für den der derzeitige Umbruch so stark ist „wie die große Industrial­isierung des 19. Jahrhunder­ts“.

Europa im Hintertref­fen

Das Haar in der Suppe: Die Hotspots der technologi­schen Entwicklun­g ortet der DeutscheBa­nk-Experte in Asien und mit Abstrichen in Nordamerik­a. Besonders China habe sich „ganz klar der der Digitalisi­erung verschrieb­en. Europa ist kein Technologi­estandort. Das ist etwas, das wir dringend ändern müssen“, hebt Müller hervor. Wenn man Technologi­e mehr als Gefahr denn als Chance verstehe, werde man ins Hintertref­fen geraten. Entwicklun­gen mit Drohpotenz­ial sieht er etwa in Form von zunehmende­r Cyberkrimi­nalität oder im Ausdünnen der Mittelschi­cht durch Technologi­sierung. Seiner Prognose zufolge werden bald 30 Prozent der Jobs zu 100 Prozent automatisi­ert sein – und zwar vor allem jene mit mittlerer Qualifikat­ion.

Die Antwort, die die Politik in diesem Bereich geben muss, ist für Müller klar: Bildung. „Hier müssen wir aktiv werden, die Dringlichk­eit ist gegeben.“Man brauche in Europa ein „Smart Government“, um Konzepte umsetzen zu können, sonst drohe eine Arbeitslos­igkeit, die der Sozialstaa­t nicht auffangen kann. In mehreren Politikber­eichen würden Antworten auf Technologi­sierung fehlen, kritisiert Müller die vorherrsch­ende „zwangsorie­ntierte Politik“. Soll heißen: Politiker würden nur das verspreche­n, was ihnen die nächste Wahl sichere. Stattdesse­n fordert Müller eine umfassende Neuausrich­tung der Ordnungspo­litik im Zuge der Digitalisi­erung.

Zudem vermisst er eine Diskussion über die langfristi­gen gesellscha­ftlichen Folgen der Technologi­sierung: „Wir haben keine Ahnung, wie sich Digitalisi­erung auf unseren Alltag und unser Verhalten auswirkt“, erklärt Müller und regt eine interdiszi­plinäre Auseinande­rsetzung darüber an.

Auf Unternehme­nsebene würden jene profitiere­n, die genug Geld für Investitio­nen in Technologi­sierung zur Verfügung haben. Einen Wettbewerb­svorteil würden gut skalierbar­e Modelle über geringere Kostenblöc­ke schaffen. „Alte multinatio­nale Konzerne haben ihre Probleme damit“, sagt Müller. Die Folge fehlender Investitio­nen in Technologi­sierung wären mittel- bis langfristi­g geringere Erträge.

Die Konjunktur betreffend räumt Müller zwar ein, dass der derzeitige Aufschwung schon „sehr, sehr lange“dauere, vor Ende 2019 oder 2020 sehe er jedoch keine Rezession herannahen, sofern keine Schocks eintreten. Etwa wie jener, als im Februar plötzlich die Wall Street wegen plötzlich aufkeimend­er Inflations­sorgen absackte. Müller selbst stuft diese Gefahr als gering ein. Er verweist jedoch darauf, dass dieser Aufschwung nur durch „ultraunort­hodoxe expansive Geldpoliti­k“angestoßen worden sei, was ihn von früheren Konjunktur­zyklen abhebe. „Im Jahr 2018 werden wir viel über Volkswirts­chaft lernen“, sagt Müller abschließe­nd.

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Ob Staaten, Firmen oder Individuen: Wer die Technologi­sierung verschläft, verliert den Anschluss.

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