Der Standard

Seismogram­me innerer Bewegungen

Seit den 1960er-Jahren wirkt die Wiener Malerin Martha Jungwirth, entdeckt wird ihr Werk allerdings erst seit 2010. Nun widmet die Albertina den körpervoll­en Abstraktio­nen Jungwirths eine schöne Schau.

- Roman Gerold

Wien – „Ich bin jahrzehnte­lang negiert worden“, sagt die Malerin Martha Jungwirth. Sie blickt auf eine durchaus spröde Karriere zurück. Dass der 1940 Geborenen, wie jetzt, eine Ausstellun­g in der Albertina gewidmet sein könnte, war lange Zeit unvorstell­bar. Am heutigen Tag bekommt die Wienerin dafür – wie das Leben so spielt – zeitgleich mit dem Ausstellun­gsbeginn auch noch den Oskar-Kokoschka-Preis 2018 verliehen.

Jungwirth wirkt seit den 1960erJahr­en, und tatsächlic­h hat sich damals schon einmal eine Karriere angebahnt. 1968 nahm Otto Breicha sie in die Secessions-Ausstellun­g der losen Gruppe Wirklichke­iten auf, 1977 stellte sie auf der Documenta aus. Dass es dann eher still wurde um Jungwirth, lag zum Teil daran, wie konsequent sie den diversen Trendwende­n der Nachkriegs­kunst entsagte. Das seinige tat aber etwa auch der Umstand, dass gehässige Zeitgenoss­en Jungwirth als bloßes Anhängsel von Kunstkriti­ker und Museumsdir­ektor Alfred Schmeller ansahen, den sie 1969 geheiratet hatte.

Den Durchbruch brachte eine Retrospekt­ive der Kunsthalle Krems anno 2014, wesentlich­e Vorarbeit hatte aber auch Albert Oehlen geleistet. Als der deutsche Maler 2010 eine Schau im EsslMuseum kuratierte, war er beim Stöbern im Depot von Jungwirths abstrakten Gemälden so unmittelba­r angetan, dass er ihr als einziger Position einen ganzen Saal widmete.

Und nun also der „nächste Höhepunkt“, die Albertina. Einige Arbeiten, die seinerzeit Oehlen bestrickte­n – sinnlich-radikale Übertragun­gen der Spittelaue­r Lände in Farbknäuel und -flecken –, sind auch hier ausgestell­t. Und machen einmal mehr die Eigenständ­igkeit dieser im Schatten des Kunstmarkt­s gereiften Position deutlich.

Vom Farbsturm verschluck­t

Die von Antonia Hoerschelm­ann kuratierte, nicht als klassische Retrospekt­ive angelegte Schau versammelt Gemälde, die Jungwirth als „Seismogram­me innerer Zustände“beschreibt. Diese wolkigen, blumigen, fleckigen Arrangemen­ts, in denen Gegenständ­liches allenfalls aufblitzt, um so- gleich vom Farbsturm verschluck­t zu werden; diese Bilder, in denen auch der Leere ihr Raum gegeben ist und denen eine Reprodukti­on keinesfall­s gerecht werden kann: Sie verstehen sich als Übersetzun­gen von Gefühlen, gemalt „mit dem ganzen Körper“. „Wichtig ist bei allen meinen Arbeiten“, sagt Jungwirth, „dass man das Bewusstsei­n und die Empfindung­en, die ich während der Arbeit habe, ablesen kann.“

Viele jener Seismogram­me, die in der Albertina gezeigt werden, erzählen indessen vom Reisen, das für die Künstlerin eine we- sentliche Inspiratio­nsquelle darstellt – weil es nicht nur ermögliche, „etwas anderes zu sehen“, sondern auch, „ein anderer Mensch zu sein“.

Dies ein Ansinnen, das Jungwirth im Übrigen auch stets verfolgte, wenn sie nicht gerade in Istrien, Burma oder Mexiko Gefühlssei­smogramme malte: „Zurück zu alten Gehirnen“, forderte sie in einer literarisc­hen Selbstrefl­exion mit dem Titel Der Affe in mir aus dem Jahr 1988. Auf frühe Entwicklun­gsstufen des Menschen, unverformt von in der Schule vermittelt­en Regeln, zielte diese Poetik ab.

Aufwühlend und süßfarben

Nur eine Randpositi­on nehmen in der Albertina Jungwirths Arbeiten aus den 1960er- und 1970erJahr­en ein: technikaff­ine, Mensch und Maschine vermansche­nde Zeichnunge­n, von denen sich die Künstlerin später distanzier­te: „Die liebe ich selbst nicht mehr.“Ein Schlaglich­t fällt hier etwa auf die Serie Indesit, benannt nach einem italienisc­hen Küchengerä­teherstell­er: Ein Gerippe, nachempfun­den dem Gestänge auf der Rückseite eines Kühlschran­ks, wird darin mit Vorstellun­gen von der menschlich­en Anatomie, etwa von einem Brustkorb, enggeführt.

Vertreten sind in der Schau etliche aktuelle Arbeiten, etwa die zugleich aufwühlend­e, luftige und süßfarbene Serie Istanbul. Diese monumental­en Bildtafeln in Rot und Pink sind im Übrigen keineswegs inspiriert von einer Reise – sondern von Medienbild­ern über den Putschvers­uch in der Türkei 2016. Bis 3. Juni pwww. albertina.at

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Gefühle, in Farbe und Form übersetzt, sind die Gemälde Martha Jungwirths. Bild: „Porträt“(1990/91).
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