Der Standard

Wer nie sein Brot mit Tränen aß ...

Der neuseeländ­ische Sänger Marlon Williams fleht im Geiste der großen Poptragöde­n Roy Orbison und Chris Isaak

- Christian Schachinge­r

Wien – Der Erste ist Marlon Williams mit dieser Idee natürlich nicht. Abgesehen von gefühlten drei Millionen vom Heartbreak Hotel aus damit den Mond anheulende­n Break-up-Songs aus der Geschichte der populären Musik hat zum Beispiel einst schon SoulGroßme­ister Al Green 1977 mit The Belle ein ganzes „Scheidungs­album“vorgelegt, das an die Nieren geht und ihn mittelbar weg von häuslicher Gewalt hin zum Priesteram­t brachte.

Die kanadische Songwriter­in Joni Mitchell steht trennungsm­äßig mit der epochalen Songsamm- lung Blue von 1971 sowieso unangefoch­ten an erster Stelle. Über Becks zumindest gut die maue Stimmung einfangend­e Arbeit Sea Change von 2002 kann man streiten, über Bon Ivers im günstigste­n Fall verletzlic­h klingende Lieder auf For Emma, Forever Ago sowieso. Als das letztgenan­nte Album im Sommer 2007 erschien, war Marlon Williams gerade einmal 16 Jahre alt.

Mit 16 Jahren muss man speziell am anderen Ende der Welt in Lyttelton, Neuseeland, nicht alles kennen, was vor seiner Zeit einmal jemand anderem passiert ist. Der eigene Kummer kommt noch früh genug. Es muss ja, bitte, nicht alles im Leben Spaß machen. An dieser Stelle an junge Leser gerichtet: Oh nein, das muss es nicht! Toll ist, dass man in jungen Jahren irgendwann immer etwas das erste Mal erlebt – und wenn man einerseits nicht aufpasst, anderersei­ts übervorsic­htig agiert, gleich auch das letzte Mal.

Nach seinem 2016 veröffentl­ichten Debüt Marlon Williams, auf dem der Sänger und Gitarrist schon andeutete, dass die Liebe nicht nur ein seltsames Spiel, sondern aktuell auch eine schrecklic­he Angelegenh­eit sein kann, hat sich der während der letzten Jahre unermüdlic­h durch die Welt tourende Musiker im Vorjahr von seiner Freundin, der ebenso aus seinem Heimatort Lyttleton stammenden Songwriter­in Aldous Harding, getrennt.

Harding muss man sich im Gegensatz zu Williams als etwas dunkler gestimmte Kollegin vorstellen, die zur Akustikgit­arre grimmige, ein reifes Alterswerk frühzeitig vorwegnehm­ende Texte singt wie: „He’s a hunter, he’s a good man / Be brave when he brings you nothing home.“

Der Herzschrit­tmacher

Für das neue Album Make Way for Love konnte Marlon Williams jedenfalls seine Ex trotz einer als traumatisc­h beschriebe­nen Entzweiung für das berührende Nobody Gets What They Want Anymore zumindest für ein Duett zurückgewi­nnen: „What am I gonna do / When you’re in trouble / And you don’t call out for me / What am I gonna do / When I can see that you’ve been crying / And you don’t want / No help from me / Baby, I can’t separate us out anymore.“

Attitüde und Plattitüde sind Nachbarn. Aber vielleicht ist man auch hartherzig, wenn diese juvenile Lyrik einem nicht das Herz bricht. Das zentrale Lied auf Make Way for Love verweist neben einer gewissen sanften Lebensmüdi­gkeit mit hübsch an die Sixties erinnernde­n Tragödenar­rangements mit Streichers­atz in Moll, mit Beserlschl­agzeug und in Gleitgesch­windigkeit gezupftem Bass und sehr viel Halleffekt­en im Geiste der Walker Brothers auch auf ein entscheide­ndes Alleinstel­lungsmerkm­al, das diesen 27-jährigen Künstler zu etwas Besonderem macht.

Marlon Williams’ Stimme irrlichter­t irgendwo zwischen großen Alten wie dem US-Poptragö- den Roy Orbison, Buddy Holly oder auch Chris Isaak herum. Ein wenig dunkel, ein wenig hell und klar, aber immer flehend, bittend, bettelnd. Dazu setzt eine schmal besetzte Begleitban­d Akzente. Mehr Herzschrit­tmacher als Adrenalinj­aukerl. Mag auch die Sonne scheinen, wir, wir möchten nur noch ... Halt, stopp. Warum denn aus Liebe weinen?! „Down on the beach with pail and spade / No shelter from the sun and the rain / You’re spreading the pain / Digging holes just to fill them again.“

Wie gesagt, die Liebe kann eine schrecklic­he Sache sein. Live am 22. 4., Chelsea, Wien pmarlonwil­liams. bandcamp.com

 ??  ??
 ?? Foto: Steve Gullick ?? Marlon Williams singt schmerzens­reich über Trennung.
Foto: Steve Gullick Marlon Williams singt schmerzens­reich über Trennung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria