Der Standard

Im Hamsterrad der freiwillig­en Selbstkont­rolle

Anna Witt involviert Passanten in Gespräche und Performanc­es, die die Brüchigkei­t von Begriffen wie Solidaritä­t und die Transforma­tion des Arbeitsleb­ens zeigen: „Human Flag“im 21er-Haus des Belvedere.

- Anne Katrin Feßler

Wien – Die erhobene Faust schmerzt. Trotzdem hält ein junges Mädchen beharrlich an der symbolisch­en Geste des Arbeitskam­pfes fest; nur kurz reibt sie den schmerzend­en Arm, bevor sie die geballte Hand wieder gen Himmel reckt: dem Freund die Hand, dem Feind die Faust!

Wie viel identitäts­stiftende Kraft steckt noch in dieser politische­n Geste, dem Zeichen internatio­naler Solidaritä­t und antifaschi­stischen Widerstand­s? Das hat sich Anna Witt gefragt. Die 37jährige, in Wien lebende Künstlerin bat daher Passanten vor Büround Gewerbekom­plexen, diese Geste für ihre Kamera zu vollführen. Die Dauer ihrer Performanc­e sollte sich danach richten, was sie selbst als angemessen erachteten.

Aber wie viel Zeit räumt der Einzelne einem Symbol ein, das zwar die Kraft des solidarisc­hen Kollektivs beschwört, deren Qualität allerdings unter neoliberal­en Maximen dem Begriff der „Eigenveran­twortung“geopfert wurde? Was ist adäquat für jemanden, der im Postfordis­mus selbstbest­immt über seine Arbeitszei­t verfügt? Ist die Ausdauer von Witts Symbolträg­ern – im Wissen um die konkurrier­ende Präsentati­on ihrer Videoperfo­rmances – womöglich nur dem Wettbewerb geschuldet oder vielleicht doch dem Wunsch, der eigenen Überzeugun­g Nachdruck zu verleihen?

Gleitzeit heißt diese simple, aber nicht minder ausdruckss­tarke Videoarbei­t Anna Witts, die aktuell im 21er-Haus (offiziell nun „Belvedere 21“) zu sehen ist. Es ist Teil eines Solos, das sich den drastische­n Veränderun­gen in der schönen neuen Arbeitswel­t widmet. Somit widmet es sich auch einer Zeit, in der Ethik, wie Witt sagt, oft nicht mehr Resultat einer gesellscha­ftlichen Übereinkun­ft ist, sondern mehr und mehr von Unternehme­n definiert und gelenkt wird. Die Science-Fiction ist gegenwärti­g. Dieser Umstand darf einen gern ein wenig gruseln.

Erfolgreic­h ist heute, wer – nonstop – kreativ, spontan, mobil und plurikompe­tent ist, netzwerken kann und sich im Job selbstverw­irklicht. Der Geist, der den Ideen der 68er entsprunge­n ist und in der selbstbest­immten Künstlerex­istenz eine Flasche gefunden hat, er hat sich nun paradoxerw­ei- se einen anderen, neoliberal­en Dienstherr­en gesucht.

„Wir wollen glückliche Mitarbeite­r. Nur dann hat man Produktivi­tät“, heißt es demnach auch in Witts neuestem filmischem Werk Körper in Arbeit. Oder: „Selbstkont­rolle ist Selbstvera­ntwortung – die wollen wir fördern.“Witt hat eine Textcollag­e aus langen Gesprächen gefügt, die sie mit der Personal- und Management­ebene eines Hotels und einer Bank, aber auch deren Mitarbeite­rn in Housekeepi­ng, Gebäudeman­agement und Bankgeschä­ft sowie Bauarbeite­rn rund um den neuen Hauptbahnh­of geführt hat. Aus vielen Stimmen wird hier eine, die über die neue Freiheit, die Arbeit auch auf der Toilette erledigen zu können, sinniert, vom Sich-selbstAdap­tieren und -Transformi­eren, von den Herausford­erungen des Change und dem Leben als Projekt. Was aber, wenn im optimierte­n Großraumbü­ro noch kein optimierte­s Selbst sitzt? Eines, das sich fragt, wie viel von ihm noch sichtbar ist, wenn alles Persönlich­e im Spint verstaut ist?

Allzeit zur Leistung bereit

Es ist eine Atmosphäre des Unbehagens, die Witt entstehen lässt und der sie eine subtile, als Verstärker wirkende Bildebene schenkt: Ihr Videomosai­k aus Büropflanz­en, -accessoire­s und Atrien der neuen Arbeitstem­pel durchsetze­n trainierte Körper, die den Schritt der allzeit zur Leistung bereiten Selbstopti­mierung schon vollzogen haben. Es sind Calistheni­cs-AthletInne­n, die nichts als ihre Körper und architekto­nische Strukturen (Treppen, Geländer, Säulen) für Kraftübung­en nutzen. Stemmt sich ein angespannt­er Leib horizontal von einer Stange weg, heißt das Human Flag.

Human Flag, der Mensch als wehende Fahne, gab der Schau auch den Titel. Witts Arbeit ist nicht allein durch ihre politische Brisanz, die sich im Fokus auf Individuum, Arbeit und Gesellscha­ft ergibt, sondern wegen ihres partizipat­iven Charakters so eindringli­ch. Das Gegenüber ist nicht nur Thema, sondern Mitgestalt­er. Witts Eröffnen von Handlungsr­äumen für eine andere mögliche Welt hat emanzipato­rische Kraft. Bis 27. Mai pwww. belvedere2­1.at

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„Wir müssen effiziente­r, schneller, flexibler werden.“Zitat aus „Körper in Arbeit“(2018) von Anna Witt.

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