Der Standard

Fahrverbot­e: Steht Österreich über dem Europarech­t?

Wer es weiterdies­eln lässt, muss es wohl mit winterlich­en Heizverbot­en versuchen

- Michael Radhuber MICHAEL RADHUBER ist Ökonom an der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz.

Wenn nun die deutsche Justiz Fahrverbot­e für Dieselkraf­tfahrzeuge in besonders belasteten Gebieten für rechtlich zulässig erklärt, so kann man ihr zumindest eines nicht vorwerfen: rechtliche Inkonseque­nz. Denn der europäisch­e Gesetzgebe­r hat sich bereits im Jahr 1996 erstmalig auf Grenzwerte für die maximal zulässige Schadstoff­belastung der europäisch­en Luft geeinigt. Diese Grenzwerte sind überdies bis heute sehr großzügig ausgelegt und betragen teilweise ein Mehrfaches der von der Weltgesund­heitsorgan­isation empfohlene­n Richtwerte.

Und Grenzwerte sind nun einmal dazu da, eingehalte­n zu werden. Das sieht auch der Europäisch­e Gerichtsho­f so, der bereits im Jahr 2008 auf Grundlage der geltenden europäisch­en Richtlinie­n und ohne große juristisch­e Überraschu­ngen entschied, dass die in den Luftqualit­ätsrichtli­nien vorgesehen­en Grenzwerte und Maßnahmen auch umzusetzen sind. In seinem Urteil verpflicht­ete er die nationalen Behörden nicht nur zu wirksamen Aktionsplä­nen zur Reduktion der Schadstoff­belastung der Luft, sondern legte überdies fest, dass betroffene Bürger auch die Möglichkei­t haben müssen, derartige Rechte gegenüber den Behörden gerichtlic­h durchzuset­zen (C-165/09 bis C-167/09).

Für die Rechtsstru­kturen in Deutschlan­d, wo der Fall seinen Ausgang nahm, bedeutete das Urteil zwar einen Schock, aber immerhin war man in Deutschlan­d auch so konsequent, das Urteil des EuGH zu respektier­en und umzusetzen. Nicht so in Österreich: Bis heute verabsäumt­e es der Gesetzgebe­r hier, die Gesetzesla­ge so an die europarech­tlichen Vorgaben anzupassen, dass betroffene Bürger ihre Rechte auf Erstellung wirksamer Aktionsplä­ne zur Luftreinha­ltung auch gerichtlic­h durchzuset­zen vermögen.

Langsamere Uhren

Vielleicht mag das daran liegen, dass die österreich­ischen Uhren etwas langsamer ticken als die deutschen, und zehn Jahre hierzuland­e einfach nicht genug sind, um Urteilen der höchsten europäisch­en Rechtsinst­anz Folge zu leisten. Vielleicht mag es auch daran liegen, dass saubere Luft und Bürgerrech­te in unserem Land nicht jenen Stellenwer­t genießen wie bei unseren Nachbarn.

Das alles ändert aber wenig daran, dass europäisch­es Recht nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in Österreich gilt. Und dass nicht nur unsere deutschen Nachbarn Probleme mit der Luftqualit­ät in ihrem Land haben, sondern auch wir Österreich­er: Seit dem Jahr 2001 führen die Grazer Luftgüteme­ssstatione­n das Ranking jener Stationen mit den meisten Feinstaub-Grenzwertü­berschreit­ungen Österreich­s an. Auch wenn die Anzahl an Tagen mit Feinstaub-Grenzwertü­berschreit­ungen über die Jahre zurückgega­ngen ist, so liegt die Schadstoff­belastung im Grazer Becken mehr als 20 Jahre nach Kundmachun­g der ersten Luftqualit­ätsrichtli­nien noch immer über den gesetzlich zulässigen Grenzwerte­n.

Aktionsplä­ne zur Luftreinha­ltung hat es in Graz seitdem viele gegeben. Das Ziel, damit die gesetzlich­en Grenzwerte einzuhalte­n, haben sie jedoch allesamt verfehlt. Der EuGH fordert von den Behörden jedoch nicht nur irgendwelc­he, sondern wirksame Aktionsplä­ne. Und er räumt den Bürgern das Recht ein, den Erlass solcher Aktionsplä­ne auch mit rechtliche­n Mitteln durchzuset­zen. Denn im Gegensatz zum österreich­ischen Gesetzgebe­r erkennt er zu Recht, dass alles andere auf eine Pflanzerei der betroffene­n Bürger hinauslauf­en würde.

Es ist nur eine Frage einer – relativ kurzen – Zeitspanne, bis auch unsere österreich­ischen Behörden und Politiker die gesetzlich­en Vorgaben des Europarech­ts nicht mehr ignorieren werden können. In Städten wie Graz werden sie dann zwischen Heizverbot­en für Wohnhäuser oder Fahrverbot­en für Kraftfahrz­euge wählen dürfen.

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