Der Standard

„Geh zurück in den Keller!“– Kampusch und der Hass im Netz

Das Entführung­sopfer wird seit Jahren online beschimpft, zuletzt erst vor wenigen Wochen

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Wien – Natascha Kampusch hält nichts von einer berittenen Polizei. Wie tausende andere Österreich­er nutzt sie Twitter, um ihre Meinung zu politische­n Geschehnis­sen zu äußern. Doch im Gegensatz zu den anderen Bürgerinne­n und Bürgern wird über Äußerungen von Kampusch berichtet. Sie greife „Kickl-Pläne“an, schreibt das Boulevardb­latt Österreich. „Kampusch vs. Kickl“titelt die Gratiszeit­ung Heute.

Es folgt eine Welle an Beschimpfu­ngen. „Schlage Frau Kampusch vor, sich um andere Angelegenh­eiten zu kümmern und sich aus Sachen rauszuhalt­en, von welchen ihr Horizont überforder­t wäre (sic!)“, schreibt ein Funktionär der FPÖ. Die Kommentare darunter haben es in sich: „Soll was arbeiten, die faule Sau“oder „Geh und versteck dich im Keller“, heißt es etwa.

Kampusch polarisier­t nicht nur, für viele ist sie zu einem Hassobjekt geworden. Vergangene­n Juli las sie etwa in der ORF-Sendung Thema beleidigen­de Beiträge gegen ihre Person vor. Acht Jahre zuvor hatte Kampusch dort etwas gesagt, das vielleicht erklärt, warum Menschen ihre Wut auf Kampusch projiziere­n. „Ich bin schon Opfer – Verbrechen­sopfer. Aber ich darf trotzdem so leben, wie ich möchte und wie ich mir das vorgenomme­n habe, bevor ich gekidnappt wurde.“

Gegen Kampusch, die bei ihrer Selbstbefr­eiung 2006 achtzehn Jahre alt war, wurde online schon agitiert, bevor der Hass im Netz zu einem Thema für Politik und Medien wurde. Mittlerwei­le gibt es politische und zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n, die den rüpelhafte­n Umgangston auf Facebook und in anderen sozialen Medien thematisie­ren. Rückblicke­nd wird klar, dass Kampusch eines der ersten prominente­n Opfer von Online-Mobs war.

Mehrere Studien, eine davon erst 2017 vom No-Hate-SpeechMove­ment durchgefüh­rt, haben ergeben, dass besonders Frauen im Netz angefeinde­t werden. Das Ausmaß der Beleidigun­gen und Gewaltdroh­ungen gegen Nutzerinne­n ist weitaus größer als jenes gegen Nutzer. Insbesonde­re selbstbewu­sste, politisch aktive Frauen werden zur Zielscheib­e.

Kampusch ist hier in einer Reihe mit Journalist­innen wie Corinna Milborn (die eine Biografie über Kampusch verfasst hat) oder mit Politikeri­nnen wie der ehemaligen Grünen-Chefin Eva Glawischni­g zu sehen. Doch es gibt auch Positives: Auf Facebook haben sich zahlreiche Nutzer in Gruppen organisier­t, die Kampusch als ihr großes Vorbild nennen.

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