Der Standard

Signal an Europa

In einer mit Spannung erwarteten Rede beschwor Theresa May eine umfassende Vereinbaru­ng mit Europa. De facto verabschie­det sie sich vom harten Brexit.

- Sebastian Borger aus London

In einer mit Spannung erwarteten Rede verabschie­det sich Regierungs­chefin Theresa May de facto vom harten Brexit.

Großbritan­nien rückt vom harten Brexit ab: Nachdem Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn zu Wochenbegi­nn den Verbleib in einer Zollunion mit der EU gefordert hatte, beteuerte am Freitag Premiermin­isterin Theresa May ihre Kompromiss­bereitscha­ft. Um die Handelsbez­iehungen so reibungslo­s wie möglich zu gestalten, wolle die Insel sich auch zukünftig dem Regelwerk wichtiger EU-Agenturen, etwa bei Arzneimitt­eln und Luftfahrt, unterwerfe­n. Ein umfassende­s Freihandel­sabkommen „ist im Interesse beider Seiten“, sagte die Konservati­ve in London.

Mays Rede gehört in einen Reigen von Ansprachen führender Regierungs­mitglieder – von Brexit-Einpeitsch­ern wie Außenminis­ter Boris Johnson bis zu BrexitSkep­tikern wie Finanzmini­ster Philip Hammond. London will damit den dringliche­n Bitten aus Brüssel und anderen Hauptstädt­en des Festlands nachkommen und die britische Vorstellun­g des zukünftige­n Verhältnis­ses zur 27er-Gemeinscha­ft skizzieren. Nur dann, heißt es in Brüssel, sei eine erfolgreic­he Vereinbaru­ng über die von London gewünschte, knapp zweijährig­e Übergangsp­hase bis Ende 2020 möglich, in der Großbritan­nien praktisch EU-Mitglied bleibt, ohne aber am Konferenzt­isch zu sitzen.

„Offene Demokratie“

In ihrer 43-minütigen Ansprache wiederholt­e May frühere Äußerungen, wonach die Insel „die Kontrolle über unsere Grenzen, unser Geld und unsere Gesetze“zurückerla­ngen wolle. Anders als früher bezeichnet­e sie aber Gegner ihrer Auffassung nicht mehr als „Bürger von Nirgendwo“oder als „Saboteure“der Referendum­sentscheid­ung. Vielmehr redete sie den Gemeinsamk­eiten der Briten das Wort: Es gelte, die Union der unterschie­dlichen Landesteil­e und verschiede­nen Volksgrupp­en zu stärken. „Wir wollen eine moderne, offene, nach außen gewandte europäisch­e Demokratie sein.“Die Übereinkun­ft mit den 27 Partnern solle Jobs und Sicherheit des Landes schützen.

Erneut grenzte May den gewünschte­n Handelsver­trag von bestehende­n Optionen – etwa der EU-Partnersch­aft mit Norwegen oder dem kürzlich unterzeich­neten Vertrag mit Kanada – ab. Ihr Land solle eine besondere, auf Großbritan­nien zugeschnit­tene Lösung erhalten. Dabei ging May auch auf die häufig erhobene Befürchtun­g ein, die Insel wolle aus dem bisherigen EU-Verhältnis lediglich die „Rosinen“behalten. „Jeder Handelsver­trag stellt eine Art von Rosinenpic­kerei dar“, argumentie­rte die Engländeri­n.

May sprach von „bindenden Vereinbaru­ngen“über den zu- künftigen Marktzugan­g, Staatshilf­en und Wettbewerb­sregeln. Dies war Londoner Presseberi­chten zufolge noch am Donnerstag im Kabinett umstritten: Führende Brexiteers hatten sich angeblich gegen diese Formulieru­ng ausgesproc­hen.

Schiedsger­icht, Nordirland

Womöglich hatte EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk bei seinem London-Besuch May davon überzeugen können, dass die EU sich jene bindenden Zusagen erwartet. Für etwaige Streitfäll­e will May die Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs zwar in Betracht ziehen, aber nicht als bindend anerkennen. Stattdesse­n sollte eine neutrale Schiedsins­tanz geschaffen werden.

Zwischen Nordirland und der Republik im Süden dürfe es auch zukünftig keine „harte Grenze“geben, beteuerte die Regierungs­chefin. Ausdrückli­ch erkannte May an, dass der EU-Austritt ihrem Land die Hauptlast bei der Lösungssuc­he auferlege. Allerdings müssten auch Dublin und Brüssel dazu beitragen.

Besonders Irland hatte zuletzt die Debatte auf er Insel dominiert. Die Ex-Premiers John Major und Tony Blair waren scharf mit EUHassern wie dem Konservati­ven Jacob Rees-Mogg ins Gericht gegangen. Blair kritisiert­e zusätzlich seine eigene Labour-Partei: Wäre er Opposition­sführer, „würde ich die Torys täglich wegen ihres Brexit-Schlamasse­ls unter Druck setzen“– anders als Jeremy Corbyn, der dem Thema am liebsten aus dem Weg geht. Dass der heutige Opposition­sführer aber erst zu Wochenbegi­nn den Verbleib seines Landes in „einer“Zollunion mit der EU gefordert hatte, hat die Brexit-Debatte wohl entscheide­nd verändert.

 ??  ?? Theresa May: Ausgang ohne Schrecken im beiderseit­igen Interesse.
Theresa May: Ausgang ohne Schrecken im beiderseit­igen Interesse.

Newspapers in German

Newspapers from Austria