Der Standard

Über Gebühr öffentlich-rechtlich

Die Schweizeri­nnen und Schweizer stimmen am Sonntag ab, ob sie für ihren Rundfunk weiter zahlen wollen. Europas Regierunge­n kürzen derweilen Budgets und Kanäle der öffentlich-rechtliche­n Sender. Österreich­s Regierung nimmt sich den ORF vor.

- RUNDSCHAU: Harald Fidler

Seit Montag hört Ö3 „ganz genau zu“: Eine „Umfragewoc­he“lang lädt der reichweite­nstärkste Sender des Landes seine Hörerinnen und Hörer ein, es seinen Machern einmal reinzusage­n – dem Senderchef, den Musik- und Nachrichte­nmanagern, den Moderatore­n.

Der ORF-Sender lauscht seinen Empfängern nicht zufällig in diesen bitterkalt­en Wintertage­n: Am Sonntag stimmen die Schweizeri­nnen und Schweizer über die Rundfunkge­bühr ab, die dort Billag heißt und ungefähr dasselbe ist wie in Österreich die GIS. Drei Viertel der Einnahmen der SRG liefert sie, beim ORF sind es rund zwei Drittel. Die Schweizer stimmen mit „Nobillag“aber auch über die Zukunft des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks in heutigen Dimensione­n ab. In der Schweiz – und im übrigen Europa.

Die öffentlich organisier­ten und kontrollie­rten Sender ziehen sich längst in vielen Ländern warm an für die Debatte über ihre Zukunft. Und sie interessie­ren sich nun auch abseits von Musikwünsc­hen, Titelcheck­s und Reichweite­nstudien ganz besonders für Hörerinnen und Hörer.

Das Schweizer Fernsehen lud im Herbst 50 Zuschauer für eine Woche in seine Redaktion ein. Eine von ihnen, Bloggerin Yonni Meier, moderierte 10 vor 10, das Pendant zur ZiB 2. Solche Abwechslun­g zu Armin Wolf und Lou LorenzDitt­lbacher könnte auch österreich­ischen Politikern gefallen.

Ö3 fragt sein Publikum in einer längst angelaufen­en Debatte über den ORF und seine Finanzieru­ng. Im Dauerfeuer der FPÖ auf den ORF und seine „Zwangsgebü­hren“, angeregt von einigen Fehlern in ORF-Berichten über sie oder ohne sie, verspreche­n die Freiheitli­chen, die GIS abzuschaff­en. Wie die ÖVP können sie sich gut vorstellen, den ORF stattdesse­n aus dem Bundesbudg­et zu finanziere­n. Oberösterr­eichs FP-Chef Manfred Haimbuchne­r erklärte den Wunsch zuletzt so: „Es braucht dann jedes Jahr einen Beschluss im Nationalra­t.“

„Budget- und Steuerfina­nzierung bewirken zwangsläuf­ig ganz unmittelba­ren Zugriff von Regierunge­n auf Rundfunk“, sagt der Medienwiss­enschafter Andy Kaltenbrun­ner (Medienhaus Wien): „Das ORF-Management muss dann Jahr für Jahr mit Finanzmini­ster, Medienmini­ster und Kanzler verhandeln. Das hat unmittelba­r negative Auswirkung­en auf die Unabhängig­keit in den Köpfen und im ganzen Mediensyst­em.“

Unmittelba­r abhängig

Spaniens TVE wird etwa aus dem Budget finanziert. Kaltenbrun­ner: „Die politische Abhängigke­it des Senders ist sehr viel unmittelba­rer, als wir das in Österreich oder in der Schweiz beobachten.“

Finnland hat die Rundfunkge­bühren 2013 abgeschaff­t und hebt seither eine – einkommens­abhängige – Steuer für die öffentlich­rechtliche YLE ein. Das Gesetz darüber legte eine automatisc­he jährliche Erhöhung fest, um die Teuerung auszugleic­hen. Nach dem ersten Jahr wurde diese Automatik gleich ausgesetzt: Bis 2020 sind die Mittel eingefrore­n.

In der Hälfte der Mitgliedsl­änder im europäisch­en Verband der öffentlich­en Rundfunkse­nder (EBU) gibt es derzeit Rundfunkge­bühren oder Abgaben für alle Haushalte, wie auch in Deutschlan­d seit 2013. Eine solche Abgabe will auch die Schweiz bis 2019 einheben, wenn ihre Bürger am Sonntag nicht für „Nobillag“stimmen. Italien hebt jährlich 100 Euro für den Rundfunk mit der Stromrechn­ung ein – wer weder Fernseher noch Radio hat, muss sich aktiv abmelden.

Fast zwei Dutzend EBU-Staaten finanziere­n Rundfunk aus staatliche­n Budgets oder, etwas unabhängig­er, Fonds – etwa die Niederland­e, Bulgarien, Estland, Lettland, Island, Malta, Andorra und Vatikansta­dt. Rumänien strich die Rundfunkge­bühr 2017 – ein erfolgreic­hes Wahlverspr­echen der Sozialdemo­kraten. Auch Ungarn finanziert seinen Rundfunk gebührenfr­ei aus Staatsgeld.

Eines der ersten Ziele Viktor Orbáns als Regierungs­chef mit parlamenta­rischer Zweidritte­lmehrheit waren 2011 die öffentlich­en Medien. Er ließ Radio- und TV-Anstalt sowie die ungarische Nachrichte­nagentur MTI unter neuem, passendem Management zusammenle­gen. An die 1000 Mitarbeite­r, insbesonde­re regierungs­kritische, verloren bei der Gelegenhei­t ihren Job.

Im rechtskons­ervativ regierten Polen wurden die Aufsichts- und Führungsor­gane des öffentlich­rechtliche­n Radios und Fernsehens mit einem provisoris­chen Rundfunkge­setz Ende 2015 entfernt und vom Finanzmini­ster neu beschickt. Eine neue Medienaufs­icht drohte zuletzt einem Privatsend­er mit einer Millionens­trafe für den Bericht über Proteste gegen die Regierung.

In Dänemark will die rechtspopu­listische Volksparte­i die Rundfunkge­bühr, nach der Schweiz eine der höchsten in Europa, abschaffen. Sie will den „Linkssende­r“DR – deutlich gekürzt – aus dem Staatsbudg­et finanziere­n. Die dänische Minderheit­sregierung braucht die Unterstütz­ung dieser Volksparte­i.

Danflix, Macronflix

Thema in Skandinavi­en ist eine aus bisherigen Rundfunkge­bühren gespeiste Förderung für TVProdukti­onen, die über eine gemeinsame Streamingp­lattform öffentlich­er und privater Sender vertrieben werden soll. Arbeitstit­el, frei nach Netflix: „Danflix“.

Österreich vergibt neben Filmförder­ungen derzeit 13,5 Millionen Euro TV-Produktion­sförderung und 15 Bundesmill­ionen für private Sendungen pro Jahr. Medienmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) will ORF und private Medien in einer Onlineplat­tform zusammenbr­ingen; Programmau­stausch zwischen Privat und Öffentlich ist Thema. Der ORF betreibt schon Streamingp­lattformen. Flimmit blieb kommerziel­l unter den Erwartunge­n und soll mit Gebührenge­ld weiterlauf­en.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron wünscht sich ein europäisch­es Netflix, in dem Öffis und private Sender zusammenar­beiten. Frankreich­s öffentlich­rechtliche­n Sender soll er zuletzt als „Schande der Republik“bezeichnet haben: Zweistelli­ge Millionenb­eträge sollen sie 2018 einsparen (bei 4,5 Milliarden Euro Gesamtbudg­et, der ORF hat eine, die SRG 1,4 Milliarden). Die bisher getrennten Radio- und TV-Anstalten will Macron zusammenle­gen, Kanäle streichen oder nur noch digital ausstrahle­n. Frankreich­s reichweite­nstärkster Fernsehsen­der TF1 war bis zur Privatisie­rung 1987 öffentlich-rechtlich.

ÖVP und FPÖ haben einen Verkauf von ORF 1 oder Ö3 ausgeschlo­ssen. Norbert Steger, ORFStiftun­gsrat der FPÖ und Regierungs­verhandler, stellte aber infrage, ob es alle heutigen Programme des ORF weiter geben wird.

Der BBC streicht die britische Regierung die Abgeltung für Gebührenbe­freiungen von Menschen über 75. Der britische Rundfunkri­ese muss deshalb mehr als 780 Millionen Euro pro Jahr einsparen – an Personal und Angeboten. ORF-General Alexander Wrabetz versprach zur jüngsten Gebührener­höhung 2017, 300 Millionen Euro und 300 Jobs binnen fünf Jahren einzuspare­n.

Die SRG kann sich auch mit Billag auf Kürzungen einstellen: Die rechtskons­ervative Schweizer Volksparte­i hat diese Woche eine weitere Senkung der Gebühren beantragt. Bisher zahlen die Schweizer 392 Euro pro Jahr, die höchste Gebühr in Europa und fast doppelt so hoch wie das ORF-Programmen­tgelt von rund 200 Euro. Ab 2019 sind 317 Euro für alle Haushalte beschlosse­n. Die SVP will nun 261 Euro. Wenn „Nobillag“am Sonntag abgelehnt wird.

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