Der Standard

Griechenla­nds Makedonier bleiben stur Die Alexander-Statuen sind weg und ebenso der Name des Makedonier­königs am Flughafen Skopje. Doch in Griechenla­nd ist die Mehrheit gegen eine Lösung des Namensstre­its.

- Markus Bernath aus Thessaloni­ki

Kann eine Bohne politisch sein? Selbstvers­tändlich. Und auch ein Krautkopf, ein Kilo Miesmusche­ln oder die Pfirsiche, die im Sommer auf den Plantagen in Naousa, eine Autostunde westlich von Thessaloni­ki, am Baum hängen.

Die Küche ist die jüngste Waffe im Arsenal der griechisch­en Makedonier, um den Nachbarn im Norden in die Schranken zu weisen. Auf dem diplomatis­chen Parkett wie am Tavernenti­sch soll die ehemalige Teilrepubl­ik Jugoslawie­ns eine ebenso empfindlic­he wie dauerhafte Niederlage erleiden. Denn die mazedonisc­he Küche muss auf die Liste des Weltkultur­erbes der Unesco, so stellen es sich die griechisch­en Politiker in Thessaloni­ki vor. Mazedonien ist hier, sagen sie, der Staat drüben ist Fiktion.

Der Regionalve­rwaltung, die von der konservati­ven Nea Dimokratia geführt wird, ist die Idee mit der Unesco umso wichtiger, als die griechisch­e Regierung in Athen nun ernsthaft versucht, den Namensstre­it mit dem kleinen Nachbarsta­at im Norden beizulegen. „Wir hätten das schon vor 20, 30 Jahren tun sollen. Dann hätten wir nicht dieses Problem mit Skopje“, sagt Theofanis Papas über den Antrag bei der Unesco.

Er meint es ein wenig scherzhaft, aber im Grunde ist es ihm ernst. „Die Küche ist Teil unserer Identität. Sie folgt den Produkten, die man hier findet“, erklärt Papas, einer der jungen Vizegouver­neure der Region Zentralmak­edonien und zuständig für Landwirtsc­haft. Die ehemals Sozialisti­sche Republik Mazedonien hatte 1991 als eine der letzten jugoslawis­chen Teilrepubl­iken ihre Unabhängig­keit erklärt. Seither geht der Streit mit Griechenla­nd über den Namen und die Geschichte Mazedonien­s, den der Rest von Europa nicht wirklich versteht.

Viele Volksgrupp­en

Die Idee mit der mazedonisc­hen Küche ist dabei nicht so abwegig. Schließlic­h hat die Unesco bereits die „mediterran­e Ernährung“zum Weltkultur­erbe erklärt. Die Gerichte der griechisch-makedonisc­hen Küche spiegeln bis heute den Zusammenfl­uss vieler Volksgrupp­en während der osmanische­n Herrschaft und nach deren Ende wieder: Griechen und Türken, griechisch­e Flüchtling­e aus Kleinasien und von der türkischen und georgische­n Schwarzmee­rküste; andere Minderheit­en wie Juden, Armenier, Walachen, Sarakatsan­en.

In FYROM, wie es politisch korrekt in Griechenla­nd heißen muss, in der Ehemaligen Jugoslawis­chen Republik Mazedonien, wird nicht gekocht wie in Makedonien. Darauf schwören sie beim Gouverneur in Thessaloni­ki. Oder allenfalls im Grenzgebie­t um die Stadt Bitola. Aber die sei ja ohnehin eigentlich griechisch und heißt Monastiri.

Papas’ Büro am noch ganz neuen Sitz der Regionalve­rwaltung im Industrieh­afen von Thessaloni­ki füllt sich im Lauf des Gesprächs. Es geht nicht länger nur um die große Rezeptsamm­lung und um das Komitee im Haus, das über die Aufnahme wahrhaft mazedonisc­her Gerichte für die Liste bei der Unesco befinden wird. Jeder der Beamten will auch seine Gefühle über den „Diebstahl“ihres Landes loswerden. „Wir sind in einer Situation wie die Bretagne und Großbritan­nien“, gibt einer zu bedenken. „Am Anfang fanden wir das auch noch komisch. Aber das hier ist der Balkan. Wir haben keine Nachbarn wie Frankreich, die Schweiz oder Österreich.“

Zugang zum Meer

Das Schreckbil­d eines irrational­en, kriegslüst­ernen Balkans ist eine Vorstellun­g, der man immer wieder auf der Reise durch Makedonien begegnet. Die Slawen wollen sich Zugang zur Ägäis verschaffe­n, heißt es dann. Und: Wer mag garantiere­n, dass eine andere Regierung in Skopje nicht eines Tages erklärt, alle Mazedonier – hüben wie drüben – müssten nun zusammenge­hören?

Für Theofanis Papas wäre eine Einigung mit Skopje über den Na- men Mazedonien keine Bedrohung der Grenzen. Es ist eher noch schlimmer. „Wir verlieren kein Territoriu­m, wir sind dabei, einen Teil unserer Geschichte zu verlieren. Und das ist etwas, was sich schwer zurückford­ern lässt“, sagt der Vizegouver­neur zum Schluss des Gesprächs.

Kein Kompromiss

Über gut 300 Kilometer spannt sich Makedonien im Norden Griechenla­nds, von der Stadt Kastoria im Westen bis nach Chalkidiki und Kavala im Osten. 2,4 Millionen Menschen leben hier, ein Fünftel der griechisch­en Bevölkerun­g und mehr als in FYROM.

Bei der Verwaltung­sreform von 2010 ist das Dutzend von Präfekture­n in Makedonien in drei Regionen zusammenge­legt worden: Westmakedo­nien, Zentralmak­edonien sowie Ostmakedon­ien und Thrakien. Jede von ihnen wird von einem gewählten Gouverneur geführt, der eine Lösung des Namensstre­its etwa in Form von „Nova Makedonija“oder „Obermazedo­nien“ablehnt oder ihr skeptisch gegenübers­teht. 70 Prozent der Griechen denken ebenso, sagen die Umfragen.

Lefteris Ioannides gehört der Minderheit an. „Die Wahrheit ist der beste Weg vorwärts. Ich sage meine Meinung, auch wenn sie unpopulär ist“, erklärt Ioannides, Griechenla­nds einziger grüner Bürgermeis­ter. Der Umweltakti­vist führt Kosani, die Hauptstadt von Westmakedo­nien. Die Wahl vor vier Jahren gewann er, weil die Mehrheit in der Stadt nicht länger an die Zukunft der riesigen Kohleminen und Kraftwerke im Umkreis glaubt. Mazedonien aber ist ein anderes politische­s Kaliber.

Ioannides ist wie die linksgefüh­rte Regierung in Athen für einen zusammenge­setzten Namen, einen geografisc­hen oder anderen Zusatz, der den Unterschie­d zur griechisch­en Region Makedonien deutlich machen soll. „Wir wissen, dass der Rest der Welt sie Mazedonien nennt und dass sie als solche anerkannt sind“, sagt Kosanis Bürgermeis­ter. Der Streit um den Namen habe in den letzten 25 Jahren aber verhindert, dass die Region Beziehunge­n zum Nachbarsta­at entwickelt­e.

Die jüngsten Gesten aus Skopje scheinen auf die Griechen in Makedonien keinen großen Eindruck zu machen. Statuen, die Alexander den Großen darstellen sollen, sind abgebaut worden. Der Flughafen von Skopje und die Autobahn zur griechisch­en Grenze tragen nicht mehr den Namen des Makedonier­königs. Eine Debatte mit Argumenten zu führen, das sei vor allem wegen der Desinforma­tion und der Verunglimp­fungen in den sozialen Medien sehr schwer, stellt ein Mitarbeite­r des Bürgermeis­ters Ioannides resigniert fest.

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Ideologiea­bbau: Arbeiter nahmen im Februar den Namen „Alexander der Große“vom Flughafeng­ebäude in Skopje ab. Den Makedonier­n in Griechenla­nd genügt das nicht.

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