Der Standard

Kamel Daoud variiert „Der Fremde“

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Nacht für Nacht sitzt Harun, ein alter Araber, in einer Bar in Oran und erzählt dort seine Geschichte und die seines Bruders Moussa. Der wurde 1942 von einem Mann namens Meursault am Strand von Algier erschossen. Eine Geschichte von Kamel Daoud, die auf einen weltberühm­ten Roman verweist: nämlich auf Der Fremde (1942) von Albert Camus, in dem das Opfer, der Araber, namenlos bleibt. Camus erzählt wie es zum Mord kam sowie vom Prozess und der Verurteilu­ng – Letztere erfolgt wegen der amoralisch­en Kühle und Emotionslo­sigkeit des Täters. In Daouds Der Fall Meursault. Eine Gegendarst­ellung (Verlag Kiepenheue­r und Witsch, 2016; im Original 2014) bekommt der Araber nicht nur einen Namen, sondern auch gleich eine Familie, Identität und eigene Geschichte. Camus, Sohn französisc­her Siedler in Nordafrika, hatte ganz andere Prioritäte­n als der algerische Journalist und Schriftste­ller Daoud, der ein Stück Weltlitera­tur und ein Hauptwerk des Existenzia­lismus aus der Sicht der Kolonisier­ten neu schreiben wollte. Daoud verknüpft Der Fremde mit seiner eigener Geschichte. Eine Verbindung, die mit Anspielung­en, Variatione­n und Ergänzunge­n aus postkoloni­aler Perspektiv­e arbeitet. Im Unterschie­d zu früheren arabischen Antworten auf Der Fremde, die bloß Opfer- und Täterrolle­n vertauscht­en, setzt der 1970 geborene Daoud einen Kontrapunk­t, der aber dennoch als eine Würdigung Camus gelesen werden kann. Damit reiht sich das Buch in eine lange Liste von Werken ein, die von Der Fremde inspiriert sind. Am Montag lesen Kamel Daoud und HansJürgen Bertram (deutsche Fassung), im Anschluss Gespräch. (dog) 5. 3., Linz, Stifterhau­s, 19.30 pwww. stifterhau­s.at

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Foto: AFP Der Algerier Kamel Daoud auf den Spuren Camus’.

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