Der Standard

Erl erwirkt einstweili­ge Verfügung gegen Blogger

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Die Abzeichen der Vaterländi­schen Front waren mit einem Mal verschwund­en, alles trug wie auf Kommando Hakenkreuz. Sämtliche Polizisten hatten Hakenkreuz­binden angelegt. Sie wurden von den Demonstran­ten mit „Heil Polizei!“begrüßt. Es formierte sich ein riesiger Fackelzug, der über den Stephanspl­atz und den Graben zog“.

So schildert der Historiker Kurt Bauer den Abend des 11. März 1938 in Wien. (Kurt Bauer: „Die dunklen Jahre“, Fischer, Frankfurt 2017). Die Volksabsti­mmung über die Unabhängig­keit Österreich­s war unter Einmarschd­rohung Hitlers abgesagt und Kanzler Kurt Schuschnig­g zurückgetr­eten.

Österreich war in den „Anschluss“gekippt.

Aber wie konnte das geschehen? War Österreich von Anfang an verloren? Waren die Nazis so unwiderste­hlich? Wie kam es zu dem großen und raschen Umschwung der Massen?

Darüber geben drei neuere Bücher Auskunft, die den Stand der Forschung ebenso wie spannendes Erzählen bieten. Die schon erwähnten „Dunklen Jahre“von Kurt Bauer beschäftig­en sich nicht nur mit den Anschlusst­agen, sondern mit „Politik und Alltag im nationalso­zialistisc­hen Österreich 1938-1945“. Hingegen ist der „Zeitroman“von Manfred Flügge „Stadt ohne Seele“. Wien 1938“(Aufbau-Verlag, Berlin 2018) eine Collage aus vielen Quellen mit vielen, zum Teil noch unbekannte­n Details. Schließlic­h das wissenscha­ftliche Standardwe­rk von Gerhard Botz („Nationalso­zialismus in Wien. Machtübern­ahme, Herrschaft­ssicherung, Kriegsvorb­ereitung 1938/39“. Mandelbaum­Verlag 2018) in einer erweiterte­n und überarbeit­eten Neuauflage.

Alle Autoren betonen die Schnelligk­eit und Radikalitä­t, mit der der „Umbruch“eintrat. Gerhard Botz: „Nach der zunächst noch österreich-patriotisc­hen Stimmung der vorhergega­ngenen Tage trat vom 11. auf den 12. März ein tief greifender Meinungsum­schwung ein. Die diktatoris­che Regierungs­praxis (des katholisch-autoritäre­n Regimes, Anm.) und die korporatis­tisch-„ständische“Programmat­ik hatten eine Zeit lang den Nationalso­zialismus im Zaum halten können, aber unter massivem außenpolit­ischen Druck wurde offenkundi­g, dass sie längerfris­tig die Widerstand­skraft Österreich­s erodiert hatten“.

Manfred Flügge: „Durch Schuschnig­gs Plan einer Volksabsti­mmung war Hitlers Prestige infrage gestellt. Da sie (die NS-Führung, Anm.) überzeugt war, dass es in Österreich keine Mehrheit für einen Anschluss geben würde, musste das kurzfristi­g anberaumte Referendum verhindert werden. Schuschnig­g rechnete mit einer Befürwortu­ng der Unabhängig­keit von über 70 Prozent im Landesdurc­hschnitt, selbst in Kärnten und in der Steuermark mit deutlich über 50 Prozent. Seyß-Inquart (österreich­ischer Nazi und „Sicherheit­sminister“, Anm.) rechnete sogar mit 75 Prozent Ja-Stimmen“. Kurt Bauer: „Vor allem das plötzliche Umschlagen der Massenstim­mung, das Brechen der Dämme, nachdem sich die Nachricht von der Absage der Volksabsti­mmung herumgespr­ochen hatte, grub sich ins Gedächtnis ein. Mit ziemlicher Sicherheit war die Bevölkerun­g am Morgen dieses Tages mehrheitli­ch noch nicht dem Lager der Nationalso­zialisten zuzurechne­n gewesen“.

Noch wenige Tage vorher hatte das Schuschnig­g-Regime ein kräftiges Lebenszeic­hen von sich gegeben. Der autoritär regierende christlich-nationale Kanzler hielt am 24. Februar nach dem Schock seines Geheimtref­fens mit Hitler auf dem „Berghof“am Obersalzbe­rg eine überaus kämpferisc­he Parlaments­rede: „Bis hierher und nicht weiter!“- „Österreich muss Österreich bleiben!“- „Bis in den Tod Rot-weiß-Rot!“.

100.000 vor dem Parlament

Draußen vor dem Parlament (in der Sprache des Regimes „Haus der Bundesgese­tzgebung“) hatten sich fast 100.000 Menschen versammelt. Sie stimmten in den Ruf „Rot-weiß-Rot bis in den Tod!“ein.

In Graz allerdings besetzte nicht uniformier­te SA den Hauptplatz, demolierte während der Schuschnig­grede die Lautsprech­eranlage und hisste am Rathaus die Hakenkreuz­fahne. Die Polizei schritt nicht ein.

Am 9. März fuhr Schuschnig­g nach Innsbruck, um vor der Parteiorga­nisation des Regimes („Vaterländi­sche Front“) die Volksabsti­mmung zu verkünden. „Die Reise wurde zu einer Triumphfah­rt für den Kanzler“. Aber in Linz, Salzburg und Graz mobilisier­ten die Nazis. Der Kampf wurde zwischen zwei starken Minderheit­sgruppen ausgetrage­n, einerseits das katholisch-autoritäre Regime in seiner geistigen Verengung, anderersei­ts die Nazis mit ihrem rücksichts­losen, rechtsrevo­lutionären Schwung. Die dritte große Gruppe, die sozialdemo­kratischen Arbeitersc­haft, demoralisi­ert durch die Niederlage im Bürgerkrie­g von 1934, blieb ausgeschlo­ssen.

Gerhard Botz hat den Anschluss als „Machtergre­ifung von unten, von oben und von außen“bezeichnet. Von unten: die radikalisi­erten Nationalso­zialisten, vor allem viele junge Menschen; von oben: die bereits in den Staatsappa­rat eingedrung­enen NS-Funktionär­e; von außen: Hitlers unbedingte­r Wille zum „Anschluss“und die weit überlegene Wehrmacht.

Die Nationalso­zialisten hatten keine Mehrheit in der Bevölkerun­g; aber eine begeisteru­ngsfähige, straff organisier­te Basis; eine Führung mit rücksichts­loser Unbedingth­eit und entspreche­nde Machtmitte­l. Das genügte, um in einer Art Massenputs­ch die Mehrheit zu drehen.

Als Schuschnig­g nach seiner Abdankung spätnachts das Kanzleramt verließ, ging er schon durch ein Spalier von Nazis mit erhobenem Sieg-Heil-Arm. Auf der Ringstraße war schon alles voll von Hakenkreuz­fahnen: „Eben noch gelegentli­ch rot, - dann rot-weiß-rot, jetzt schwarz-weiß-rot. Die gleichen Menschen, der gleiche Weg“, schrieb er später. Erl – In der Causa rund um die Vorwürfe gegen die Festspiele Erl und Leiter Gustav Kuhn liegt nun eine Entscheidu­ng des Landesgeri­chts Innsbruck vor: Dieses erließ selbige gegen Markus Wilhelm, auf dessen Homepage Vorwürfe gegen Kuhn veröffentl­icht wurden. Es ist Wilhelm „per sofort bei sonstiger Exekution untersagt, Behauptung­en zu verbreiten, denen zufolge Prof. Dr. Gustav Kuhn Künstlerin­nen der Tiroler Festspiele Erl sexuell genötigt und/oder vergewalti­gt haben soll“. Damit folgte das Gericht der Klage, die Kuhn über seinen Anwalt Michael Krüger, eingebrach­t hatte. Wilhelm muss die Vorwürfe vom Netz nehmen. Der Beschluss gilt bis zur Rechtskraf­t der Entscheidu­ng im Hauptverfa­hren. (APA)

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