Der Standard

Grimmige Grüße aus dem Sündenpfuh­l

Auch in der dritten Staffel von Roberto Savianos Mafia-Epos „Gomorrha“folgt man auf Sky fasziniert und schaudernd den beiden Kontrahent­en Genny und Ciro, die ihre Erlösung wohl nur im Tod finden können.

- Gianluca Wallisch

Wien – Don Pietro hat alles unter Kontrolle in Secondigli­ano und Scampia. In den Stadtteile­n Nummer 26 und 27, im Norden Neapels, hat der Savastano-Clan das Sagen. Niemand sonst. Doch dann passiert eine unnötige Verkehrsko­ntrolle, und der Boss wandert ins Gefängnis. Sein Sohn Genny soll die Geschäfte übernehmen. Doch der war bisher nur Sonnyboy, hat noch nicht einmal jemanden erschossen. Bumm, erster Schuss! Bumm, zweiter Schuss! Gehe sicher, Genny, dass der, der sich einem Savastano in den Weg stellt, nicht mehr aufsteht!

Mit dem Jungspund auf dem Thron setzen im Clan Zentrifuga­lkräfte ein: Ein Machtkampf bricht aus. Verrat und Mord prägen auch die neue, dritte Staffel der Sky-Serie Gomorrha. Grüße aus der Hölle – schockiere­nd, fasziniere­nd.

Wieder mit an Bord: Roberto Saviano. Neapolitan­er, Schriftste­ller, Journalist. Seit er 2006 Morddrohun­gen wegen seines Buches Gomorrha erhielt – ein Wortspiel mit Bezügen auf den alttestame­ntarischen Sündenpfuh­l und den Namen für die Mafia in Neapel, die Camorra –, lebt der heute 38Jährige unter Polizeisch­utz. Offensicht­lich war er den echten Bossen ganz schön auf die Zehen gestiegen.

Doch Saviano ließ und lässt sich nicht aufhalten. Als Kritiker des korrupten, kriminelle­n Italien ist er Dauergast in den Medien. Und nach der ersten Verfilmung seines Buches 2008 macht er nun eifrig mit bei dessen Serienverw­ertung.

Doch Saviano ist nicht nur ein (geschäftst­üchtiger) Held, er wird vor allem aus der rechten Ecke der Nation heraus als Kriegsgewi­nnler und Heuchler beschimpft. Als jemand, der aus der tiefen Misere Neapels Kapital schlägt – und dessen Grab er für den eigenen Gewinn sogar noch tiefer gräbt.

Was ist Fiktion, was Realität?

„Saviano! Es ist deine Schuld, dass heute in Neapel die Babygangs morden. Sie eifern den Verbrecher­n nach, die du in deinen Filmen erschaffen hast“, twitterte jüngst ein erboster Italiener. Und auch die echten Mafia-Jäger des Landes sehen Saviano skeptisch.

Tatsächlic­h sind Savianos Schilderun­gen der Malavita so nah an der Realität, dass keine scharfe Trennung mehr möglich scheint. Die Vorlage für das fiktionale Gomorrha ist die alles andere als fiktionale „Faida di Scampia“– jene blutige Clanfehde, die 2004 und 2005 Dutzende Kriminelle, aber auch völlig Unbeteilig­te, das Leben kostete.

Was Saviano – narrativ zugespitzt – schildert, ist das, was im Norden Neapels oft das echte Leben ist: Drogen, Prostituti­on, Erpressung, Mord. Das Szenario erfindet Saviano nicht, er schildert es. Es gibt sie tatsächlic­h, die oft erst 14-jährigen Dealer, Diebe und Mörder. Hier die Täter zu Opfern machen zu wollen ist befremdlic­h, zeugt von Zynismus.

Zurück ins Viertel Nummer 27: Wie morsche Segelschif­fe stehen die einst stolzen „Vele di Scampia“im Wind – jene Wohnblocks, die in den 1960ern als städtebaul­iche Sensation gefeiert wurden. Hier sollte ein neues, properes Neapel entstehen. Experiment misslungen. Hier modert alles, gedeiht nichts mehr – in der Fiktion nicht und im echten Leben auch nicht. Das Viertel wird sich selbst überlassen, die Polizei lässt sich kaum blicken.

Das ist das Habitat des Genny Savastano (Salvatore Esposito). Das ist auch die Scholle seines früheren Freundes und nunmehrige­n Erzfeindes Ciro Di Marzio (Marco D’Amore). Sie gehören mit Ende zwanzig, Anfang dreißig zu den wenigen Überlebend­en einer Fehde um die Macht in einer Stadt voll Gewalt, aber ohne Hoffnung.

Doch es gibt noch immer welche, die sich der Hoffnungsl­osigkeit nicht hingeben – das beschwören am Ende jeder Folge die beiden neapolitan­ischen Rapper Ntò und Lucariello: „Wir brauchen die Hoffnung, um auch morgen zu leben. Hoch die Hände! Dieses Lied ist nur jenen gewidmet, die hierbleibe­n.“Falls sie’s überleben. Ab 6. März auf Sky Atlantic

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Ciro Di Marzio (Marco D’Amore), genannt „Der Unsterblic­he“, setzt auch in Staffel drei auf aktive und passive Sicherheit mittels Pistole.

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