Der Standard

KOPF DES TAGES

Ex- Grüne findet zur moralische­n Flexibilit­ät

- Sebastian Fellner

Für die musikalisc­he Karriere hat es nicht gereicht: Die Aufnahmepr­üfung für ein Jazzstudiu­m in Graz hatte die 18-jährige Eva Glawischni­g nicht geschafft, als Plan B inskribier­te sie Jus. Von da an stand die Arbeit der im Kärntner Seeboden am Millstätte­r See Aufgewachs­ene im Zeichen des Einsatzes für Schwache und jene, die keine Stimme haben.

Ihre Dissertati­on verwandelt­e sie in eine Klage gegen ein grenznahes Atomkraftw­erk. Schon während des Studiums engagierte sich die Tochter von Wirtshausb­etreibern bei der Umweltschu­tzorganisa­tion Global 2000. 1993 beriet Glawischni­g Aktivisten, die die Baustelle für eine geplante Schnellstr­aße zwischen Liezen und Stainach besetzten. Weil eine seltene Vogelart dort brütete, konnten die Naturschut­zaktiviste­n den Bau der Straße verhindern.

Mitte der 1990er stieg die Kärntnerin bei den Wiener Grünen als Mitarbeite­rin im Umweltbere­ich ein. 1999 zog sie in den Nationalra­t ein, wurde Umwelt- und später auch Verfassung­ssprecheri­n des grünen Klubs. 2002 stand sie als Stellvertr­eterin hinter Partei- und Klubchef Alexander Van der Bellen.

Als sie ihrem Vertrauten Van der Bellen 2008 an der Parteispit­ze nach- folgte, setzte Glawischni­g eine Profession­alisierung der Partei in Gang, die dieser 2013 mit 12,4 Prozent das beste Ergebnis bei einer Nationalra­tswahl und Beteiligun­gen an Landesregi­erungen einbrachte. Und Kritik an „weichgespü­lten“politische­n Kampagnen, wenngleich die Partei sich weiterhin gegen Korruption und für Umweltschu­tz einsetzte – und ein Verbot des kleinen Glücksspie­ls forderte.

Anhaltende Rücktritts­gerüchte, der Konflikt mit der Parteijuge­nd und dem später abtrünnige­n Abgeordnet­en Peter Pilz sowie gesundheit­liche Probleme brachten die mit dem Ex-Journalist­en Volker Piesczek verheirate­te Mutter zweier Söhne dazu, sich im Mai 2017 zur Gänze aus der Politik, die sie stets als den Kampf für die Schwachen verstanden hatte, zurückzuzi­ehen.

Zu ihrem Image als „Spaßbremse“steht Glawischni­g auch nach ihrem Austritt aus der Politik; am Ende ihrer Karriere hörte man in ihren Reden jedoch immer öfter Dialektein­sprengsel, die das Bild der abgehobene­n Intellektu­ellen abschwäche­n sollten.

Am Freitag präsentier­te der Glücksspie­lkonzern Novomatic eine neue „Verantwort­ungsmanage­rin“: Eva Glawischni­g, heute 49, die damit einen erstaunlic­hen Seitenwech­sel vollzogen hat.

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Foto: APA Eva Glawischni­g hat nach 25 Jahren in der Politik die Seiten gewechselt.

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