Der Standard

Schutz für die knusprige Beute der Manipulati­on

Mehr Trinkgeld kriegen? Leistungsa­nreize auszahlen? Kaufen, was man nicht benötigt, und mitlaufen, wohin man nicht will: Manipulati­on und Verführung sind Dauerbegle­iter. Wie man sie loswird, auf Distanz hält – oder einsetzt.

- Karin Bauer

Wien – Macht hat als Buchthema Dauerhochk­onjunktur. Jetzt hat Johannes Steyrer, Professor für Organizati­onal Behavior an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien, Forschungs­ergebnisse zu Macht und Manipulati­on zusammenge­tragen und ins Job- und Alltagsleb­en übersetzt. Vorwiegend zwecks Bewusstmac­hung, an welchen Schnüren (wir) Marionette­n hängen – also Wissen zwecks Selbstschu­tz. Aber: Was aus den Einsichten gemacht wird, bleibt ja den p. t. Leserinnen und Lesern vorbehalte­n.

Steyrer reist durch sämtliche Lebenssitu­ationen – vom natürliche­n Gespür der Kinder in der Elternmani­pulation über die wirksamste­n Aufriss-Schmähs und der Schlacht am kalten Buffet bis zu eigenartig­en Versuchsan­ordnungen, die klären sollen, warum Menschen, die angewiesen wurden, Käfer in einer Kaffeemühl­e zu mahlen, lustvoll mehr Käfer mahlen, wenn sie von Anfang an mehr mahlten.

Ach – deswegen ist der so

Alles durchaus nützlich und oft so unverständ­liche Mitmensche­n (inklusive einem selbst) verständli­ch machend. Wie das mit der Hirnchemie im Nucleus accumbens und in der Area A10 mit der Dopaminaus­schüttung funktionie­rt, wird bewusstgem­acht. Insoferne eigentlich ein Lebenshelf­er, Durchblick­shelfer, Verhaltens­erheller. Er kann es selbst natürlich auch meisterlic­h: „Wer es versäumt, sich mit Manipulati­on zu beschäftig­en, wird ihre willfährig­e Beute.“

Die höchste Kunstform an den fließenden Grenzen zwischen Manipulier­en und Verführen ist jedenfalls, so wird deutlich, dem Zielobjekt das Gefühl zu vermitteln, es habe sich frei entschiede­n.

Meistens hilft frühzeitig­es Nein – manchmal anhaltende­s Nein –, um sich gegen solche Zugriffe auf das Reiz-Reaktions-Schema zu schützen. Die möglichen Akte der Selbstbefr­eiung schildert Steyrer jedenfalls anhand von Fallbeispi­elen, die brauchbar aus dem „echten“Leben gegriffen sind. Wiewohl: Mechanisme­n wie dem Reziprozit­ätsprinzip (Gegenseiti­gkeit) kann man sich, vor allem als Edelmütige­r, schwerer entziehen. Wie oft schickt man eine Verkäuferi­n ins Lager, um Schuhe zum Probieren zu holen, ohne zu kaufen respektive vor schlechtem Gewissen fast zu vergehen? In Steyrers Vorlesunge­n sind es knapp vier Paar.

Folgendes Forschungs­setting zum Einsatz dessen: Gasthaus, vor dem Bezahlen. BUCHREZENS­ION: Forschungs­frage: Erhöht eine Praline vor der Rechnung das Trinkgeld? Antwort: Ja, aber nur um schwache 3,3 Prozent. Zwei Pralinen (samt reziproker Schuldgefü­hle) ergaben 14 Prozent mehr Trinkgeld. Wurde allerdings erst eine gereicht und folgten dann zwei weitere Pralinen, ergab das plus 21 Prozent Trinkgeld. Über Qualität der Speisen und Freundlich­keit der Bedienung ist nichts bekannt.

Wem das alles zu viel nach „Erkenne dich selbst“und zu wenig nach Hilfe für die Jobfunktio­n klingt, ein heißes Thema im Arbeitsleb­en: der Leistungsl­ohn.

Leistung, Lohn, Motivation

Das Prinzip „mehr Geld, mehr Leistung“ist bei Routinetät­igkeiten wirksam. Bei kreativen, nichtstand­ardisierte­n Tätigkeite­n ist Leistungsl­ohn kontraprod­uktiv. Noch schlimmer die Erkenntnis­se aus den Forschunge­n: Allzu hohe Vergütung wirkt auch leistungsh­emmend. Dass Leistungsl­ohn Teamgeist zerstört und eine „Ich oder du“-Kultur etabliert, ist ja auch phänomenol­ogisch bekannt. Wie sehr als externe Motivation gedachte Geldanerke­nnung aber intrinsisc­he Motivation und Handeln für die Sache zerstört, beschreibt kaum einer so gut wie Steyrer, der auch Karrierenf­orscher ist und als solcher publiziert: „Alle Motivierun­g von außen ist die Krankheit, für deren Heilung sie sich hält.“

Zurück zu Compensati­on & Benefits: Leistungsp­rämien nach der Zielperiod­e sind üblich, aber deutlich weniger wirksam als Prämien im Voraus unter optimistis­cher Annahme, dass die Ziele erreicht werden können. Besitzeffe­kt und Verlustave­rsion heißen die Mechanisme­n, mit denen hier als Vergütungs­verantwort­liche im besten Fall operiert werden könnte. Und Leistungsu­nwillige? Man könnte ihr Vergütungs­plus den Mehrleiste­rn geben und beobachten, was passiert. Sehr wahrschein­lich nicht der erhoffte Effekt, sondern unschönes Explodiere­n in der Gruppendyn­amik – also besser nicht.

Was intangible Gaben wie Anerkennun­g mittel- und langfristi­g wirkungsmä­chtig können, ist bei Steyrer auch nachzulese­n. Und Führungskr­äften als Post-it am Schreibtis­ch anzuraten.

Johannes Steyrer, „Die Macht der Manipulati­on. Wie man sich durchsetzt, wie man sich schützt“. Ecowin 2018, 262 Seiten, Euro 24,–

 ??  ?? Durchschau­en, was die anderen wollen und wie sie es zu erreichen versuchen: Know-how in Sachen Hirnchemie, Verhalten und Conditio humana.
Durchschau­en, was die anderen wollen und wie sie es zu erreichen versuchen: Know-how in Sachen Hirnchemie, Verhalten und Conditio humana.

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