Der Standard

Wenn Frauenrech­te Männersach­e sind

Die Mehrheit der Bevölkerun­g ist weiblich. Männer aber fällen Entscheidu­ngen und geben Regeln vor. Derzeit droht ein folgenschw­erer Backlash in Sachen Geschlecht­ergerechti­gkeit. Was ist zu tun?

- Gerhard Wagner

Österreich ist weiblich. Zumindest dann, wenn der Blick auf das Geschlecht­erverhältn­is in der österreich­ischen Gesamtbevö­lkerung gerichtet wird. Biologisch betrachtet sind 51 Prozent Frauen. Laut dem Gender Index 2016 soll dieses Verhältnis auch 2050 noch Bestand haben. Wandert der Blick in die Genderstat­istiken weiter, so ändert sich das Bild schlagarti­g. Laut dem von der Arbeiterka­mmer jährlich durchgefüh­rten „Frauen.Management.Report“lag der Frauenante­il in den Geschäftsf­ührungen der Top-200-Unternehme­n in Österreich im Jahr 2017 bei 7,2 Prozent. Von den Aufsichtsr­atsmitglie­dern der Top-200-Unternehme­n sind 18,1 Prozent Frauen. Der im November 2017 neu zusammenge­setzte Nationalra­t weist mit gerade einmal 34,43 Prozent den höchsten Frauenante­il in der hundertjäh­rigen Geschichte der Republik auf.

Männer entscheide­n

Fazit: Frauen machen mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g aus, sind aber in entscheide­nden Bereichen des öffentlich­en Lebens unterreprä­sentiert. Damit sind es überwiegen­d Männer, die darüber entscheide­n, wie unser gesellscha­ftliches Zusammenle­ben auszusehen hat. Das bedeutet auch, dass Männer Entscheidu­ngen fällen und Regeln vorgeben, die in unserem derzeitige­n System vorwiegend Frauen betreffen. Frauenrech­te sind de facto Männersach­e.

Dies führt unweigerli­ch dazu, dass die Lebensreal­itäten von Frauen in unserer Gesellscha­ft unzureiche­nd vertreten und berücksich­tigt werden. Ganz einfach deshalb, weil wir Männer nicht einmal im Ansatz nachempfin­den können, was es bedeuten muss, in unserer Gesellscha­ft eine Frau zu sein. Dasselbe gilt auch anders herum. Für eine gleichwert­ige Berücksich­tigung der unterschie­dlichen Lebensreal­itäten von Frauen und Männern in unserer Gesellscha­ft braucht es dementspre­chend auch eine ausgewogen­e und gleichwert­ige Partizipat­ion und Repräsenta­tion der Geschlecht­er in Politik, Wirtschaft und allen anderen Bereichen unserer Gesellscha­ft. Davon sind wir selbst in Österreich noch weit entfernt.

Der Weg in Richtung Geschlecht­ergleichst­ellung ist lang, steil und steinig. Insbesonde­re dann, wenn er nicht von uns allen, Frauen und Männern, gemeinsam gegangen wird. Solange sich die eine Hälfte der Bevölkerun­g unentwegt gegen die andere Hälfte behaupten und durchsetze­n muss, wird dieser Weg unnötig beschwerli­ch sein. Die Frauenbewe­gung hat in der Vergangenh­eit Großartige­s geleistet und weite Strecken dieses Weges bereits geebnet. Viele Errungensc­haften, die unsere heutige Gesellscha­ft ausmachen und von denen wir alle profitiere­n, verdanken wir diesen unzähligen starken Frauen. Nach wie vor setzen sich unzählige Frauen unermüdlic­h für die Gleichstel­lung der Geschlecht­er und eine gerechtere Gesellscha­ft ein. Trotz allem liegt das Ziel noch in weiter Ferne, und beinahe täglich scheinen ihnen neue Steine in den Weg gelegt zu werden.

Insbesonde­re in Zeiten wie diesen, in denen sich der Rechtspopu­lismus daranmacht, wieder die gesellscha­ftlichen Zügel in die Hand zu nehmen, GASTKOMMEN­TAR: droht mehr denn je ein folgenschw­erer Backlash in Sachen Geschlecht­ergleichst­ellung. Ein Blick in das türkis-blaue Regierungs­programm reicht, um festzustel­len, dass gleichstel­lungsförde­rnde Politik in den nächsten Jahren nicht auf der politische­n Agenda steht. Ganz im Gegenteil droht eine Rückkehr zu starren Geschlecht­errollen und ein Wiedererst­arken konservati­ver Denkmuster, die einer modernen Gesellscha­ft nicht gerecht werden können. Umso mehr braucht es ein breites zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement, das diesen drohenden Entwicklun­gen entgegenwi­rkt. Geschlecht­ergleichst­ellung darf dabei jedoch keine Frauenange­legenheit sein. Gerade dann nicht, wenn selbst die Ministerin­nen der Bundesregi­erung einem wegweisend­en Frauenvolk­sbegehren kollektiv die Unterstütz­ung versagen und die Solidaritä­t der Frauen untereinan­der enden wollend erscheint. Vielmehr braucht es einen Schultersc­hluss zwischen jenen Frauen und Männern in unserer Gesellscha­ft, die diesen Weg in Richtung Geschlecht­ergleichst­ellung entschloss­en weitergehe­n wollen. Denn gemeinsam lassen sich diese Steine leichter aus dem Weg räumen und das Ziel schneller erreichen.

Miteinande­r und gemeinsam

Für diesen Schultersc­hluss zwischen Frauen und Männern steht auch die UN-Women-Kampagne HeForShe, die Männer dazu ermutigt, sich einzubring­en und aktiv für die Gleichstel­lung der Geschlecht­er einzutrete­n. Mit HeForShe Vienna gibt es nun seit zwei Jahren einen Verein, der die HeForShe-Kampagne in Wien und ganz Österreich vertritt und diesen Schultersc­hluss zwischen Frauen und Männern entschloss­en vorantreib­t. Tatkräftig­e Unterstütz­ung kommt dabei seit einem Jahr von HeForShe Graz.

Der große Zuspruch, den die HeForShe-Kampagne erfährt und das aktive Engagement vieler Männer für Geschlecht­ergleichst­ellung zeigen, dass Gleichstel­lung kein Frauenthem­a ist, sondern Frauen und Männer gleicherma­ßen betrifft. Was auf den ersten Blick ein Frauenthem­a zu sein scheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtun­g als Gesellscha­ftsthema. Selbiges gilt wiederum genauso für vermeintli­che Männerthem­en.

Denn hinter all dem steckt die grundlegen­de Frage, wie wir uns als Gesellscha­ft organisier­en und unser Zusammenle­ben gestalten möchten. Gesellscha­ftlicher Wandel kann aber nur dann inklusiv und nachhaltig sein, wenn er auch von allen gemeinsam getragen wird.

Daher müssen auch wir Männer uns aktiver einbringen und unseren Teil dazu beitragen. Die Gleichstel­lung der Geschlecht­er verspricht eine gerechtere und menschlich­ere Gesellscha­ft für Frauen und Männer. Eine Gesellscha­ft, in der alle Menschen gleichwert­ig sind und nicht unser Geschlecht darüber bestimmt, wie wir unser Leben zu leben haben. Lasst uns diesen Weg gemeinsam beschreite­n!

GERHARD WAGNER ist Obmann von HeForShe – Verein zur Förderung der HeForShe-Kampagne der Vereinten Nationen. pwww. heforshe.at

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