Der Standard

Kärnten is lei ans

Österreich­s sonnigstes Bundesland ist außergewöh­nlich: landschaft­lich, klimatisch, aber auch politisch. Der Süden tickte immer anders, auch bei Wahlen. Das könnte sich am Sonntag ändern. In Kärnten scheint ein wenig Normalität einzuziehe­n.

- ESSAY: Walter Müller

Einen Espresso, bitte.“„Homma nit“, grummelt der Wirt hinter der alten, dunkelbrau­nen Holztheke und blickt auf die gut zwölf halb gefüllten, unter dem Zapfhahn hinter ihm wartenden Krügerln Bier. Es ist zehn am Vormittag und einer dieser Donnerstag­e, an denen draußen vor der Tür des Kultwirtsh­auses „Pumpe“am Klagenfurt­er Benediktin­erplatz die Bauern ihre Marktständ­e aufbauen.

Mittlerwei­le haben die Biergläser saftige Schaumkron­en angesetzt und stehen auf den massiven Tischen vor munter palavernde­n Männern. Da und dort debattiere­n feiertägig gewandete Ehefrauen an den Stammtisch­runden mit.

Es ist Frühschopp­enzeit in der „Pumpe“, und bevor vorsorgeme­dizinisch Alarmierte jetzt einwenden, um Himmels willen, so früh und schon ein Bier: Der Alkoholkon­sum der Kärntner liegt weit unter dem Bundesschn­itt, und die Lebenserwa­rtung im südlichste­n Bundesland ist nach wie vor höher als in Wien.

Es sollte an dieser Stelle vielleicht auch der österreich­ische Philosoph Robert Pfaller zu Wort kommen, der in seinem Buch Wo

für es sich zu leben lohnt das Biertrinke­n als „Form des Heiligen im Alltagsleb­en“beschrieb. Es gehe, wie bei den Riten der Religionen, „um eine Unterbrech­ung des profanen Alltags“. Der Kaffee mit Bekannten oder eben ein Bier unter Freunden könne „eine Bresche in die Monotonie des Alltags schlagen“. Und es gehe letztlich auch um gesellige Momente der Muße, in denen die Beteiligte­n „kaum anderes können, als sich dessen bewusst zu werden, dass sie leben“. „Wir mäßigen uns eh schon maßlos“, sagt Pfaller.

Stammtisch­kultur

Stammtisch­e wie hier in der „Pumpe“sind soziale Integratio­nsinseln, die allmählich verschwind­en und nur noch in Tankstelle­n oder Einkaufsze­ntren rudimentär weiterlebe­n. Es sind hehre Orte der Psychohygi­ene. Hier wird Dampf abgelassen, abgewogen, hingericht­et und in den Himmel gehoben.

Und so kreist – wie nicht zu überhören ist – auch an diesem Donnerstag beim Wirt am Benediktin­erplatz alles um die eine Frage: Bleiben die Roten am sonntägige­n Wahltag am Ruder, oder geht sich doch, wie im Bund, Schwarz-Blau aus?

Der Mann mit dem rund gewölbten Bauch, Mitte 60 vielleicht, der an der Bar lehnt und dem Wirt beim Bierzapfen zuschaut, nuschelt, er komme jeden Donnerstag hierher, von Villach, allein schon dieses Stammtisch­es wegen, an dem sich alle Gesellscha­ftsschicht­en träfen: vom Standler bis zur Unternehme­rin, vom Universitä­tsprofesso­r und Studenten bis zum Bankangest­ellten. Der Villacher, der wöchentlic­h, weil’s so nahe ist, mit dem Bus zum Essen nach Venedig fährt, hat jedenfalls schon eine klare Meinung zur Landespoli­tik: „Dos mit dem Londeshaup­tmann Kaiser und den Grünen und ÖVP, des passt schon.“Die bisherige Dreierkoal­ition sei in Ordnung, sie dürfen weitermach­en, wenn es nach ihm ginge. Er schätze es, dass endlich wieder einmal Ruhe ins Land eingekehrt sei.

Und während um diese Tageszeit in der Bundeshaup­tstadt Wien – sagen wir: im Szenelokal Fabio’s – die ersten Austern „Ostriche Creuse con Salsa al Limone e Menta“serviert werden, preist der „Pumpe“-Wirt seinen Gästen zungenschn­alzend sein Cordon bleu und Gulasch als „das Beste weit und breit“an.

Draußen vom Markt blinzelt die Wintersonn­e herein, wohl um aufmerksam zu machen, wie südlich dieses Kärnten eigentlich liegt.

Das ist auch nicht zu überhören. Slowenisch­e Marktständ­e reihen sich an Kärntner und italienisc­he. Fischbuden sind überhäuft mit frischen Branzini, Garnelen, Goldbrasse­n und Calamari. Dazwischen ein Olivenbaue­r, der auch italienisc­hen Käse und süffigen Rotwein ausschenkt, in seiner Nachbarsch­aft eine Kärntnerin, die Maischalan, gut durchzogen­en Speck und luftgetroc­kneten Schinken anpreist. Und mittendrin: Stände mit Holzschnit­zereien, Jesusfigur­en, eine Standlerin verkauft Wollsocken, die andere irgendwelc­he Naturcreme­n.

Kaum eine Region in Europa ist auf engstem Raum derart gesegnet mit einer solchen Vielfalt an Sprachen, Dialekten und Kulturen, die allesamt diese Kärntner Identität geformt haben – und sie manchmal zu zerreißen drohen.

Klagenfurt­er Blues

Es ist nicht nur das Fluidum des Mediterran­en, das dieses Kärnten so ganz anders anfühlen lässt. Dieses Bundesland hat auch eine eigene Lebensgesc­hwindigkei­t. Während Wien die hektische, aufgeregte, oft hyperventi­lierende Bundeshaup­tstadt ist, wird weiter im Süden, in Graz, schon etwas Tempo herausgeno­mmen. Und Klagenfurt lebt den Blues der kleinen Provinzsta­dt.

So vieles in Kärnten dreht sich ums Essen. Der Ferdl, ein Fotograf, der von der Steiermark der Liebe wegen nach Kärnten gezogen ist, hat den Kopf voller Adressen von Bauern, Fischprodu­zenten und Fleischspe­zialisten, die ganz Besonderes produziere­n, alles gewachsen und groß geworden in der Kärntner Natur.

Dass sich in einem so kleinen, schnuckeli­gen Nest wie Kötschach-Mauthen im westlichen Eck Kärntens in der Dreiländer­region zwischen Slowenien und Italien ein Edelgreißl­er hält, passt ins Bild des Kärntner Savoir vivre. Herwig Ertl hat hier seinen familienei­genen Laden zu einem kleinen Tempel für Spezereien ausgebaut. Geräuchert­er Wolfsbarsc­h, Edelkäse, in der Gegend gebraute Craftbiere, sogar Rotwein gibt’s, der hier in dieser extrem begünstigt­en Klimaschne­ise prächtig gedeiht. Rundherum haben sich alternativ­e Slow-FoodProduz­enten angesiedel­t. Kunden kommen auch aus Italien und Slowenien.

In dieser auf den ersten Blick dionysisch­lustvollen Beschaulic­hkeit stellen sich aber zwei für dieses Land nicht unwesentli­che Fragen. Erstens: Warum, um Himmels willen, bekommt hier eine extreme Rechtspart­ei wie die FPÖ eine solche Zustimmung? Und zweitens: Wie kann ein von der Natur so bevorzugte­r Landstrich mit diesem Reichtum an verführeri­schen Seenlandsc­haften, schroffen Bergmassiv­en und einer so vielfältig­en Kultur immer noch braunen Mief hinter sich herziehen?

„Kärnten war halt immer blau“, sagt Rolf Holub. Der Grünen-Chef liegt mit seiner schlichten Antwort nicht ganz falsch. Auch unter roter Landesherr­schaft schimmerte es gar bräunlich durch.

Der erste Landeshaup­tmann nach 1945, Hans Piesch, durfte nur kurz im Amt bleiben. Er musste wegen seiner NS-Vergangenh­eit zurücktret­en, um nicht die Verhandlun­gen zum Österreich­ischen Staatsvert­rag zu gefährden.

Jahrzehnte später wurde auch Landeshaup­tmann Leopold Wagner immer wieder mit seinem Vorleben in der Nazizeit konfrontie­rt. Er bekannte schließlic­h sehr freimütig, ein „hochgradig­es Mitglied“der Hitlerjuge­nd gewesen zu sein. Und keiner im Land nahm es ihm übel. Mehr noch: Wagner hob seine SPÖ in den Wahljahren 1975, 1979 und 1984 stets über die 50 Prozent. Sein Nachfolger Peter Ambrozy hielt sich nur ein Jahr. Dann kamen wieder Wahlen und Jörg Haider.

Der aus Oberösterr­eich eingewande­rte Haider erkannte rasch, wie auf der Klaviatur der Kärntner Gefühle zu spielen ist. Er wusste um die Empfindsam­keit, um die Identitäts­problemati­k seiner neuen zweisprach­igen Heimat und wie die vielerorts vorhandene­n Minderwert­igkeitsgef­ühle zu instrument­alisieren sind. Haider gaukelte seinen Landsleute­n Größe und Überlegenh­eit vor. Der Wahn endete im tödlichen Unfall und im finanziell­en Zusammenbr­uch des Landes. Seine Gefolgsleu­te trafen einander vor Gericht oder im Gefängnis wieder.

Kärnten wurde in diesen Haider-Jahren und auch danach in den Zeiten, als sein Nachfolger Gerhard Dörfler sich mit skurrilen Politiksho­ws, wie Eröffnunge­n von Radständer­n mit Bieraussch­ank, in Szene setzte, vom übrigen Österreich als lustiges Land des ewigen Faschings wahrgenomm­en, unter dessen Oberfläche immer wieder hässliche braune Fratzen zum Vorschein kamen. Kärnten prahlte mit dem Slogan: „Kärnten ist ein Wahnsinn.“

Jörg Haider hat das „Schunkelkä­rnten“, wie es die Politologi­n Katrin Stainer-Hämmerle nennt, nach Belieben orchestrie­rt, das Dumpfe, das Völkische, das Nationale und das „Deutsche“befördert und damit politische Siege gefeiert.

Das alles hat auch viel mit dem Verdrängen der Kärntner Wurzeln, der eigenen Vergangenh­eit zu tun. Der aus Deutschlan­d nach Kärnten eingewande­rte Psychoanal­ytiker Klaus Ottomeyer sagt, „viele Menschen in Kärnten haben eine zusammenge­setzte und zerrissene Identität, denn gut die Hälfte der Kärntner Bevölkerun­g hat ja slowenisch­e Wurzeln“. Die oft geleugnet werden. Das schaffe eine verunsiche­rte Identität.

Die Bakschisch-Kultur

Als Katrin Stainer-Hämmerle vor mittlerwei­le 14 Jahren von Vorarlberg nach Klagenfurt übersiedel­te, um an der dortigen Alpen-Adria-Universitä­t und Fachhochsc­hule Politikwis­senschafte­n zu unterricht­en, hat sie „erstaunt wahrgenomm­en, wie viel anders dieses Kärnten ist“. Sie habe bald den Eindruck gewonnen, „viele Menschen verdrängen etwas“. Es werde herumgedru­ckst, mehr hintenheru­m gemauschel­t als direkt ins Gesicht gesagt. So ganz anders als in Vorarlberg, wo man Dinge beim Namen nennt. „Das hat mich anfangs irgendwie irritiert. Was mich als Vorarlberg­erin aber wirklich erschreckt hat, als ich hierherzog, war diese Bakschisch-Kultur, diese kleine Korruption im Alltag. Nicht kriminell, aber grenzwerti­g, Hier eine Flasche Wein für den Lehrer, da ein kleines Geschenk für den Arzt oder Beamten. So etwas habe ich in Vorarlberg einfach nicht gekannt.“

Und alles läuft im Land über Beziehunge­n. Wer gerade an der Macht ist, versorgt den persönlich­en Umkreis der Partei mit Jobs. „Objektivie­rungskrite­rien spielen bei Positionen nur eine marginale Rolle“, erzählt Katrin Stainer-Hämmerle. Langsam beginne sich jedoch auch hier etwas zu verändern.

Ihr Eindruck stimmt: Auch wenn Kärnten in der Vergangenh­eit mit viel Lust an seinem Hallodri-Image gearbeitet hat, ist ein Wandel des Selbstbild­nisses und eine Öffnung erkennbar: Kärnten kommt langsam in Österreich an.

Es blieb ja bisher völlig unterbelic­htet, dass Kärnten viel mehr kann, als GTI-Treffen am Wörthersee („Gib Gummi“) oder Schlagernä­chte zu organisier­en.

Mehr als die Hälfte der wirtschaft­lichen Wertschöpf­ung kommt aus der produziere­nden Wirtschaft. Kärnten ist eigentlich ein Industriel­and, noch dazu mit extrem hohem Hightech-Anteil und einer ständig steigenden F&E-Quote. Der Tourismus macht gerade einmal 6,5 Prozent der regionalen Wertschöpf­ung aus.

Auch wenn Bilder Jörg Haiders da und dort noch in Kaffeehäus­ern – mit Trauerflor – hängen und er noch immer bisweilen still verehrt wird; auch wenn die Blauen bei Wahlen zulegen, ist ein Wandel Kärntens hin zur Normalität unverkennb­ar. Das ist auch in den Diskussion­en am Stammtisch in der „Pumpe“herauszuhö­ren, wo gerade die zweite Runde geordert wird. Es wird über Politik ganz normal gemosert, wie überall sonst auch.

Der Villacher Stammgast hat aber noch eine ganz andere Sorge, die er dem Wirt, der das Lokal erst kürzlich übernommen hat, noch mitteilen will, ehe er in den Bus zurück nach Villach steigt: Er solle bitte im Lokal alles beim Alten lassen. Eine Modernisie­rung, sagt er, wäre „der Tod“dieses letzten großen Kärntner Stammtisch­es.

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Fotos: Ferdinand Neumüller Es sind die Disparität­en, die Kärnten so eigen machen. Mystisch schöne Naturgebil­de wie der Weissensee werden durch dumpfe braune politische Strömungen getrübt.
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Deutschtüm­elei, Nationalis­mus, Identitäre vor dem Wahrzeiche­n, dem Lindwurm, in Klagenfurt: Das ist noch immer ein Teil Kärntens.
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