Schweizer für Gebühren
71,6 Prozent stimmten gegen Abschaffung – Politik kürzt Gebühren – SRG verspricht mehr Schweizerisches
72 Prozent der Schweizer stimmten nach monatelanger Debatte gegen die No-Billag-Vorlage zur Abschaffung der Rundfunkgebühren.
Bern/Wien – Mit großer Mehrheit lehnten die Schweizerinnen und Schweizer am Sonntag die Abschaffung der Rundfunkgebühren ab: 71,6 Prozent votierten gegen die Nobillag-Initiative, benannt nach dem Schweizer Pendant der ORF-Gebührentochter GIS. Wahlbeteiligung: 54 Prozent.
Für die öffentliche SRG beginnt mit dem Ja zu den Rundfunkgebühren aber gleich die nächste Debatte: Mehrere Parteien beantragen und fordern Kürzungen bei Gebühren und Werbung.
SRG-Generaldirektor Gilles Marchand kündigte noch während der Auszählung der letzten Stimmen am Sonntag einschneidende Sparmaßnahmen und Reformen an. Und er sandte freundliche Signale an die privaten Schweizer Medien.
Von kommerziellen Sendern und Plattformen soll sich der Schweizer Rundfunk künftig klarer unterscheiden, verspricht Marchand: keine Unterbrecherwerbung in Spielfilmen mehr, weiterhin keine Onlinewerbung, keine regionale Werbung in Konkurrenz zu anderen Lokalmedien. Er kündigt „freien Zugriff“auf die SRG-Archive an, nicht mehr allein auf Newsbeiträge. Online soll die SRG künftig auf Textbeiträge ohne Programmbezug verzichten – und damit privaten Plattformen weniger Konkurrenz machen.
Von kommerziellen Kanälen soll sich vor allem das Programm unterscheiden, verspricht Marchand: Die SRG werde sich stärker auf ihre „Eigenheiten“konzentrieren, sie soll „betonen, was sie ausmacht“, das sei ihre „Existenzberechtigung“.
Mehr Schweiz, mehr Info
50 Prozent des Programmaufwands sollen laut Marchand in „ausgewogene, unabhängige“Information in den vier Landessprachen fließen. Er verspricht mehr Schweizer Filme, Serien, Dokus.
Mehr Eigenproduktion, mehr Information, Zusammenarbeit mit Privaten: Diese Ziele und Vorgaben prägen die Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ganz Europa und auch in Österreich. ÖVP und FPÖ haben ein neues ORF-Gesetz angekündigt. Da geht es auch um die Gebühren – die für das Publikum zumindest günstiger werden sollen. Thema hier ist die Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget. Damit entfallen die zweimonatlichen Erlagscheine und Abbuchungen und damit die ständige Präsenz der Zahlungen an den Rundfunk. Die Finanzierung auf Basis jährlicher Budgetbeschlüsse der Regierungsmehrheit erhöht andererseits die politische Abhängigkeit.
In der Schweiz ist Budgetfinanzierung derzeit kein Thema (mehr). An der Kürzung der Mittel für die SRG arbeiten aber mehrere Fraktionen. Schweizerinnen und Schweizer zahlen mit 451 Franken (391 Euro) pro Jahr Europas höchste Rundfunkgebühren. Die GIS in Österreich beträgt rund 300 Euro pro Jahr, von denen aber nur 200 an den ORF gehen.
Ab 2019 sollen in der Schweiz alle Haushalte (wie schon in Deutschland) unabhängig von der Nutzung Gebühren zahlen, geplant sind derzeit 365 Franken pro Jahr. Abgeordnete der rechtskonservativen SVP, die auch die Nobillag unterstützte, haben schon vor der Volksabstimmung eine Senkung auf 300 Franken beantragt. Grünliberale und die bürgerliche BDP wollen ebenfalls eine Senkung. Die Grünen wollen die Werbeeinnahmen halbieren. Die Christdemokraten (CVP) verlangen ein Werbeverbot nach 19.30 Uhr und mehr Gebühren für Private – mehr als 30 private Stationen leben wesentlich von Rundfunkgebühren.
SRG-Chef Marchand versprach am Sonntag, 100 Millionen Franken (von 1,6 Milliarden) einzusparen: „Die Kritik ist angekommen, die Debatte geht weiter.“
Rundfunkgebühren sind in keinem Land beliebt. Sie zwingen zu einer Zahlung für eine Leistung, von der viele Medienkonsumenten glauben, sie hätten das Recht, sie gratis zu erhalten. Und das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit seiner Breitenwirkung und journalistischen Sonderstellung ist ein allseits beliebter Reibebaum.
Deshalb betreibt die FPÖ ihre Anti-ORF-Kampagne, und deshalb fand auch die Schweizer No-Billag-Initiative zur Abschaffung der Rundfunkgebühren so viel Widerhall. Umso auffallender ist es, dass nach einer monatelangen öffentlichen Diskussion auf hohem Niveau, die wohl nur in der Schweiz möglich ist, eine massive Mehrheit für die Beibehaltung der Abgabe gestimmt hat.
Was die Schweizer erkannt haben, war, dass objektive Information und hochwertige Unterhaltung gerade im elektronischen Bereich ein sogenanntes öffentliches Gut sind: Wird es produziert, profitieren alle davon, egal, ob sie dafür zahlen oder nicht. Deshalb kann man dies nicht allein dem Markt überlassen. In der Schweiz kam noch das Sprachenproblem dazu: Ohne SRG gäbe es keine eigenständigen Medieninhalte in den vier Landessprachen.
Das gilt auch für den ORF: Er macht nicht alles richtig, aber ohne ihn wäre Österreich intellektuell, kulturell und auch demokratiepolitisch ärmer. Weder Privat-TV noch deutsche Sender oder das Internet können den öffentlichrechtlichen Rundfunk ersetzen. Gerade ein kleines Land braucht eine sichere Finanzierung für heimische Produktionen aller Art, und ein Medienmarkt mit einer so starken Boulevardpresse benötigt journalistische Einrichtungen, die nicht nur auf Profit ausgerichtet sind.
Dennoch war die Schweizer Debatte nützlich, als Schuss vor den Bug aller Öffentlich-Rechtlichen in Europa. Angesichts rasanter Veränderungen in Technologie und Medienkonsum können diese nicht einfach weitermachen wie bisher und sich nur auf ihr alterndes Publikum verlassen. Doch innovatives Denken fehlt oft in diesem Sektor.
Auch das Gebührensystem der GIS, Österreichs Pendant zur Schweizer Billag, gehört überdacht, etwa in Richtung der deutschen Haushaltsabgabe. Dass Streaming übers Internet nicht erfasst wird, ist ein Anachronismus, der von Jahr zu Jahr problematischer wird, genauso wie die unzureichende Urheberabgeltung für Künstler. Doch solange eine Regierungspartei gegen „Zwangsgebühren“hetzt, ist hier eine konstruktive Debatte nicht zu erwarten.