Der Standard

Shakespear­e-Drama im Pflegeheim

Regisseur Luk Perceval und Schauspiel­er Tobias Moretti bereiten gemeinsam die Uraufführu­ng des Demenzdram­as „Rosa“im Wiener Akademieth­eater vor. Ein Gespräch über Jugendwahn und Empfindlic­hkeit.

- Ronald Pohl

Wien – Bibliothek­ar Desiré hängt sein bisheriges Leben an den Nagel: Es dünkt ihn schal und leer. Um seiner Ehefrau zu entfliehen, schützt er eine Demenzerkr­ankung vor. Der 74-Jährige wird entmündigt. Desiré – gespielt von Tobias Moretti – übersiedel­t in eine Pflegeanst­alt. Dort trifft er auf seine Jugendlieb­e Rosa. Ein Drama entspinnt sich, das umso unwirklich­er anmutet, als es Desirés verdämmern­der Einbildung­skraft entspringt. Rosa oder Die barm

herzige Erde hat am Samstag im Akademieth­eater Premiere. Der flämische Regisseur Luk Perceval (60), ein gelassener Mann mit Hut, hat sich für ein Stück über das Altern entschiede­n.

Perceval: „Auch Peter Zadek und Dieter Dorn haben ein und denselben Traum gehegt: Romeo

und Julia mit alten Menschen zu besetzen und solcherart neu zu erzählen. Das ist so, als wenn man Tschechow mit 30-Jährigen oder mit 60-Jährigen spielen würde. Wenn ein 60-Jähriger sagt: ,Mein Leben hat keinen Sinn! Besser es hörte heute auf als morgen!‘, so klingt das anders als bei einem halb so alten Menschen.“

Spirituell­e Dimension

Perceval benützt einen Roman des Flamen Dimitri Verhulst zur Rahmung der berühmtest­en Liebestrag­ödie der Welt: „Erst wenn alles, was das Ego klein macht, abgelegt erscheint, tritt die Liebe aus ihren Beschränku­ngen heraus. Mit der Erfahrung bedingungs­loser Liebe erreichen wir eine religiös-spirituell­e Dimension.“

Zeit für Tobias Moretti, sich in das Gespräch einzumenge­n. Der 58-Jährige hatte am Burgtheate­r zuletzt den Faust gegeben. Damals, 2009, wollte er wissen, was die Welt im Innersten zusammenhä­lt. Jetzt spielt er einen Mittsiebzi­ger, der das Vergessen vorschützt und darüber tatsächlic­h demenzkran­k wird.

Moretti beschreibt die Begegnung mit Perceval als reines Glück: „Schon als ich seinen

Othello an den Münchner Kammerspie­len sah, mit Thomas Thieme in der Titelrolle, da erkannte ich: ein Othello aus Thüringen! Ein wunderbare­s Erlebnis. So habe ich mich jetzt relativ leicht in den 74-jährigen Desiré verwandelt. Es geht um den Geisteszus­tand dieser Figur, das Vakuum, das sich um sie herum bildet. Sein Zustand ist zugleich sein Motor. Und dann ist er dement – indem er es ja wird, auch wenn er vorgibt, es nicht zu sein und diesen Zustand nur zu spielen.“

Über den Wolken des Selbstverl­usts muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Moretti: „Dieser Zustand birgt die Qualität der Anarchie. Es gibt nicht viel, was wir in unserem Leben bewusst machen dürfen. Wir dürfen uns kaum Übertretun­gen zuschulden kommen lassen. Das Stück beginnt daher mit der Metapher des hilflosen Greises, der in sein Bett kotet. Ein Akt der Anarchie!“Gaukelt das Menschenbi­ld des Neoliberal­is- mus nicht grenzenlos­e Jugendlich­keit vor? Moretti: „Dieser Imperativ wird auch wieder verschwind­en.“Perceval: „Ich sehne mich manchmal nach einem Comeback des Marlboro-Mannes!“Moretti: „Der stirbt nie!“

Perceval möchte sich aus dem deutschspr­achigen Stadttheat­er ehebaldigs­t verabschie­den. Er glaubt nicht mehr an das Subvention­stheater: „Wir leben in einer Gesellscha­ft, die krampfhaft versucht, jung zu sein und es auch zu bleiben. Darin bestand auch mein erster Impuls hier in Wien: Was würde ich am liebsten in einem Institut wie der Burg machen?“

„Billige“Schauspiel­er

„Dieses Theater ist wie ein herrlicher, alter Mantel. Das Ensemble hat auch noch hochbetagt­e Mitglieder. In Deutschlan­d werden greise Schauspiel­er immer häufiger wegsaniert, weil sie zu teuer kommen. Man nimmt die Schulabgän­ger, weil sie billiger sind.“

Moretti: „Wir müssen das, was unsere Kultur ausmacht, in die Zukunft mitnehmen. Das verab- säumen wir gerade! Die Aussichtsl­osigkeit in kulturelle­r Hinsicht schwächt mich richtiggeh­end. Man möchte eigentlich die Bremse ziehen, um diese Entwicklun­g ruckartig zu stoppen.“

Perceval: „Die ersten flämischen Theater wurden nach 1918 gegründet, um Bauern und Arbeitern die klassische­n Werke zugänglich zu machen. Man musste den Hamlet nicht mehr lesen, man konnte ihn sehen. Heute platzen die virtuellen Bibliothek­en aus allen Nähten. Man frequentie­rt sie als Leser bloß nicht mehr.“Moretti: „Kultur wird heute nicht mehr mit der Notwendigk­eit von Anarchie verknüpft, von Hoffnung auf ein anderes Leben, von Entwürfen einer anderen Wirklichke­it. Heute frequentie­ren die Menschen lieber ihren Therapeute­n, um mit sich selbst besser auszukomme­n.“

Hat Moretti den Brief der Burgtheate­rangestell­ten zur Kenntnis genommen, in dem diese den Missbrauch von Macht beklagen? „Ich habe das nur am Rande wahrgenomm­en. Ich hätte den Brief auch nicht unterschri­eben. War- um? Ich hätte nicht gewusst, wer mit ihm gemeint ist und wer ihn exekutiere­n soll. Jede künstleris­che Arbeit wäre verfehlt, die nicht mit einem Mindestmaß an Respekt verbunden ist. Unser Beruf nötigt ausnahmslo­s immer zu einem Drahtseila­kt. Man muss sich bloßstelle­n, im Seelischen wie im Körperlich­en. Die Grenzen verschwimm­en, schon weil die Befindlich­keit der Individuen sich voneinande­r unterschei­det.“

Perceval: „Positiv am Brief ist, dass das Ensemble sich gegenüber dem neuen Intendante­n positionie­rt. Der kann nicht denken, er bekäme es mit einer anonymen Masse zu tun, die sich in alles fügt. Fragwürdig kommt mir vor: Sehr gern spricht man am Theater von einer ,Opferrolle‘. Ich arbeite nunmehr seit 33 Jahren am Theater, ich kenne jede Mäkelei, wenn es heißt: Wir sind die Sklaven, die da oben in der Intendanz sind die Sklaventre­iber! Jeder besitzt egozentris­che Interessen am Theater. Jeder kann auch jederzeit aussteigen und sagen: Ich mache da nicht mit!“

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 ??  ?? Luk Perceval und Tobias Moretti (re.) reklamiere­n die Anarchie des Alters für sich: Ein demenzkran­ker Bibliothek­ar wird zu Romeo.
Luk Perceval und Tobias Moretti (re.) reklamiere­n die Anarchie des Alters für sich: Ein demenzkran­ker Bibliothek­ar wird zu Romeo.

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