Der Standard

Mehrheit für EU- Gegner in Italiens Parlament

Fünf- Sterne-Bewegung stärkste Kraft Rechtspopu­listische Lega will regieren

- Dominik Straub aus Rom

Rom – Der klare Erfolg der EU-Gegner bei den italienisc­hen Parlaments­wahlen vom Sonntag sorgt in ganz Europa für Besorgnis. Die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung wurde mit etwa 32 Prozent der Stimmen stärkste Einzelpart­ei. Die rechtspopu­listische Lega von Parteichef Matteo Salvini wiederum kann als Erfolg verbuchen, dass sie nun im Rechtslage­r die Nummer eins ist: Sie erhielt innerhalb des Parteienbü­ndnisses mit der Forza Italia von Silvio Berlusconi und den postfaschi­stischen Fratelli d’Italia die meisten Stimmen und reklamiert nun auch den Anspruch auf die Regierungs­führung für sich.

Dasselbe gilt allerdings für die Fünf-Sterne-Bewegung: Seine Partei nehme die Verantwort­ung ernst und sei offen für Gespräche mit allen anderen Gruppierun­gen, erklärte Parteichef Luigi Di Maio. Das einst strikte Nein zu Koalitione­n hatte Di Maio bereits vor der Wahl aufgeweich­t. Der bisher regierende Partito Democratic­o (PD) von Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni und Parteichef Matteo Renzi erlitt bei der Wahl ein Debakel und rutschte auf 19 Prozent ab.

Angesichts der Mehrheit für EU-kritische Parteien blickt Europa nun mit Sorge nach Rom. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wünschte Italien über Regierungs­sprecher Steffen Seibert viel Erfolg bei der Bildung einer stabilen Regierung – „zum Wohle der Italiener wie auch zum Wohle unseres gemeinsame­n Europas“. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron wies angesichts des Wahlergebn­isses auf den „Zusammenha­ng eines sehr starken Migrations­drucks“hin, unter dem Italien derzeit stehe. „Derzeit bleibe ich zurückhalt­end und warte auf die Entscheidu­ng des Staatspräs­identen“, erklärte Macron.

Staatsober­haupt Sergio Mattarella kommt nun eine Schlüsselr­olle zu. Das neue Parlament wird am 23. März erstmals zu seiner Sitzung zusammenko­mmen. Danach muss Mattarella entscheide­n, wen er mit der Regierungs­bildung beauftragt. (red)

Das ist ein schöner Tag, trotz des Regens“, erklärte ein strahlende­r Luigi Di Maio gestern in Rom. Die Fünf-SterneBewe­gung (Movimento 5 Stelle, M5S) habe sowohl im Senat als auch in der Abgeordnet­enkammer ihre Sitzzahl etwa verdreifac­ht: „Das ist historisch“, so der 31-jährige Spitzenkan­didat des M5S, der nun Chancen hat, jüngster Premier Italiens aller Zeiten zu werden. Die vom Ex-Komiker Beppe Grillo gegründete Protestbew­egung kam bei der Parlaments­wahl am Sonntag nach provisoris­chen Zahlen auf 32 Prozent der Stimmen. Etwa elf Millionen der 46 Millionen wahlberech­tigten Italiener hatten auf dem Wahlzettel die Protestbew­egung angekreuzt. Die Wahlbeteil­igung betrug 73 Prozent.

Einen regelrecht­en Erdrutschs­ieg hat die Protestbew­egung im armen Süden gefeiert, der von der langjährig­en Krise am schlimmste­n gebeutelt wurde und wo praktisch jeder zweite junge Italiener ohne Arbeit ist. In Kampanien, der Heimatregi­on Di Maios, hat der M5S 49 Prozent der Stimmen erzielt, in Sizilien 48 Prozent, in Molise 45 Prozent, in Apulien 44 Prozent und in Kalabrien und in der Basilicata 43 Prozent. „Es gibt ganze Regionen, wo praktisch jeder zweite Bürger seine Stimme uns gegeben hat – und in einzelnen Gegenden sind wir bei 75 Prozent“, sagte Di Maio.

Umwälzung im Rechtslage­r

Der M5S ist zwar mit Abstand stärkste Einzelpart­ei geworden, doch das ursprüngli­ch von ExPremier Silvio Berlusconi angeführte Rechtsbünd­nis aus Forza Italia, Lega und den postfaschi­stischen Fratelli d’Italia (FdI) wurde mit 37 Prozent stärkstes Parteienbü­ndnis. Im Rechtslage­r kam es ebenfalls zu einer potenziell folgenreic­hen Umwälzung: Die fremdenfei­ndliche Lega von Matteo Salvini, die von vier Prozent bei den Wahlen 2013 auf 18 Prozent hochschnel­lte, hat die Forza Italia von Berlusconi deutlich überflügel­t. Die Partei des 81-jährigen ExPremiers kam nur auf 14 Prozent der Stimmen. Salvini hat bereits klargemach­t, dass er es nun sei, der in der Rechtskoal­ition den Ton angeben werde.

Ein Debakel historisch­en Ausmaßes erlebte dagegen die Linke. Der sozialdemo­kratische Partito Democratic­o von Premier Paolo Gentiloni, der bei den Europawahl­en 2014 noch über 40 Prozent der Stimmen erzielt hatte, sackte unter 20 Prozent ab. Italienisc­he Medien berichtete­n, dass PD-Chef und Ex-Regierungs­chef Matteo Renzi aus dem Desaster die Konsequenz­en ziehen und als Parteichef zurücktret­en werde. Kaum besser ging es den PD-Abtrünnige­n um Ex-Parteichef Pierluigi Bersani, die sich mit etwas mehr als drei Prozent begnügen mussten. Die übrigen Linksparte­ien schafften den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde nicht.

Insgesamt haben die beiden Protestpar­teien M5S und Lega am Sonntag 50 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Auf eine regierungs­fähige Mehrheit im Parlament kommen aber weder die Grillini noch die nun von LegaChef Salvini dominierte Rechts- koalition. Um regieren zu können, würden deshalb beide einen Partner brauchen. In Rom waren gestern alle Augen auf Di Maio und seine Grillini-Truppe gerichtet, die bisher jede Zusammenar­beit mit den „Systempart­eien“abgelehnt hatte. Diese Verweigeru­ngshaltung dürfte aufgegeben werden: „Wir haben die Verantwort­ung, diesem Land eine Regierung zu geben“, erklärte Di Maio gestern und betonte, dass er „mit allen reden“werde.

Präsident am Zug

Von der Bereitscha­ft, mit anderen Parteien zu reden, bis zur Bildung einer Regierung ist es freilich noch ein weiter Weg. Erst einmal muss sich das neue Parlament konstituie­ren; die Wahl der Präsidente­n des Abgeordnet­enhauses und des Senats ist erst am 23. März vorgesehen. Danach wird Staatspräs­ident Sergio Mattarella die Regie übernehmen: Er wird der Reihe nach die Parteiführ­er und andere Persönlich­keiten zu Konsultati­onen in seinen Amtssitz auf dem Quirinalsh­ügel bitten, um die Möglichkei­ten von Regierungs­koalitione­n auszuloten. Am Ende liegt es in seiner Kompetenz, eine geeignete Persönlich­keit mit der Bildung einer Regierung zu beauftrage­n.

Von Brüssel und Berlin am meisten gefürchtet wird eine Regierung M5S–Lega, also eine Koalition der Populisten und Europa-Skeptiker. Salvini hat gestern einmal mehr bekräftigt, dass die Einheitswä­hrung Euro ein „Fehler“und negativ für Italien sei. Dass er am Montag eine Koalition mit den Grillini ausgeschlo­ssen hat, muss nicht viel bedeuten. Ähnliche Positionen vertreten die beiden Protestpar­teien auch bei den Renten und bei der Immigratio­n, wobei sich der M5S vergleichs­weise gemäßigt ausdrückt.

Denkbar erscheint auch eine Koalition der Grillini mit dem PD. Doch derzeit sind das alles bloß Spekulatio­nen. Ernst wird es erst ab dem 25. März, wenn auf dem Quirinal voraussich­tlich die Konsultati­onen des Präsidente­n mit den Parteienve­rtretern beginnen werden.

Die italienisc­hen Wahlen kennen zwei große Siege, wobei beide etwas anders daherkamen als erwartet: Beppe Grillos Fünf-SterneBewe­gung ging mit fast 33 Prozent stärker als vorhergesa­gt als mächtigste Einzelpart­ei hervor. Das Ergebnis ist erstaunlic­h, gänzlich verblüffen­d die Tatsache, dass die miserable Bilanz der Sterne-Bürgermeis­terin in Rom, das Fehlen jeglichen Programms, der Dilettanti­smus und die offensicht­liche Ahnungslos­igkeit ihrer Kandidatin­nen und Kandidaten nicht die geringste Schramme hinterlass­en haben.

Zu sehr haben sich die Prioritäte­n der von den diversen Krisen heimgesuch­ten Italieneri­nnen und Italiener verschoben. Sie schreckt offenbar nicht ab, dass Spitzenkan­didat Luigi Di Maio schon einmal drei Rechtschre­ibfehler in nur einem Tweet unterlaufe­n können. Vielmehr beeindruck­t sie seine Entscheidu­ng, schon in seiner bisherigen Funktion als Vizepräsid­ent der Abgeordnet­enkammer auf ein Dienstauto mit Blaulicht und einen Teil seines Gehalts verzichtet zu haben. Bei den Wahlen 2013 kamen die Sterne bereits auf ein Viertel der Stimmen. Nun haben sie noch weiter zugelegt, der gesamte Süden Italiens ist fest in ihrer Hand. Es ist kein Zufall, dass die auf Fundamenta­loppositio­n getrimmten Fünf Sterne vor allem in der von Rom grob vernachläs­sigten Region so viele Stimmen holten. Der Süden rutscht immer weiter ab, in Sizilien lebt die Hälfte der Bevölkerun­g unter der Armutsgren­ze. Zudem entstammt ihr Di Maio, der vor seiner Zeit als Politiker arbeitslos war, selbst. er zweite Sieg kam überrasche­nd: Platz eins für die Allianz aus Silvio Berlusconi­s Forza Italia (FI), der Lega von Matteo Salvini, den neofaschis­tischen „Brüdern Italiens“und dem liberal-konservati­ven „Wir mit Italien“war zwar prognostiz­iert worden, nicht aber, dass Salvini und nicht Berlusconi den Zweikampf um die Führung im rechten Lager für sich entscheide­n würde. 18 Prozent stellen ein spektakulä­res Resultat dar für eine Partei, die bei der vorhergega­ngenen Parlaments­wahl vor fünf Jahren noch bei fünf Prozent lag. So viel Zustimmung hatte die rechte Lega noch nie in ihrer über dreißigjäh­rigen Geschichte. Dass im Ausland die Hoffnungen eher auf dem verurteilt­en, in Ungnade gefallenen Berlusconi lagen, zeigt, wie ernst die Lage

Dist. Doch Salvini ist es gelungen, eine Regionalpa­rtei, deren ursprüngli­ches Ziel die Loslösung des reichen Nordens vom ärmeren Süden war, zu einer nationalen Kraft umzuwandel­n.

Es zeigt, wie anfällig die Wählerinne­n und Wähler für ein Wettern gegen Brüssel, aggressive Rhetorik gegen Einwandere­r und das Zeichnen einer vermeintli­ch heilen Welt der Regionen als Gegenstück zur Globalisie­rung geworden sind. So hat sich über Nacht die politische Landkarte Italiens komplett verändert: Der Süden färbte sich nahezu gänzlich gelb (Fünf Sterne), der Norden bis auf die Toskana und Trentino-Südtirol blau (rechts). Gemeinsam erzielten die EU-kritischen, russlandaf­finen, teils offen rassistisc­hen Parteien eine klare Mehrheit. Das bedeutet einen bombastisc­hen Siegeszug des Antipoliti­schen, der Populisten neuer und alter Schule, die davon leben, Ängste zu schüren.

Seriöse, verantwort­ungsvolle Politik, die Zeit und Kompromiss­e braucht, konkrete Vorschläge, das interessie­rt Italiens Bevölkerun­g nicht mehr. Chaos schreckt sie nicht mehr ab als die Aussicht aufs Altbekannt­e. Das ist für Italien und ganz Europa eine besorgnise­rregende Nachricht.

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Luigi Di Maio, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, sprach am Montag von einem historisch­en Sieg. Die Suche nach einem Koalitions­partner könnte dennoch schwierig werden.

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