Der Standard

Suizid in der Schubhaft

Eine Arbeitsgru­ppe hat eine Empfehlung an das Innenresso­rt geschriebe­n, wie man suizidgefä­hrdete Schubhäftl­inge am besten betreuen sollte. Ein Arzt erzählt, was daraus wurde.

- Petra Stuiber

Die Empfehlung­en einer Arbeitsgru­ppe, wie man suizidgefä­hrdete Schubhäftl­inge betreut, wurden bisher nicht umgesetzt.

Auf die Teilnahme in der Arbeitsgru­ppe folgte umgehend das konkrete Angebot: Ob er nicht drei Stunden pro Woche ins Polizeianh­altezentru­m Vordernber­g kommen wolle, fragte das Innenminis­terium bei dem Wiener Arzt an. Sein Aufgabenbe­reich wäre es gewesen, den psychische­n Zustand der 220 derzeit dort angehalten­en Schubhäftl­inge festzustel­len, erzählte er dem STANDARD. Der Arzt, der lieber anonym bleiben möchte, lehnte ab. Seine Begründung: „Um Menschen in Schubhaft richtig zu betreuen, wären viel mehr Ressourcen notwendig.“

Was notwendig wäre, hat die Arbeitsgru­ppe Suizidpräv­ention, bestehend aus Experten des Ressorts, der Volksanwal­tschaft und aus Psychiater­n, im November des Vorjahres ausgearbei­tet. In dem internen Papier, das dem STANDARD vorliegt, heißt es unter anderem: „Um eine wirksame Kette der Prävention zu gewährleis­ten, ist es nötig, neben der Sensibilis­ierung von Gatekeeper­n eine rasch verfügbare fachkundig­e Begutachtu­ngs- und Behandlung­smöglichke­it vorzuhalte­n.“

Laufende Schulung

Dringend empfohlen wird unter anderem die Schulung des polizeilic­hen Personals – nicht nur während der Grundausbi­ldung, sondern laufend, denn: „Nur durch Wiederholu­ngen kann das erforderli­che Wissen gefestigt und eine nachhaltig­e Sensibilis­ierung erreicht werden.“Gelehrt werden soll dabei: wer die Risikogrup­pen sind; wie man Risikofakt­oren erkennt; wie sich suizidale Gefährdung­en entwickeln können und wie man mit suizidalen Krisen umgeht – auch mit den eigenen Empfindung­en dazu. Denn das Wichtigste, betonen die Fachleute in ihrem Konzept für das Innen- ministeriu­m, sei die Sensibilis­ierung des Personals: „Es soll sichergest­ellt sein, dass ein Bewusstsei­n zum Thema Suizid im Anhaltevol­lzug und im fremdenrec­htlichen Verfahren geschaffen wird.“

Bisher, so erzählen Mitglieder der Arbeitsgru­ppe, lasse das Bewusstsei­n darüber in Polizeikre­isen häufig zu wünschen übrig. Gerade die Schubhaftz­entren seien „psychiatri­sch stark unterverso­rgt“. Bei den Diskussion­en in der Arbeitsgru­ppe sei es den Vertretern des Ministeriu­ms vor allem darum gegangen, möglichst kostenscho­nend vorzugehen. „Dass man Geld in die Hand nehmen und zumindest klinische Psychologe­n, besser noch Psychiater, beschäftig­en sollte, wurde nicht ernsthaft diskutiert.“

Als Experten hat das Innenresso­rt den Verein Dialog in die Arbeitsgru­ppe entsandt. Dialog ist Vertragspa­rtner des Innenminis­teriums und kümmert sich um die Menschen, die in den Polizeianh­altezentre­n in Wien-Hernals und in der Rossauer Kaserne angehalten werden. Erstaunlic­h dabei: Der Verein besteht seit 1979 und ist auf individuel­le Suchthilfe spezialisi­ert – mit von Abschiebun­g bedrohten geflüchtet­en Menschen hat man dort eher weniger zu tun.

Dabei ist das Thema Suizid ein akutes Problem – gerade unter Haftbeding­ungen. Suizide zählen zu den häufigsten Todesursac­hen in Gefängniss­en, 30-mal häufiger passieren Suizidvers­uche. Aus diesem Grund ist die Prävention in Haftanstal­ten ein weltweites, von der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO priorisier­tes Ziel. Schubhaft ist nochmals eine Ausnahmesi­tuation. Hier werden Menschen festgehalt­en, die in den meisten Fällen schon auf ihrer Flucht nach Österreich traumatisi­ert wurden – um deren Traumata sich aber bislang niemand profession­ell gekümmert hat.

Im Konzept der AG Suizidpräv­ention sind denn auch im Punkt „situative Faktoren“(die zum Suizid führen können) unter anderem aufgeliste­t: politische Verfolgung, Verfolgung wegen Anderssein, Flucht, als ungerecht empfundene Verhaftung oder Anhaltung.

Eine Nachfrage bei dem für Polizeianh­altezentre­n zuständige­n Volksanwal­t Peter Fichtenbau­er (FPÖ) ergibt zweierlei: Erstens prüfe die Volksanwal­tschaft im Rahmen ihrer Aufgabe, präventive Menschenre­chtskontro­llen durchzufüh­ren, auch die Polizeianh­altezentre­n regelmäßig.

In Wien und in Salzburg habe man, auch im Hinblick auf Suizidpräv­ention, noch nichts beanstande­t – zuletzt allerdings in Vordernber­g bei einer Prüfung Anfang November sehr wohl. Was da nicht gepasst hat, wollte die Geschäftsb­ereichslei­terin von Volksanwal­t Fichtenbau­er, Martina Cerny, nicht im Detail verraten. Nur so viel: „Es kann manchmal auch schlicht um bauliche Maßnahmen gehen.“

„Laufende Korrespond­enz“

Dass es grundsätzl­ich eine psychiatri­sche Unterverso­rgung in Schubhaftz­entren gebe, will man bei der Volksanwal­tschaft so nicht behaupten, auch nicht, dass die Suizidgefa­hr in Schubhaft besonders hoch sei. Das Innenminis­terium habe der Volksanwal­tschaft im Prüfzeitra­um von sieben Suiziden bzw. Suizidvers­uchen berichtet. Da sei die Rate in normalen Haftanstal­ten weit höher, sagt Cerny.

Was die Beanstandu­ngen betrifft, sei man mit dem Innenminis­terium „in fortlaufen­der Korrespond­enz“. Was das genau bedeutet und ob das Ministeriu­m bereit sei, in Sachen Suizidpräv­ention mehr zu tun, könne man noch nicht sagen. Cerny: „Menschenre­chtsarbeit funktionie­rt nicht von heute auf morgen. Das ist ein langer Prozess.“

 ??  ?? Psychiatri­sch unterverso­rgte Schubhäftl­inge oder nicht? Beim Polizeianh­altezentru­m Vordernber­g scheiden sich die Geister von Experten, Ministeriu­m und Volksanwal­tschaft.
Psychiatri­sch unterverso­rgte Schubhäftl­inge oder nicht? Beim Polizeianh­altezentru­m Vordernber­g scheiden sich die Geister von Experten, Ministeriu­m und Volksanwal­tschaft.

Newspapers in German

Newspapers from Austria