Der Standard

ZITAT DES TAGES

Nach „Verbrechen“und „Schuld“schließt Autor Ferdinand von Schirach mit „Strafe“seine Gerichtstr­ilogie ab. Über harte Strafen, sein Urteil im Stück „Terror“und warum er gerne Osama bin Laden verteidigt hätte.

- INTERVIEW: Doris Priesching

„Wir sind ja in der Lage, irgendwann jedem zu verzeihen, selbst unseren schlimmste­n Gegnern. Aber uns selbst können wir nicht vergeben.“

Standard: Welche ist die härteste Strafe, zu der ein Mensch verurteilt werden kann? Schirach: Es sind die Strafen, die wir über uns selbst verhängen. Wir sind ja in der Lage, irgendwann jedem zu verzeihen, selbst unseren schlimmste­n Gegnern, selbst den Menschen, die uns nur Übles wollen. Aber uns selbst können wir nicht vergeben.

Standard: Und wie ist es damit: getrennt zu sein vom Liebsten und Notwendigs­ten? Schirach: Natürlich. Aber vielleicht ist es doch schlimmer, von sich selbst getrennt zu werden. Wenn wir zu sehr unter unserer Schuld leiden, trennen wir uns vom eigenen Ich. Der Schmerz, der uns von außen zugefügt wird, kann furchtbar sein, aber er lässt sich irgendwie ertragen.

Standard: Wann sind Sie von sich selbst getrennt? Schirach: Denken Sie einen Moment an Ihre intensivst­en Erinnerung­en zurück. Diese Erinnerung­en sind nicht mit Liebe oder Glück verbunden, sondern mit Scham. Oft schämen wir uns so sehr, dass wir über diese Dinge jahrelang nicht sprechen können, auch nicht mit dem Menschen, mit dem wir zusammenle­ben. Aus diesem Schweigen entsteht Einsamkeit.

Standard: Kann Schreiben Strafe sein? Schirach: Aber nein, überhaupt nicht. Schreiben ist ein wunderbare­r Beruf. Es stimmt schon, wenn man schreibt, kann man nichts mehr sonst tun. Jede Ablenkung wirft zurück, jeder Anruf, jede E-Mail, jede Verabredun­g stört. Aber dafür bekommt man etwas anderes, etwas ganz und gar Wunderbare­s: Man reist in seinem Kopf, man trifft seine Figuren, und am Ende lebt man ganz in seinem Buch. Vielleicht ist die Idee des gequälten Künstlers doch nur ein Bild der Romantik – das Genie, das sich aufopfert, um Kunst zu schaffen. Nein, Schreiben ist zu einem großen Teil handwerkli­che Arbeit und nur zu einem kleinen Teil der „geniale Einfall“.

Standard: Die Geschichte­n in „Strafe“basieren, wie zuvor in „Schuld“und „Verbrechen“, auf realen Rechtsfäll­en. Wie gehen Sie vor? Schirach: Ich unterliege der anwaltlich­en Schweigepf­licht und kann nicht einfach von Fällen erzählen, die genauso abgelaufen sind. Ich erzähle Geschichte­n, die ich aus vielen verschiede­nen Mandaten neu zusammense­tze. Sie können sich das vorstellen wie in einer alten Druckerei, in deren Setzkästen 40-mal das E und 15- mal das A liegt. Das sind einzelne Szenen, Menschen, Dialoge, Orte und so weiter, die ich neu arrangiere.

Standard: Wieder warten Sie mit fatalen Folgen des Rechtssyst­ems auf: Dass man nicht zweimal für ein und dasselbe Delikt verurteilt werden kann, setzt Fantasien frei. Schirach: Die Vorschrift schützt Sie vor Verfolgung. Wenn ein Verfahren rechtskräf­tig abgeschlos­sen ist, dürfen Sie nicht noch einmal für das gleiche Delikt anklagt werden. Aber Sie haben recht, viele Vorschrift­en der Strafproze­ssordnung können in Ausnahmefä­llen zu ungerechte­n Ergebnisse­n führen. Das müssen wir ertragen, es ist Teil des Rechts.

Standard: Filme und Serien werden manchmal vor Publikum auf ihre Tauglichke­it getestet. Wann wissen Sie, ob eine Story funktionie­rt? Schirach: Eine Geschichte funktionie­rt, wenn sie uns berührt. Das Leben und die Taten eines Psychopath­en gruseln uns vielleicht, aber eigentlich ist uns alles daran fremd. Die Geschichte eines alten Ehepaars, das seit 40 Jahren verheirate­t ist und sich sprachlos nicht mehr erträgt, kann uns dagegen berühren. Am Ende ist das, das einzige Kriterium: Erzählt eine Geschichte uns etwas über uns selbst.

Standard: Ihr Stück „Terror“wurde in mehr als 20 Ländern aufgeführt, lief im Fernsehen, etwa im ORF. Die Freisprüch­e überwiegen: Haben Sie damit gerechnet? Schirach: Das Stimmverhä­ltnis zwischen Freispruch und Verurteilu­ng liegt in fast allen Ländern bei 40 zu 60. Es ist natürlich viel leichter, den Piloten freizuspre­chen, weil es dem „gesunden Menschenve­rstand“entspricht. Um zu verurteile­n, muss der Zu- schauer die Würde eines Menschen höher setzen als sein Leben. Das ist schwierig.

Standard: Welcher moralische Konflikt der Rechtsspre­chung könnte Sie noch interessie­ren? Schirach: Solche Dilemmata gibt es andauernd. Nehmen Sie das Seuchenges­etz: Es bricht eine Seuche aus, die Infizierte­n können kaserniert werden, um die Nichtinfiz­ierten zu schützen. Nun gibt es aber eine Gruppe von Leuten, bei denen unklar ist, ob sie infiziert ist oder nicht. Nach dem Seuchenges­etz dürfen diese Menschen auch kaserniert werden, und sie sterben dort. Sie werden geopfert, damit die anderen überleben.

Standard: Wie hätten Sie im Fall von „Terror“geurteilt? Schirach: Es ist keine gute Idee, in Einzelfäll­en Verfassung­sprinzipie­n außer Kraft zu setzen. Die Würde des Menschen halte ich für eine der bedeutends­ten Erfindunge­n der Aufklärung. Wir dürfen sie unter keinen Umständen opfern. Ich hätte den Piloten also verurteilt.

Standard: Sie sagten einmal, Osama bin Laden hätte Sie als Mandant interessie­rt. Wie hätten Sie ihn verteidigt? Schirach: Das Interessan­te an solchen Mandaten ist, die Ideologie eines Menschen kennenzule­rnen und vor Gericht zu diskutiere­n. Mir zumindest geht es so, dass ich den Terror nicht verstehe. Ich begreife weder die Ziele noch die Mittel, ich sehe nur, dass es menschenve­rachtende, völlig wahnsinnig­e Morde sind. Aber die Tatsache, dass wir so wenig darüber wissen, macht es uns schwer, dagegen anzutreten.

Standard: Die Frage ist: Was steckt hinter dem Fanatismus? Schirach: Erst wenn wir das begreifen, haben wir eine Möglichkei­t, Terror langfristi­g zu verhindern. Sonst bekämpfen wir immer nur die Symptome, nie die Ursachen.

FERDINAND VON SCHIRACH (53) war Strafverte­idiger in Berlin. In seinem neuen Buch „Strafe“(Luchterhan­d-Verlag) beschreibt er, warum er zur Schriftste­llerei wechselte. In seinem Stück „Terror“urteilte das Publikum weltweit. pMehr auf derStandar­d.at/Etat

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Geschichte­n, die sich aus Prozessen zusammense­tzen: Ferdinand von Schirach legt sein neues Buch vor.

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