Der Standard

George Pell: Eine Karriere vom Missbrauch begleitet

Der 76-jährige Kardinal muss sich seit gestern in Australien einer Anhörung stellen, die über einen Prozess wegen sexuellen Missbrauch­s entscheide­t. Bis zu 50 Zeugen sollen in Melbourne aussagen.

- Bianca Blei

FRAGE & ANTWORT: Frage: Was geschah am ersten Anhörungst­ag in Melbourne? Antwort: Medienvert­reter waren nur in den rund 25 ersten Minuten der Anhörung vor Richterin Belinda Wallington zugelassen, dann wurde die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen. Bis zum Ausschluss warf der Leiter von George Pells Anwaltstea­m, Robert Richter, der Polizei vor, nicht gründlich genug ermittelt zu haben. So sei Zeugenauss­agen, die die Verteidigu­ng vorgelegt hatte, nicht ordnungsge­mäß nachgegang­en worden. Richter kündigte gleichzeit­ig an, die Ermittler ins Kreuzverhö­r nehmen zu wollen. Kardinal Pell sagte kein Wort während der Anhörung.

Frage: Was geschieht weiter? Antwort: Insgesamt soll die Anhörung in Melbourne vier Wochen dauern. Dabei werden in den kommenden zwei Wochen die Aussagen von bis zu 50 Zeugen gehört, die per Video zugeschalt­et werden. Dabei erhält die Verteidigu­ng immer die Gelegenhei­t zu einem Kreuzverhö­r. Bei den Zeugen soll es sich unter anderem um Chorknaben aus der Zeit des vorgeworfe­nen Missbrauch­s handeln. Nach Ende der Anhörung entscheide­t die Richterin, ob es zu einem Verfahren gegen den Kardinal kommt. Selbst wenn sich die Richterin gegen einen Prozess ausspreche­n sollte, bleibt der Staatsanwa­ltschaft aber noch immer die Möglichkei­t, Pell vor Gericht zu stellen.

Frage: Was wird dem Kardinal vorgeworfe­n? Antwort: Im wurden dem vergangene­n Juni Kardinal „histori- sche sexuelle Vergehen“vorgeworfe­n. Nähere Details wurden nicht veröffentl­icht. Pell selbst bestritt kürzlich, von Missbrauch­sfällen in den 1970er- und 1980erJahr­en in Australien gewusst zu haben. Medienberi­chte legen allerdings nahe, dass es bei der Anhörung um Anschuldig­ungen gegen den Kardinal selbst geht. Zu der Zahl der Ankläger, der Zahl der vorgeworfe­nen Taten oder der Schwere der Vorwürfe, wurde aber nichts veröffentl­icht. Es ist allerdings nicht das erste Mal, das Pell beschuldig­t wird. 2002 warf ein Mann dem damaligen Erzbischof von Sydney vor, ihn in einem katholisch­en Sommercamp im Jahr 1961 missbrauch­t zu haben. Pell stritt die Vorwürfe ab. Ein von der Kirche eingesetzt­er Richter kam zu dem Schluss, dass es zu wenig Anhaltspun­kte gebe, um die Anschuldig­ungen weiterzuve­rfolgen.

Frage: Wer ist George Pell? Antwort: Pell kam 1941 im australisc­hen Ort Ballarat als Sohn eines englischen Einwandere­rs und einer streng katholisch­en Mutter zur Welt. Mit 18 Jahren unterschri­eb er einen Profivertr­ag bei einem Profiverei­n in der Australian-Football-Liga. Doch schon bald hörte er den „Ruf Gottes“, wie er es selbst nannte, und trat 1960 einem Priesterse­minar bei. Zwischen 1973 und 1983 war er Berater des Bischofs der Diözese seiner Heimatgeme­inde. Dieser ließ damals erwiesener­maßen Priester, die Kinder missbrauch­ten, in andere Pfarren versetzen. Pell will davon nichts gewusst haben. Als er 1996 schließlic­h zum Weihbischo­f von Melbourne ernannt wurde, verantwort­ete er das umstritten­e „Towards Healing“-Programm, das den Umgang der Kirche mit Missbrauch­sopfern regelte und Entschädig­ungszahlun­gen bei einem niedrigen Betrag deckelte. Unter Papst Franziskus wurde er schließlic­h Chef des vatikanisc­hen Wirtschaft­sministeri­ums und somit der dritthöchs­te Mann im Kirchensta­at.

Frage: Wie reagiert der Papst auf die Vorwürfe gegen den Kardinal? Antwort: Papst Franziskus stimmte im vergangene­n Jahr einem Ansuchen Pells zu, der sich von seinen offizielle­n Ämtern beurlauben lassen wollte, um sich in Australien zu verteidige­n. Eine offizielle Stellungna­hme des Kirchenobe­rhaupts gibt es bis dato nicht. Franziskus dürfte aber noch an seinem Vertrauten festhalten.

Frage: Gab es in Australien noch mehr Anschuldig­ungen gegen Priester? Antwort: Eine Untersuchu­ng der australisc­hen Royal Commission, die sich mit Missbrauch­svorwürfen gegen Institutio­nen beschäftig­te, kam zu dem Schluss, dass sieben Prozent aller katholisch­en Priester des Landes beschuldig­t wurden, zwischen 1959 und 2010 Kinder missbrauch­t zu haben. Die Kommission bemängelte auch Kardinal Pells Handhabe der Fälle als Erzbischof. Fünf Priester, die ihm in seiner Zeit in Melbourne und Sydney unterstell­t waren, wurden des Missbrauch­s verurteilt. Manche sagten aus, dass Pell von ihren Verbrechen gewusst habe.

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Der Auftakt der Anhörung gegen George Pell war von großem Medieninte­resse begleitet. Polizisten mussten einen Weg zum Gerichtssa­al absperren, damit der beschuldig­te Kardinal in das Gebäude gelangen konnte. Draußen protestier­ten die Menschen gegen den...
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