Strahlendes aus einem natürlichen Kernreaktor
Vor zwei Milliarden Jahren begann in Westafrika ein natürlicher Kernspaltungsprozess, der so viel Energie freisetzte wie ein Kernkraftwerk in vier Jahren. Das Naturhistorische Museum Wien präsentiert eine Probe aus diesen Naturreaktoren und plant eine Aus
Wien – Durch stetigen Zerfall entstehen radioaktive Strahlen aus dem Urankristall. Diese banale Aussage verarbeiteten die Elektropoppioniere Kraftwerk zu dem Stück Uran auf ihrem Ende 1975 veröffentlichten Konzeptalbum Radio-Aktivität.
Nur wenige Monate zuvor hatten sich in Libreville, der Hauptstadt von Gabun in Westafrika, Atomphysiker und Chemiker getroffen – darunter auch Experten aus den USA und der UdSSR –, um unter der Ägide der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) über die Forschungsergebnisse zu einer in jeder Hinsicht spektakulären Entdeckung zu beraten: der Existenz natürlicher Nuklearreaktoren. Das Naturhistorische Museum Wien (NHM) präsentiert nun eine Probe aus einem von mehreren dieser Reaktoren als strahlendes Kernstück für eine Ausstellung über Radioaktivität.
Im Sommer des Jahres 1972 fiel dem Laborleiter der Urananreicherungsanlage der französischen Nuklearanlage Tricastin eine Anomalie der Isotopenverteilung bei in seinem Labor produziertem Uranhexafluorid auf. Dieses war aus dem Erz der Oklo-Uranmine in Gabun gewonnen worden. Alles Uran auf der Erde stammt aus der frühesten Phase der Entstehung des Sonnensystems und wurde in Supernovae gebildet. Deshalb ist das Mengenverhältnis der Uranisotope in allen Lagerstätten gleich, egal ob auf der Erde, auf dem Mond oder in Meteoriten – so lautete jedenfalls die gängige Lehrmeinung.
Während das Isotop 238U 99,274 Prozent ausmacht, ist das spaltbare 235U mit 0,7202 Prozent vorhanden. Das Erz aus Oklo enthielt jedoch nur 0,7171 Prozent 235U – eine Abweichung von 0,0031 Prozentpunkten. Was wie eine vernachlässigbare Differenz aussieht, summiert sich jedoch bei den industriell umgesetzten Mengen zu einem beachtlichen Schwund von spaltbarem Material. Dies verlangte nach einer Erklärung.
Natürliche Kettenreaktion
Die Nachforschungen in Gabun führten zu der Entdeckung von insgesamt 17 natürlichen Reaktoren. Hier fand vor etwa 1,8 bis zwei Milliarden Jahren über einen längeren Zeitraum eine Kettenreaktion statt, die sich selbst in einem Drei-Stunden-Rhythmus regulierte. Was wie Science-Fiction klingt, basiert auf einem überraschend simplen Aufbau.
Die uranhaltigen Tonschichten liegen eingebettet in Sandsteinbänke. Der Zufluss von Grundwasser löste umliegendes Gestein aus und reicherte das Uran dadurch an. Gleichzeitig bremste das Wasser als Moderator die Neutronen auf die für den Spaltprozess nötige Geschwindigkeit ab. Wenn es durch die thermische Leistung des Reaktors verdampft war, fiel dieser unter die für die Kernspaltung nötige Kritikalität, und die Reaktion stoppte – bis genug Wasser nachgeflossen war, um den Zyklus neuerlich zu starten. Der Prozess wiederholte sich über hunderttausende Jahre hinweg und setzte in etwa so viel Energie frei wie ein heutiges Kernkraftwerk in vier Jahren.
Das NHM arbeitete seit 2012 daran, eine Probe aus Oklo zu erwerben. Damals unterbreitete Generaldirektor Christian Köberl dem Kurator der Gesteinssammlung, Ludovic Ferrière, die Idee einer Dauerausstellung über natürliche Radioaktivität. Dazu sollte auch eine Probe aus den Oklo-Reaktoren als ein wesentliches Ausstellungsstück besorgt werden.
Den beinahe geologischen Zeitraum von fast sechs Jahren und hunderte E-Mails und Telefonate später hat Ferrière dieses Ziel nun erreicht. Ein Belegstück der bei den Apollo-Missionen gesammelten Mondgesteine für die Meteoritensammlung zu erhalten sei im Vergleich extrem einfach gewesen, so Ferrière. Schließlich gelang es, den französischen Atomkonzern Areva, dessen Kerngeschäft nun unter dem Namen Orano läuft, davon zu überzeugen, dem NHM einen Bohrkern aus Oklo zu spenden.
Rund um den Neuzugang kann nun die Radioaktivitätsausstellung entstehen. Die dafür nötigen finanziellen Mittel fehlen noch, für deren Beschaffung hofft Ferrière jedenfalls auf einen weniger zeitintensiven Ablauf.