Der Standard

Gazproms kaltes Kalkül

Vertragskü­ndigung mit Kiew soll EU zu Pipelineba­u zwingen

- André Ballin aus Moskau

Gazprom hat die „Scheidungs­papiere“eingereich­t: Der Konzern habe nun offiziell den ukrainisch­en Energiever­sorger Naftogas darüber informiert, dass er über den Schiedsger­ichtshof in Stockholm eine Kündigung der Gasliefer- und Transitver­träge eingeleite­t habe, teilte Gazprom-Chef Alexej Miller am Montag mit. Entspreche­nde Vorankündi­gungen hatte Millers Vize Alexander Medwedew schon am Wochenende gemacht.

Die Kündigung gilt gemeinhin als Reaktion des russischen Energierie­sen auf die jüngste juristisch­e Schlappe. Ebenjenes Stockholme­r Schiedsger­icht hatte Gazprom in der vergangene­n Woche zu einer Strafzahlu­ng von 4,6 Milliarden Dollar wegen der zu niedrigen Auslastung der ukrainisch­en Transitpip­eline verurteilt. Naftogas hingegen war im Dezember nur zu rund zwei Milliarden Dollar Kompensati­on verurteilt worden, weil die Ukraine ebenfalls weniger Gas beim russischen Nachbarn abgenommen hatte als vereinbart. Netto muss Gazprom dementspre­chend 2,6 Milliarden Dollar zahlen.

Gazprom hatte das Urteil als ungerecht bezeichnet. Die „asymmetris­che Entscheidu­ng“bevorteile klar Naftogas in dem Rechtsstre­it. „Wir sind kategorisc­h dagegen, dass die ökonomisch­en Probleme der Ukraine auf unsere Rechnung gelöst werden“, klagte Miller. Das Weiterbest­ehen der Verträge sei unter solchen Umständen für Gazprom wirtschaft­lich sinnlos, fügte er hinzu. Als ersten Schritt hatte Gazprom die eigentlich ab März geplante Wiederauf- nahme der Gaslieferu­ngen an die Ukraine auf Eis gelegt, was Kiew trotz der klirrenden Kälte zu akuten Sparmaßnah­men beim Gasverbrau­ch zwang.

Was zunächst wie ein reines Frustfoul aussieht, sei ein durchaus bedachter Schritt von Gazprom, meinen Experten. Die Kündigung ziele nicht allein darauf ab, den Druck auf die Ukraine zu erhöhen, sondern auch den auf Europa. Bislang nämlich kommt ein gehöriger Teil des russischen Gases immer noch über die ukrainisch­e Pipeline in die EU. Gazprom demonstrie­rt nun unzweideut­ig, dass damit so bald wie möglich Schluss sein wird. Notfalls ist Russland sogar bereit, weitere Vertragsst­rafen in Kauf zu nehmen.

Widerstand aus Brüssel

Mit dieser Strategie soll die EU-Kommission zu einem Entgegenko­mmen bei der Pipeline Nord Stream 2 gedrängt werden, an der sich auch die OMV beteiligen möchte, gegen die es aber in Brüssel nach wie vor Widerstand gibt. Der Zweitstran­g der Ostseepipe­line hätte eine Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter­n, die Hälfte dessen, was durch die Ukraine fließen kann.

Daneben will Gazprom damit auch den Weg für den südlichen Gaskorrido­r erzwingen. Das könnte sowohl die Wiederbele­bung der Pipeline South Stream durch Bulgarien bedeuten als auch eine Verlängeru­ng und Erweiterun­g der jetzt geplanten Leitung Turk Stream. Auch über die Projekte sind Moskau und Brüssel uneins. Mit dem Kappen der ukrainisch­en Transitlei­tung hat der Kreml verdeutlic­ht, dass er die Gespräche zu seinen Bedingunge­n führen will.

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