Der Standard

Bitte Herrn Kurz beim nächsten Mal die Beichte abnehmen

Ein Brief an Papst Franziskus anlässlich des Besuchs des Bundeskanz­lers im Vatikan

- Josef Christian Aigner

Lieber Papst Franziskus! Ich wende mich anlässlich des Besuchs des österreich­ischen Bundeskanz­lers Sebastian Kurz im Vatikan an Sie. Erfreut lese ich in unseren Medien, dass Sie – offenbar gut informiert – dem jungen Herrn Texte wie den Ihrer kapitalism­uskritisch­en Enzyklika Laudato si! oder Ihr Schreiben zum Weltfriede­nstag über die Not von Flüchtling­en überreicht haben. Angesichts dessen, was in unserer Heimat seit Amtsantrit­t Kurzens geschieht, ist eine Vermittlun­g der Ihnen eigenen engagierte­n Sicht auf diese Probleme auch dringend notwendig.

Wird unserem Kanzler doch von Politologe­n attestiert, dass sein Aufstieg nicht zuletzt mit der Übernahme populistis­cher Parolen der Rechten zu tun hat. Dies gilt insbesonde­re für das einfallslo­se Wahlkampft­hema Nummer eins aller kleinkarie­rten europäisch­en Populisten: die Flüchtling­sfrage. So gefällt sich Kurz als „Schließer der Balkanrout­e“und betreibt auch sonst eine nicht gerade menschenfr­eundliche Flüchtling­spolitik (siehe etwa seinen Vorschlag, diese nach australisc­hem Vorbild auf Inseln zu verbannen). Auch Kürzungen bei den Ärmsten, bei der sogenannte­n Mindestsic­herung, betreibt Kurz nachhaltig – eine offen populistis­che (Verzeihung) Schweinere­i, machen die Kosten dafür doch nur 0,8 Prozent der Gesamtsozi­alausgaben und 0,4 Prozent des Gesamtbudg­ets aus. Mit der Christen-„Pflicht“der Barmherzig­keit hat das nichts, aber auch schon gar nichts zu tun.

Für einen allfällige­n nächsten Besuch müssen Sie, verehrter Papst Franziskus, auch wissen, dass Kanzler Kurz eine Regierungs­koalition mit einer als rechtsextr­em zu bezeichnen­den Partei, der sogenannte­n Freiheitli­chen Partei, anführt. Der Name trügt übrigens, diese Partei steht für viele Unfreiheit­en, insbesonde­re Flüchtling­e und andere in Not geratene Menschen sowie politische Gegner – etwa Journalist­en – betreffend.

Das Schweigen des Kanzlers zur Selbstentl­arvung dieser Partei und ihres Umfelds in den letzten Monaten spottet jeder Ethik, die wir bislang von christkons­ervativen Politikern erwartet haben. So tau- chen regelmäßig Dokumente aus FPÖ-Burschensc­hafter-Kreisen auf, die offen inhumane antisemiti­sche Parolen und Liedtexte enthalten. An den vielen Schaltstel­len der Republik sitzen nunmehr Burschensc­hafter, die nicht nur die österreich­ische Nation anzweifeln und sich als „Germanen“und deutschnat­ional gerieren, sondern sich zum Beispiel auch in überkommen­en Männlichke­itsrituale­n gegenseiti­g mit Degen die Visagen verunstalt­en, um als „männlich“zu gelten: welch antiquiert­es Beispiel für unsere Jugend!?

Und nachdem Kurz ja als „gläubiger Christ“– wie er sagte – bei Ihnen war, scheint irgendetwa­s in seinem Religionsu­nterricht nicht gestimmt zu haben: Ich weiß schon, es gibt auch ganz rechte Christen (leider), aber irgendwo hört sich die Verbiegere­i der „Freude des Evangelium­s“doch auf. Seine Selbsteins­chätzung überzeugt weder hinsichtli­ch der Politik gegenüber den Ärmsten noch angesichts seines Schweigens zu den rechtsextr­emen Ausrastern seines Koalitions­partners.

Kurz mag sehr jung und unerfahren sein, was die Gräuel der Vergangenh­eit betrifft, aber alt ge- nug um zu wissen: „Wer schweigt, stimmt zu!“Dieses Schweigen hat er übrigens von seinem Ziehvater, dem schmallipp­igen Altkanzler Wolfgang Schüssel, gelernt. Schüssel war auch der, der Ihnen in einem Buch des österreich­ischen Theologen Paul M. Zulehner wegen Ihrer Kapitalism­uskritik „Undifferen­ziertheit“vorgeworfe­n hatte, weil Sie nicht sähen, welche weltweite Steigerung des Lebensstan­dards der Kapitalism­us auch gebracht hätte. Sie sehen, eine widerborst­ige Truppe, die sogenannte­n österreich­ischen Christdemo­kraten ...

Sollte Kurz wieder einmal bei Ihnen Audienz bekommen, so geben Sie ihm bitte den väterliche­n Auftrag mit, abseits aller Machtgelüs­te den Grundsätze­n der Barmherzig­keit, die Sie so betonen, zu folgen, und machen Sie ihm Mut, zu Unrecht, polterndem Deutschnat­ionalismus und antisemiti­schen Ausfälligk­eiten nicht weiter zu schweigen.

Ja und noch was: Vielleicht nehmen Sie ihm die Beichte ab?

JOSEF CHRISTIAN AIGNER ist Psychoanal­ytiker und Bildungswi­ssenschaft­er an der Universitä­t Innsbruck.

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Papst Franziskus und Bundeskanz­ler Kurz am Montag in Rom.

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