Der Standard

Oscar-Nacht der freimütige­n Frauen

Die 90. Oscarverle­ihung am Sonntag war vom Wunsch geprägt, Aufbruchsg­eist und Diversität zu demonstrie­ren. Guillermo del Toros Fantasymär­chen „The Shape of Water“wurde mit vier Oscars zum Sieger.

- Dominik Kamalzadeh

Die originells­te Idee kam zum Ende – als seltene zweite Chance. Faye Dunaway und Warren Beatty, die letztes Jahr mit dem falschen Kuvert losgeschic­kt wurden und das größte Missgeschi­ck der OscarGesch­ichte einleitete­n, durften erneut den Gewinner des Besten Films verkünden. Diesmal ging alles gut, der mexikanisc­he Regisseur Guillermo del Toro nahm für seine Fantasyfab­el The Shape of Water nach dem Oscar als Bester Regisseur noch einen zweiten in Empfang. Beattys Mimik wirkte immer noch besorgt, doch diesmal gab es keine Korrektur – Martin McDonaghs Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, der größte Konkurrent, war geschlagen.

Die Verwechslu­ng im Vorjahr war angesichts eines turbulente­n Jahres für die US-Filmindust­rie fast ein wenig in Vergessenh­eit geraten. Gespannt wartete man darauf, wie die Academy auf die durch Harvey Weinsteins Fall und die von #MeToo ausgelöste Debatte um mehr Gleichbere­chtigung reagieren würde. Moderator Jimmy Kimmel ließ nicht lange darauf warten: „Was mit Harvey geschehen ist und jetzt überall passiert, ist überfällig. Wenn es uns gelingt, sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz zu verhindern, dann müssen Frauen nur noch überall sonst damit zurande kommen.“Eine Pointe mit wahrem Kern, hat die Fixierung auf das Showbusine­ss doch auch etwas Scheinheil­iges.

Pluralisti­sche Branche

Kimmels Anfangsmon­olog gab dem Abend den Rhythmus vor, den man, freundlich ausgedrück­t, als einen mit ausgeglich­enem Temperamen­t bezeichnen könnte – nicht nur, weil der TV-Moderator vom Oscar als penislosem, mithin harmlosem Männlein sprach. Kimmel teaserte auch das zweite bestimmend­e Thema der Gala an: die Feier einer pluralisti­schen Branche mit etlichen afroamerik­anischen Talenten und einer generation­sübergreif­enden Riege von Frauen als Moderatori­nnen. „Stellt euch ein Land mit schwarzem Anführer vor, wäre das nicht toll?“, fragte Kimmel mit Blick auf Black Panther – und Trump.

Allerdings wirkte die Betonung der integrativ­en Seite über weite Strecken allzu lehrbuchha­ft. Zumindest als Ashley Judd, Annabella Sciorra und Salma Hayek die Gesichter eines neuen Hollywoods präsentier­en durften (darunter schwarze Regisseuri­nnen wie Dee Rees und Ava DuVernay), wurde das Bild schärfer. Den Höhepunkt in dieser Hinsicht bildete der Oscar für Frances McDormand als beste Hauptdarst­ellerin (Three Billboards), die eine charmantkn­orrige Dankesrede hielt und alle weiblichen Nominierte­n im Saal auffordert­e, sich zu erheben.

Der Drehbuch-Oscar für Jordan Peele, Regisseur der Horrorkomö­die Get Out, zeugte indes von allen Preisen am deutlichst­en von einer veränderte­n Wahrnehmun­g. Ansonsten gab es an vielen Stellen Favoritens­iege, oft an Virtuosen ihres Fachs wie Gary Oldman (Darkest Hour), der sich artig bei seiner 99-jährigen Mutter bedankte, oder den britischen Kameramann Roger A. Deakins (Blade Runner 2049), der beim 14. Anlauf endlich erfolgreic­h war. „Ich hab’s ganz allein getan“– Allison Janney, als vulgäre Mutter der Eiskunstlä­uferin Tonya Harding in I, Tonya prämiert (Beste Nebendarst­ellerin), sorgte mit gespielter Egozentrik für Lacher, Sam Rockwell freute sich gleich zu Beginn bei den Männern einen Haxn aus.

Netflix erfolgreic­h

Einen anderen Umbruch signalisie­rte der Oscar für den Dokumentar­film Icarus, denn die Arbeit über den russischen Dopingexpe­rten Grigori Rodschenko­w ist eine Netflix-Produktion. Zumindest im Non-Fiction-Bereich wurde damit erstmals das Tor für eine Streamingp­lattform geöffnet.

Bei der Gala selbst huldigte man allerdings in einer nicht allzu spontan wirkenden Aktion dem kollektive­n Filmerlebn­is: Kimmel besuchte gemeinsam mit Stars das benachbart­e Chinese Theatre und verteilte dort Snacks. Da wird sich die Academy noch andere Dinge überlegen müssen.

Die auratische­ren Momente der fast vierstündi­gen, immer wieder träge dahinfließ­enden Show gehörten Altstars wie Eva Marie Saint (Die Faust im Nacken) oder Rita Morena (West Side Story), die im selben Kleid wie 1962 auf die Bühne kam. Die Diven erinnerten wieder daran, dass es sich um die Jubiläumsa­usgabe zum 90er handelte, bei der man das, was Hollywood sonst so gut kann, zu sehr vernachläs­sigte: sich einfach selbst zu feiern.

So kündete die Nacht in diesen Zeiten des Umbruchs vor allem von einem: der Vorsicht, nur nichts falsch zu machen.

Das Wiener Gartenbauk­ino zeigt ab 9. März eine Guillermo-del-Toro-Werkschau

 ?? / ?? Sie fühle sich gerade wie die Snowboarde­rin Chloe Kim, die aus der olympische­n Halfpipe torkelt, sagte Frances McDormand, als sie am Sonntag mit einem Oscar als beste Hauptdarst­ellerin in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ausgezeich­net wurde. Ihre Dankesrede, bei der sie auf die Lage der Frauen in der Filmbranch­e verwies (und dafür von Meryl Streep zwei Daumen hoch bekam), war ein Höhepunkt der 90. Oscarnacht. Guillermo del Toros „The Shape of Water“wurde mit insgesamt vier Trophäen, darunter jener für den besten Film, zum großen Gewinner.
/ Sie fühle sich gerade wie die Snowboarde­rin Chloe Kim, die aus der olympische­n Halfpipe torkelt, sagte Frances McDormand, als sie am Sonntag mit einem Oscar als beste Hauptdarst­ellerin in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ausgezeich­net wurde. Ihre Dankesrede, bei der sie auf die Lage der Frauen in der Filmbranch­e verwies (und dafür von Meryl Streep zwei Daumen hoch bekam), war ein Höhepunkt der 90. Oscarnacht. Guillermo del Toros „The Shape of Water“wurde mit insgesamt vier Trophäen, darunter jener für den besten Film, zum großen Gewinner.
 ??  ?? Beste Darsteller­innen und Darsteller zeigen vor, wie Enthusiasm­us aussieht: Sam Rockwell, Frances McDormand, Allison Janney und Gary Oldman (v. li.).
Beste Darsteller­innen und Darsteller zeigen vor, wie Enthusiasm­us aussieht: Sam Rockwell, Frances McDormand, Allison Janney und Gary Oldman (v. li.).
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Ohne Stilettos: Das Moderatori­nnenduo Tiffany Haddish und Maya Rudolph punktete mit Blackness-Witzen.
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Jordan Peele, Regisseur der antirassis­tischen Horrorkomö­die „Get Out“, wurde für das beste Drehbuch ausgezeich­net.
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Glamourös: die 93-jährige Eva Marie Saint.
 ??  ?? Doppeltgri­nser: Regissseur Guillermo del Toro.
Doppeltgri­nser: Regissseur Guillermo del Toro.

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