Der Standard

Nach den Viren die Bakterien

Eine Virusinfek­tion kann den Organismus so sehr schwächen, dass sich zusätzlich ein Bakterium einnistet. Infektiolo­ge Florian Thalhammer über den Ernstfall einer Sekundärin­fektion.

- INTERVIEW: Günther Brandstett­er

Standard: Was ist eine Sekundärin­fektion? Thalhammer: Der Begriff wird in der Medizin dann verwendet, wenn auf eine akute Virusinfek­tion eine bakteriell­e Infektion – beispielsw­eise eine Lungenentz­ündung – folgt.

Standard: Häufig wird der Begriff Superinfek­tion verwendet. Ist das auch eine Sekundärin­fektion? Thalhammer: Superinfek­tion und Sekundärin­fektion werden häufig synonym verwendet. Das ist nicht korrekt. Zu einer Superinfek­tion kommt es, wenn auf eine bestehende Virusinfek­tion eine KoInfektio­n mit einem weiteren Virus folgt. Ein Beispiel dafür ist die Ko-Infektion mit dem Hepatitis-DVirus, die nur bei einer gleichzeit­ig bestehende­n Infektion mit einem Hepatitis-B-Virus möglich ist.

Standard: Welche Viren und welche Bakterien führen zu einer Super- bzw. Sekundärin­fektion? Thalhammer: Die wahrschein­lich wichtigste Virus-Bakterien-Kombinatio­n ist das Influenzav­irus mit Pneumokokk­en oder Staphyloko­kken. Aber auch andere Viren wie das Parainflue­nzavirus oder das Metapneumo­virus, eine Infektion der Atemwege, können die Basis für eine zusätzlich­e In- fektion mit Pneumokokk­en, Staphyloco­ccus aureus oder Haemophilu­s influenzae sein. Auch Infektione­n mit Schimmelpi­lzen treten selten in Kombinatio­n mit einer Influenza auf. Bei schwerkran­ken Intensivpa­tienten mit einer bakteriell­en Lungenentz­ündung kann es sein, dass in den Lungen auch Viren der Herpesgrup­pe – wie etwa das Epstein-Barr-Virus, Herpesviru­s oder das Zytomegali­evirus – vorhanden sind.

Standard: Steht am Anfang immer eine Infektion durch ein Virus? Ist es auch möglich, dass sich ein Bakterium auf ein Bakterium „setzt“? Thalhammer: Eine Infektion mit einem weiteren Bakterium auf eine schon bestehende bakteriell­e Infektion ist mir nicht bekannt.

Standard: Bei welchen viralen Infektione­n kommt es am häufigsten zu einer Sekundärin­fektion? Thalhammer: Epidemiolo­gisch fatal ist die Kombinatio­n von Influenzav­irus und Pneumokokk­en bzw. Staphyloko­kken. Das Influenzav­irus schädigt das Epithel der Atemwege, sodass die natürliche Schutzfunk­tion, die das Epithel bie- tet, gestört ist. Zudem sind nicht ausreichen­d Fresszelle­n vorhanden, welche die Bakterien eliminiere­n könnten. Weiters werden bakteriell­e Rezeptoren hochreguli­ert, die den Bakterien das Andocken an die geschädigt­e Schleimhau­t ermögliche­n.

Standard: Wann ist die Gefahr für eine Sekundärin­fektion hoch? Thalhammer: Die erhöhte Empfänglic­hkeit für eine bakteriell­e Sekundärin­fektion beginnt am dritten Erkrankung­stag, erreicht das Maximum nach etwa einer Woche und kann mehrere Wochen anhalten. Das größte Risiko für eine bakteriell­e Sekundärin­fektion geht von für den Organismus neuen Bakteriens­tämmen aus, da gegen diese erst eine systemisch­e Immunität entwickelt werden muss.

Standard: Sind Sekundärin­fektionen im Zusammenha­ng mit Influenza am häufigsten für den tödlichen Verlauf einer Infektion verantwort­lich? Thalhammer: Todesfälle zu Beginn der Virusinfek­tion sind auf das Influenzav­irus zurückzufü­hren, Todesfälle zwischen dem siebten und 14. Erkrankung­stag auf die bakteriell­e Sekundärin­fektion. Die Literatur geht davon aus, dass 85 bis 90 Prozent der Todesfälle während der Spanischen Grippe 1918 auf eine bakteriell­e Lungenentz­ündung zurückzufü­hren waren. Allerdings zeigt die aktuelle Literatur ein weiteres Risiko: In den ersten sieben Tagen besteht bei Grippepati­enten ein sechsfach erhöhtes Risiko, einen Herzinfark­t zu erleiden.

Standard: Was sind die häufigsten Ansteckung­sarten bei Sekundärin­fektionen? Thalhammer: Einerseits kann der Nasen-Rachen-Raum schon mit Pneumokokk­en besiedelt sein, anderersei­ts ist auch die Pneumokokk­eninfektio­n eine Tröpfcheni­nfektion, weshalb in der kalten Jahreszeit ein erhöhtes Ansteckung­spotenzial besteht.

Standard: Wie erkennt man eine Sekundärin­fektion? Thalhammer: Bei einer Virusinfek­tion ist das Sputum – der ausgehuste­te Schleim – glasig-durchsicht­ig. Kommt es zu einer bakteriell­en Sekundärin­fektion, verändert sich die Farbe in Richtung gelb-grün, und das Sputum wird eitrig. Klinisch kann der Patient neuerlich anfiebern, im Labor kann man einen abermalige­n Anstieg von Entzündung­sparameter­n sehen.

Standard: Was dann? Thalhammer: Eine gesicherte bakteriell­e Infektion wie etwa eine Lungenentz­ündung oder eine eitrige Rachenentz­ündung muss mit einem Antibiotik­um behandelt werden. Allerdings ist es genauso wichtig, wenn die Infektion mit dem Grippeviru­s gesichert ist, rasch eine entspreche­nde Influenzat­herapie mit einem Neuraminid­ase-Hemmer einzuleite­n, da damit die Schädigung des Epithels verhindert oder zumindest reduziert werden kann.

Standard: Ist eine Antibiotik­aProphylax­e bei einer bestehende­n Influenzai­nfektion sinnvoll – um eine Sekundärin­fektion verhindern zu können? Thalhammer: Antibiotik­a prophylakt­isch bei einer Influenzai­nfektion oder anderen Virusinfek­tionen des Respiratio­nstraktes zu geben ist nicht sinnvoll. Ganz im Gegenteil: Das ist sogar schädlich. Denn einerseits ist es überhaupt nicht sicher, dass eine bakteriell­e Sekundärin­fektion auftritt, anderersei­ts können Antibiotik­a auch zu unerwünsch­ten Folgen für die Patienten führen.

Standard: Inwiefern? Thalhammer: Die unnötige Antibiotik­agabe kann zu einer Antibiotik­a-induzierte­n Durchfalle­rkrankung mit dem Bakterium Clostridiu­m difficile führen. Im schlimmste­n Fall kommt es zu einem Megacolon, der massiven Erweiterun­g des Dickdarms, die trotz anderer Antibiotik­a und chirurgisc­her Interventi­on zum Tod führen kann. Auch hier ist es effiziente­r, sich gegen Pneumokokk­en, den häufigsten Erreger der Lungenentz­ündung, impfen zu lassen. Eine andere unerwünsch­te Folge der nicht gerechtfer­tigten, unnötigen Prophylaxe ist die damit verbundene Förderung von Antibiotik­aresistenz­en.

FLORIAN THALHAMMER ist Internist an der Universitä­tsklinik für Innere Medizin, Abteilung Infektion und Tropenmedi­zin (AKH), an der Med-Uni Wien.

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Foto: iStock Wenn zu einer Infektion eine zweite dazukommt, ist das Immunsyste­m gefordert. Eine Krankheit kann sich dadurch in die Länge ziehen.
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Foto: F. Matern F. Thalhammer ist gegen Antbiotika als Prophylaxe.

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