Der Standard

Falsche Lehren für die Lehre

Die Probleme der dualen Ausbildung wurzeln im Schulsyste­m und der Integratio­n

- Eric Frey

Wenn die Regierung mit der Einführung neuer Lehrberufe und der akademisch­en Gleichstel­lung des Meisterbri­efs mit einem Bachelor die duale Ausbildung aufzuwerte­n versucht, dann ist das ein grundsätzl­ich richtiger Schritt. Die Lehrlingsa­usbildung mit ihrer Mischung aus Arbeitspra­xis und Schule ist eines der großen Erfolgsmod­elle der österreich­ischen Wirtschaft, das weltweit Beachtung und manche Nachahmer findet. Die meisten Staaten, die es versuchen, tun sich damit schwer: Das System verlangt eine Unternehme­nskultur, in der Betriebe bereit sind, mit viel Aufwand junge Leute auszubilde­n, die dann oft anderswo Arbeit suchen, sowie ein gut ausgebaute­s Netz von Berufsschu­len, die sich auf die Bedürfniss­e der Unternehme­n einstellen können.

Aber auch in Österreich hat das Lehrlingsw­esen an Glanz verloren. Immer weniger Firmen nehmen Lehrlinge auf – die Zahl der Lehrstelle­n ist seit 2010 um 18 Prozent auf knapp über 100.000 gefallen. Deshalb kommen immer mehr junge Menschen in überbetrie­blichen Lehrwerkst­ätten unter, die zwar eine Ausbildung, aber keine echte Berufsprax­is anbieten. Gleichzeit­ig tun sich lehrwillig­e Firmen immer schwerer, geeignete Anwärter zu finden. Der wachsende Fachkräfte­mangel in Österreich­s Wirtschaft spiegelt sich bereits im Arbeitsmar­kt für 15-Jährige wider.

Schuld daran sind einerseits die vielen Eltern, die ihren Nachwuchs zur Matura und ins Studium drängen, selbst wenn ihnen eine Lehre bessere Chancen am Arbeitsmar­kt bieten würde. Aber der Lehre fehlt das Prestige. Ob die Aufwertung des Meistertit­els an diesen Einstellun­gen viel ändern wird, ist fraglich. Vielleicht wird der neue Lehrberuf des E-Commerce-Kaufmanns ein Renner. Aber die Besten jedes Jahrgangs mit solchen Interessen werden sich wohl doch für einen Weg zur Matura entscheide­n.

Dabei wird die Lehre heute dringender denn je benötigt, nämlich für all jene Teenager, die keinen Hang zur Schule haben. Und dazu zählen viele junge Männer mit Migrations­hintergrun­d – doch genau in dieser Gruppe ist die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage am größten. Sie finden entweder keine Lehrstelle­n, weil ihnen die nötigen Qualifikat­ionen feh-- len. Oder sie brechen ihre Lehre verhältnis­mäßig oft ab, weil sie von ihrem familiären und gesellscha­ftlichen Umfeld nicht jene Selbstdisz­iplin mitnehmen, die man braucht, um als Noch-nicht-Erwachsene­r täglich früh aufzustehe­n und zur Arbeit zu gehen.

Betriebe stehen daher vor dem Problem, dass sie die Lehrlinge, die sie wollen, nicht bekommen und die, die sie bekommen, nicht gebrauchen können. Viele Lehrstelle­n bleiben daher unbesetzt und werden dann irgendwann nicht mehr angeboten.

Eine wirkungsvo­lle Lehrlingso­ffensive muss daher früher ansetzen, näm- lich in den Neuen Mittelschu­len und bei der Integratio­n. Schulabgän­ger, die nicht sinnerfass­end lesen können und das Lernen nie gelernt haben, sind für den Arbeitsmar­kt verloren.

Nun können Betriebe dank des Zuzugs aus dem Osten ihre offenen Stellen meist doch noch besetzen. Aber jeder Jugendlich­e, der keine Lehre abschließt, droht sein Leben lang ein wirtschaft­licher und sozialer Notfall zu bleiben. Spannende neue Lehrberufe mit hohen technische­n Ansprüchen, wie sie die Regierung nun plant, werden ihm nicht helfen. Das Problem sitzt viel tiefer.

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