Der Doppelmord in der Währinger Straße 46
Die Chemie war jenes Fach, das unter den Nazis besonders hart zu leiden hatte, woran ein Buch und eine neue Gedenkwand erinnern
Wien – Von den Fächern der philosophischen Fakultät wurde die Chemie nach dem „Anschluss“1938 besonders stark in Mitleidenschaft gezogen: Allein an der Uni Wien wurden von den 20 Professoren und Dozenten zehn entlassen, also genau die Hälfte. Acht von ihnen gelang die Flucht ins Ausland, von denen kein einziger dauerhaft nach 1945 nach Österreich zurückkehrte. Der ebenfalls entlassene Chemiker Jacques Pollak starb im August 1942 nur einen Monat nach seiner Deportation in Theresienstadt. Seine Frau Wilhelmine überlebte ihn nur um wenige Wochen.
Kurz vor dem Ende des Krieges, am 5. April 1945, wurde das Chemie-Institut in der Währinger Straße 46 zudem Schauplatz eines politisch motivierten Doppelmordes, der Eingang in ein Buch des Schriftstellers Johannes Mario Simmel fand. In Wir heißen Euch hoffen (1980) schilderte der ausgebildete Chemiker und Augenzeuge, wie es zur Tat kam, der die beiden Uni-Assistenten Kurt Horeischy und Hans Vollmar zum Opfer fielen.
Horeischy war im Widerstand gegen das NS-Regime organisiert, genauer: in der Gruppe Tomsk, die sich regelmäßig im Keller des Ins- tituts traf. Als die Rote Armee vor der Eroberung Wiens stand, gab NS-Kurzzeitrektor Viktor Christian den vereinbarten Befehl zur Zerstörung des wertvollen Elektronenmikroskops, das den Russen nicht in die Hände fallen sollte. Als Horeischy und Vollmar die Zerstörung verhindern wollten,
Stephanie de la Barra, „Das Verbrechen ohne Rechtfertigung. Mord an Uni-Assistenten“, € 18,– / 160 Seiten. Mandelbaum, Wien 2018. erschoss der regimetreue Chemieprofessor Jörn Lange die beiden jungen Forscher. Der Täter wurde kurz nach der Befreiung Wiens verhaftet und vom Volksgericht Wien zum Tod durch Erhängen verurteilt, entzog sich jedoch der Vollstreckung durch Suizid.
Neuerliche Aufarbeitung
Die Historikerin Stephanie de la Barra hat den Strafprozess und das öffentliche Gedenken an die Tat – die aus heutiger Sicht etwas unglücklich formulierte Erinnerungstafel stammt aus dem Jahr 1947 – in einer Abschlussarbeit am Wiener Institut für Zeitge- schichte neu aufgearbeitet. Daraus ist der Band Das Verbrechen ohne Rechtfertigung entstanden, der am 13. März ab 16 Uhr am Ort des Geschehens präsentiert werden wird.
In Beisein der Chemiker Robert A. Shaw und Isaac P. Witz, die am Tag zuvor die Ehrendoktorwürde der Universität Wien verliehen bekommen, sowie des vertriebenen Chemikers und Wissenschaftshistorikers Robert Rosner enthüllen Rektor Heinz W. Engl und Dekan Bernhard Keppler eine neue Gedenkwand für die NS-Opfer Jacques Pollak, Kurt Horeischy und Hans Vollmar. (tasch)