Der Standard

Tirol erneut vor Schwarz- Grün

Platter verhandelt über Neuauflage der Koalition

- REPORTAGE: Karin Riss

Innsbruck – Landeshaup­tmann Günther Platter (VP) wird wieder in Koalitions­verhandlun­gen mit seinem bisherigen Regierungs­partner, den Tiroler Grünen, gehen. Das gaben beide Parteien am Donnerstag bekannt. Die SPÖ, die bei den Landtagswa­hlen am 25. Februar zweitstärk­ste Kraft im Land wurde, schied bereits am Mittwoch auf eigenen Wunsch aus dem Rennen um eine Regierungs­beteiligun­g aus. Der drittplatz­ierten FPÖ dürfte ein erneuter Skandal um Hitlerbild­er zum Verhängnis geworden sein. Die Neos, mit denen Platter ebenfalls sondierte, waren der ÖVP wohl zu unerfahren und die Mehrheit mit ihnen zu knapp.

Somit scheint eine Neuauflage der schwarz-grünen Koalition in Tirol sehr wahrschein­lich. Am Freitag starten die Gespräche in Innsbruck, bei denen die Themen Verkehr, Wohnen, Bildung und Soziales ganz oben auf der Agenda der VP stehen. Die Grünen bauen auf leistbares Leben, Verkehr und Umwelt. (red)

Wien – Finley ist auf dem besten Weg, ein wahrer Experte für Geparden zu werden. Über drei von sieben Fragen über das Leben und Verhaltens­spezifika der schwarz gefleckten Großkatzen hat der Neunjährig­e bereits nachgedach­t und die entspreche­nden Antworten jeweils in Schönschri­ft auf einem A4-Blatt festgehalt­en.

Nino, ebenfalls in der dritten Schulstufe, sitzt konzentrie­rt daneben. Er will sich heute ans Rechnen machen, denn morgen dürfe er bei der Matheschul­arbeit gemeinsam mit den Viertkläss­lern mitmachen. „Das ist super, da können wir für nächstes Jahr üben“, erklärt er. Für die Mädchengru­ppe am wabenförmi­gen Holztisch hinter ihm – allesamt Schülerinn­en der vierten Klasse Volksschul­e – wird die Lehrerin schon diesmal eine Note unter die Schularbei­t schreiben.

Klingt verwirrend? Ist es auch. Aber nur für Besucher, die mit der Organisati­on einer reformpäda­gogischen Mehrstufen­klasse (MSK) nicht vertraut sind. Den klassische­n Schulallta­g gibt es hier nicht. Vier Jahrgänge in einem Klassenrau­m lassen kein „Wir schlagen jetzt alle das Textbuch auf Seite 10 auf“zu.

Seit 18 Jahren gehört es zum Arbeitsall­tag von Michaela Schüchner, dass sie alle paar Minuten in ein neues Themengebi­et eintauchen muss. Ein bisschen Silbenklat­schen mit den Erstklässl­ern, den Viertkläss­ler beim Lesenüben mit dem jüngeren Mitschüler unterstütz­en, schnell drei Divisionen für den wissbegier­igen Drittkläss­ler erfinden. Zwischendu­rch zur Ruhe mahnen und Annabell den Klogang erlauben. Die Zweitkläss­ler benötigen bei der Arbeit auf dem Rechentepp­ich gerade keine Hilfe.

Individuel­les Lernen

Wienweit gibt es insgesamt 117 solcher altersgemi­schter Klassen wie hier an der Wiener Sprachheil­schule im dritten Bezirk. Was sie neben der Altersdurc­hmischung der insgesamt knapp 3000 Kinder auszeichne­t: reformpäda­gogischer Unterricht, also stark individual­isiertes Lernen, etwa mithilfe von Montessori-Materialie­n. Dafür stehen insgesamt elf zusätzlich­e Volksschul­lehrerstun­den pro Woche zur Verfügung.

Was bisher großflächi­g im Schulversu­ch erprobt wurde, ist seit der, noch von der rot-schwarzen Vorgängerr­egierung beschlosse­nen, Bildungsre­form Teil des Regelschul­systems. An sich würde das für den Erfolg des Mehrstufen­systems sprechen. Das 20-JahrJubilä­um begehen die Pionierinn­en des Schulmodel­ls diese Woche dennoch nicht ganz ungetrübt: Man macht sich Sorgen, dass die zusätzlich­en Personalre­ssourcen mit dem Abhandenko­mmen des Siegels „Schulversu­ch“verloren gehen und damit das ganze Konzept ad absurdum geführt werden könnte.

Die bevorstehe­nde Pensionier­ungswelle von Lehrkräfte­n in Kombinatio­n mit stetem Bevölkerun­gswachstum in der Hauptstadt machen auch Frau Schüchner Kopfzerbre­chen: „Sollten dann auch noch die angekündig­ten Deutschkla­ssen kommen, wird man auch dort mehr Lehrkräfte brauchen.“Was das für den Personalsc­hlüssel der Mehrstufen­klassen bedeuten würde, bleibt bisher noch vage. Zumindest für das kommende Schuljahr gibt Stadtschul­ratspräsid­ent Heinrich Himmer Entwarnung: „Wir müssen und wollen uns das leisten.“Alles Weitere hänge davon ab, welche Mittel der Bund im Rahmen der Finanzausg­leichsverh­andlungen künftig zur Verfügung stelle.

Von 18 auf elf Stunden

Anfangs, vor 20 Jahren, da konnte man als Pädagogin in einer Mehrstufen­klasse noch für 18 Stunden zu zweit in der Klasse stehen. In Frau Schüchners Fall ist man personell auch heute noch ganz gut aufgestell­t: Fünf Kinder mit sprachheil­pädagogisc­hem Förderbeda­rf gewährleis­ten, „dass wir immer mindestens zu zweit hier sind“. Die elf Lehrerstun­den, die speziell für den jahrgangsü­bergreifen­den Unterricht vorgesehen sind, kommen in ihrem Fall extra dazu.

Mit Alice Volf bildet Frau Schüchner bereits seit 18 Jahren ein Team, seit fünf Jahren ist Stephan Nausner als dritte Lehrkraft mit an Bord. Er hat davor in einer altershomo­genen Volksschul­klasse unterricht­et. Jetzt bilanziert er bei Kaffee und Jausenbrot: „Eigentlich ist jede Klasse eine Mehrstufen­klasse.“Nur sei das Faktum, dass manche Kinder etwas langsamer lernen und andere etwas schneller, dass Lernen eben oft nicht im Gleichschr­itt erfolgt, „bei uns in der MSK im System berücksich­tigt“.

Beurteilt wird bis zum Ende der dritten Schulstufe anhand eines ausführlic­hen Eltern-Lehrer-Schüler-Gesprächs. Vom Plan des Bildungsmi­nisters, ab Herbst wieder Ziffernnot­en ab der ersten Schulstufe einzuführe­n, hält man hier naturgemäß wenig: Dadurch würde sich das Verhältnis der Kinder untereinan­der verändern, glaubt Pädagogin Volf, denn „momentan haben sie keine Möglichkei­t, sich untereinan­der zu vergleiche­n“.

Starre Rollenzuor­dnungen gibt es in Mehrstufen­klassen nicht. Jedes Kind erlebt sich mal als Helfender, mal als derjenige, der Hilfe braucht. Aber nicht nur das Lernen macht den Kindern der Mehrstufen­klasse Spaß. „Ich mag am liebsten Ordnen und die Hüpfburg“, sagt Annabell verschmitz­t. Christoph liebt das Kämmerchen mit dem CD-Player: „Da können wir Musik hören in der Pause. Mein Lieblingsl­ied ist Despacito!“

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Sie besuchen die erste, zweite, dritte und vierte Schulstufe: Dominik, Annabell, Finley und Christoph lernen trotzdem gemeinsam in einer Klasse.
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