Der Standard

Die Rückkehr in die Unbekümmer­theit

Michaela Kirchgasse­r fährt am Samstag im Oberallgäu ihr 284. und letztes Rennen im Skiweltcup

- Andreas Gstaltmeyr

Wien – „Was mache ich bitte jetzt?“So beschreibt Michaela Kirchgasse­r dieses „komische Gefühl“am Tage vor dem Slalom in Ofterschwa­ng, ihrem 284. und letzten Skiweltcup­rennen am Samstag. Ihr erstes absolviert­e die Salzburger­in am 9. Dezember 2001 in Sestriere. Mit Startnumme­r 77 fuhr die damals 16-Jährige sofort in die Punkteräng­e. „Ich war unbekümmer­t.“

Diese Periode währte nicht ewig. Bis wann genau, kann sie gar nicht sagen. Nur dass die vielen Verletzung­en mitverantw­ortlich waren. Sie haben Kirchgasse­rs Karriere geprägt. Seit 2009, einem Sturz in Tarvis, musste sie jährlich unters Messer. Das linke Knie blieb ihre Schwachste­lle.

„Irgendwann denkt man sich: ‚Warum schon wieder ich?‘ Irgendwann geht’s dann nur noch darum, ins Ziel zu kommen. Nicht um die Zeiten“, sagt Kirchgasse­r. Es seien Momente, in denen man sich die Sinnfrage stellt. Und sobald man zu viel nachdenke, sei man nicht mehr schnell. Weiter gehe es aber trotzdem. „Es ist eine Sucht.“Diese trieb die Salzburger­in trotz aller körperlich­en Hinderniss­e immer und immer wieder den Hang runter. Unter anderem zu drei Weltcupsie­gen (Riesentorl­auf in der Sierra Nevada 2007, Slaloms in Kranjska Gora und in Schladming 2012).

An diesen Tagen brachte sie ihr Talent runter. Für manch Kritiker nicht oft genug. Ob mehr möglich gewesen wäre, darüber grübelte die 32-Jährige öfters selbst. „Bin ich zu blöd? Zu unkonzentr­iert? Riskier ich zu viel? Ich habe mental alle Möglichkei­ten ausgeschöp­ft. Was wäre, wenn, kann man sich als Sportlerin nicht fragen. Es hat vielleicht nicht sein sollen“, sagt die Frohnatur.

Eine solche blieb sie auch bei Interviews, wenn die verhängnis­vollen drei Buchstaben „DNF“(Did not finish) auf der Ergebnisli­ste prangten. „Manche haben deshalb geglaubt, mir ist das wurscht. Innerlich habe ich aber gebrodelt. Deshalb habe ich aber nicht das Recht, jemanden verbal umzuschnal­zen. Das musste ich mit mir ausmachen.“

Und bei Großereign­issen brachte sie ja oft zwei Läufe runter. Kirchgasse­r wurde dreimal Teamweltme­isterin, im Einzel glückte Silber im Slalom bei der HeimWM 2013 in Schladming.

Knie schwach, Wille stark

Noch mehr bedeutete ihr WMBronze in St. Moritz 2017, die zweite in der Kombi nach 2015. Ihr Knie machte ein Monat davor wieder Probleme. „Mit zwei Skitagen eine Medaille zu holen war pure Willenskra­ft.“

Ebenjene trieb sie auch danach an. Knie-OPs im März und Mai sollten ihr den Olympia-Traum er- möglichen. Vier Ausfälle in fünf Rennen waren aber letztlich zu viel. „Ich bin über meine Grenzen gegangen und kann mir nix vorwerfen. Vielleicht hätte ich mir in Pyeongchan­g auch nur schwer wehgetan.“

Auf ihre Karriere sei sie stolz. „Mein Ziel war immer, dass ich mich als Mensch weiterentw­ickel, aber nicht meinen Charakter verändere.“Für den Skizirkus gelte das nicht: „Die Leistungsd­ichte ist gestiegen. Mit nur noch Runterfahr­en bist du nicht mehr im zweiten Durchgang dabei. Die Damen sind athletisch­er geworden, durch diese Profession­alisierung aber auch egoistisch­er.“Ende der 2000- er-Jahre habe mehr Teamgeist geherrscht, „wir hatten abseits der Rennen mehr Gaudi“. Kirchgasse­r sieht darin aber eine internatio­nale Entwicklun­g: „Die neuen Vermarktun­gsmöglichk­eiten stellen die einzelnen Personen in den Fokus. Ich vermisse die Zeit vor den sozialen Netzwerken.“

Das ist aber nun nicht mehr ihre Baustelle. Für die Zukunft habe sie zwar bereits Pläne, spruchreif sei aber noch nichts. Vielleicht ist es nun einfach wieder Zeit, unbekümmer­t zu sein, auch wenn „Genießen nicht einfach ist“. Das war’s aber auch nicht in Sestriere. Ihre Gedanken damals vorm Start: „Was mach ich bitte da?“

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Foto: APA / Barbara Giendl Michaela Kirchgasse­r (32) blickt auf drei Weltcupsie­ge und auf sieben WM-Medaillen zurück.

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