Die Rückkehr in die Unbekümmertheit
Michaela Kirchgasser fährt am Samstag im Oberallgäu ihr 284. und letztes Rennen im Skiweltcup
Wien – „Was mache ich bitte jetzt?“So beschreibt Michaela Kirchgasser dieses „komische Gefühl“am Tage vor dem Slalom in Ofterschwang, ihrem 284. und letzten Skiweltcuprennen am Samstag. Ihr erstes absolvierte die Salzburgerin am 9. Dezember 2001 in Sestriere. Mit Startnummer 77 fuhr die damals 16-Jährige sofort in die Punkteränge. „Ich war unbekümmert.“
Diese Periode währte nicht ewig. Bis wann genau, kann sie gar nicht sagen. Nur dass die vielen Verletzungen mitverantwortlich waren. Sie haben Kirchgassers Karriere geprägt. Seit 2009, einem Sturz in Tarvis, musste sie jährlich unters Messer. Das linke Knie blieb ihre Schwachstelle.
„Irgendwann denkt man sich: ‚Warum schon wieder ich?‘ Irgendwann geht’s dann nur noch darum, ins Ziel zu kommen. Nicht um die Zeiten“, sagt Kirchgasser. Es seien Momente, in denen man sich die Sinnfrage stellt. Und sobald man zu viel nachdenke, sei man nicht mehr schnell. Weiter gehe es aber trotzdem. „Es ist eine Sucht.“Diese trieb die Salzburgerin trotz aller körperlichen Hindernisse immer und immer wieder den Hang runter. Unter anderem zu drei Weltcupsiegen (Riesentorlauf in der Sierra Nevada 2007, Slaloms in Kranjska Gora und in Schladming 2012).
An diesen Tagen brachte sie ihr Talent runter. Für manch Kritiker nicht oft genug. Ob mehr möglich gewesen wäre, darüber grübelte die 32-Jährige öfters selbst. „Bin ich zu blöd? Zu unkonzentriert? Riskier ich zu viel? Ich habe mental alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Was wäre, wenn, kann man sich als Sportlerin nicht fragen. Es hat vielleicht nicht sein sollen“, sagt die Frohnatur.
Eine solche blieb sie auch bei Interviews, wenn die verhängnisvollen drei Buchstaben „DNF“(Did not finish) auf der Ergebnisliste prangten. „Manche haben deshalb geglaubt, mir ist das wurscht. Innerlich habe ich aber gebrodelt. Deshalb habe ich aber nicht das Recht, jemanden verbal umzuschnalzen. Das musste ich mit mir ausmachen.“
Und bei Großereignissen brachte sie ja oft zwei Läufe runter. Kirchgasser wurde dreimal Teamweltmeisterin, im Einzel glückte Silber im Slalom bei der HeimWM 2013 in Schladming.
Knie schwach, Wille stark
Noch mehr bedeutete ihr WMBronze in St. Moritz 2017, die zweite in der Kombi nach 2015. Ihr Knie machte ein Monat davor wieder Probleme. „Mit zwei Skitagen eine Medaille zu holen war pure Willenskraft.“
Ebenjene trieb sie auch danach an. Knie-OPs im März und Mai sollten ihr den Olympia-Traum er- möglichen. Vier Ausfälle in fünf Rennen waren aber letztlich zu viel. „Ich bin über meine Grenzen gegangen und kann mir nix vorwerfen. Vielleicht hätte ich mir in Pyeongchang auch nur schwer wehgetan.“
Auf ihre Karriere sei sie stolz. „Mein Ziel war immer, dass ich mich als Mensch weiterentwickel, aber nicht meinen Charakter verändere.“Für den Skizirkus gelte das nicht: „Die Leistungsdichte ist gestiegen. Mit nur noch Runterfahren bist du nicht mehr im zweiten Durchgang dabei. Die Damen sind athletischer geworden, durch diese Professionalisierung aber auch egoistischer.“Ende der 2000- er-Jahre habe mehr Teamgeist geherrscht, „wir hatten abseits der Rennen mehr Gaudi“. Kirchgasser sieht darin aber eine internationale Entwicklung: „Die neuen Vermarktungsmöglichkeiten stellen die einzelnen Personen in den Fokus. Ich vermisse die Zeit vor den sozialen Netzwerken.“
Das ist aber nun nicht mehr ihre Baustelle. Für die Zukunft habe sie zwar bereits Pläne, spruchreif sei aber noch nichts. Vielleicht ist es nun einfach wieder Zeit, unbekümmert zu sein, auch wenn „Genießen nicht einfach ist“. Das war’s aber auch nicht in Sestriere. Ihre Gedanken damals vorm Start: „Was mach ich bitte da?“