Der Standard

Wie Evolution Spinnen verändert

Obwohl Charles Darwins Evolutions­theorie seit fast 160 Jahren diskutiert wird, sind noch immer viele Fragen offen. Eine Spinnengat­tung auf Hawaii liefert nun neue Hinweise, wie die Natur neue Arten hervorbrin­gt.

- Thomas Bergmayr

Berkeley/Wien – Vor etwa drei Millionen Jahren wob – vermutlich in Asien – eine Gruppe von Spinnen ein Segel aus Seide, hielt es in den Wind und flog damit über den Pazifik bis nach Hawaii. Diese spezielle Art führte ein parasitäre­s Leben: Sie überfiel die Netze anderer Spinnen und schnappte sich die dort bereits gefangenen Insekten. Auf den hawaiische­n Inseln fanden die arachniden Reisenden damals allerdings noch nicht allzu viele Netze vor, die man hätte ausrauben können. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihren Speiseplan umzustelle­n, und sie wählten andere Spinnen, die bereits zuvor Hawaii besiedelt hatten, als ihre bevorzugte Beute.

Schnelle Diversifik­ation

Aus diesen spinnenfre­ssenden Neuankömml­ingen entwickelt­en sich rasch unterschie­dliche Arten. Die einen bevorzugte­n ein Dasein auf Felsen, andere lebten unter Blättern, und wieder andere fühlten sich zwischen Flechten am wohlsten. Heute kennt man dieses evolutionä­re Phänomen als adaptive Radiation. Entdeckt hat es Charles Darwin im 19. Jahrhunder­t auf den Galapagosi­nseln anhand unterschie­dlicher Schnabelfo­rmen bei Finken. Und obwohl ihn seine Finken-Studien letztlich zur Evolutions­theorie auf Basis natürliche­r Selektion geführt haben, ist bis heute noch vieles darüber unklar, wie adaptive Radiation und damit auch die Evolution selbst im Detail abläuft.

Entscheide­nde Mosaikbaus­teine zur Evolutions­theorie liefern nun allerdings die zur Gattung Ariamnes zählenden Spinnen, deren Vorfahren vor Jahrmillio­nen nach Hawaii gesegelt sind. Tatsächlic­h lässt sich anhand dieser mittlerwei­le 14 Arten umfassende­n Gruppe die Evolution sogar innerhalb bestimmter Grenzen vorhersage­n, wie nun ein Team um Rosemary Gillespie von der University of California, Berkeley, herausgefu­nden hat.

Die Wissenscha­fter berichten im Fachjourna­l Current Biology, dass die Vertreter dieser Spinnengat­tung auf den einzelnen Hawaii- Inseln jeweils in den Farben Gelb, Braun und Weiß vorkommen. Interessan­terweise sind diese Farbvarian­ten untereinan­der nicht so nahe miteinande­r verwandt wie jene Arten, die zwar unterschie­dlich gefärbt sind, aber auf einer einzelnen Insel vorkommen. Offenbar führten vielmehr die jeweiligen Umweltbedi­ngungen zu den verschiede­nen farblichen Erscheinun­gsformen.

Berechenba­re Evolution

„Diese wiederholt­en und damit vorhersagb­aren Farbausprä­gungen auf unterschie­dlichen Inseln sind außerorden­tlich fasziniere­nd, weil sie zeigen, wie Evolution vonstatten­geht“, erklärt Gillespie. „Eine solche Berechenba­rkeit der Evolution ist bisher nur sehr vereinzelt zu beobachten gewesen.“

Gillespie und ihre Kollegen gehen davon aus, dass die heute existieren­den Ariamnes-Arten auf den einzelnen Hawaii-Inseln jeweils aus einer einzigen Spezies hervorgega­ngen sind. Damit wäre eine weiße Ariamnes auf Oahu näher mit einer braunen Ariamnes auf derselben Insel verwandt als beispielsw­eise mit einer weißen Ariamnes-Spinne auf Maui.

„Wir konnten diese Spinnen in so gut wie jedem Habitat auf den Inseln des Hawaii-Archipels finden“, sagt Gillespie. „Diese besonders detaillier­te und auf die Umgebung abgestimmt­e Wiederholu­ng evolutionä­rer Eigenschaf­ten ist nach bisherigen Erkenntnis­sen äußerst selten.“

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Die gelbe Ariamnes-Spinne von Molokai ähnelt Arten der gleichen Gattung auf anderen Hawaii-Inseln. Wirklich näher verwandt ist sie allerdings mit anders gefärbten Arten auf derselben Insel.
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Diese AriamnesSp­ezies auf Maui versteckt sich vor allem in Flechten. Ähnliche weiße Arten kommen auch auf anderen Hawaii-Inseln vor.

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