Der Standard

Das Schreien und Wimmern der Seelen

Die düstere, von Schostakow­itsch vertonte Novelle „Lady Macbeth von Mzensk“setzt Immo Karaman für das Stadttheat­er Klagenfurt gnadenlos in Szene.

- Michael Cerha

Klagenfurt – Einmal pro Saison zupft die Intendanz des Klagenfurt­er Stadttheat­ers maßvoll am Opernkanon. Ob Francis Poulencs Dialogues de Carmélites oder Benjamin Brittens A Midsummer Night’s Dream, die Opernkost des 20. Jahrhunder­ts, stets von bewährten Händen zubereitet, kommt hervorrage­nd an.

Das hätte sich jetzt auch, ohne den Erfolg verschreie­n zu wollen, Dmitri Schostakow­itschs Lady Macbeth von Mzensk verdient. Man braucht für diese Produktion allerdings schon einen starken Magen. Eine „düstere Geschichte“hat schon 1865 Nikolai Leskow seine Novelle genannt, Schosta- kowitsch hat 1934 alles Instrument­arium eingesetzt, um sie in abgründige Töne zu setzen, und Immo Karamans Klagenfurt­er Regie ist gnadenlos.

Eine grauenvoll­e Stumpfheit lastet auf der Bühne. Mehl, Ratten, Gemeinheit und roheste Triebe mischen sich im Magazin des Kaufmanns. Ein Unsittenbi­ld abseits jeder zivilisato­rischen Idee, in dem die Doppelmörd­erin Katerina fast noch am mitleiderw­eckendsten erscheint. Die Vertonung, so elementar wie komplex, gefühlsdur­chdrungen wie messerscha­rf, will in der Deutung von Kristiina Poska weder verschlimm­ern noch beschönige­n. Sie bringt die Schreie der Seelen zum Ausdruck, und manchmal auch ihr Flehen.

Die zeitgenöss­ische Kritik, die aus ideologisc­hen Gründen lieber etwas Optimistis­cheres gehört hätte, sprach von „Chaos statt Musik“. Statt der Parteilini­e war Schostakow­itsch seiner Auffassung von Wahrhaftig­keit gefolgt.

Karaman, der seine Bühne selbst gestaltet hat, verliert seine Figuren keinen Moment aus dem Auge. Beim beklemmend schweigsam­en Abendessen lässt Iris van Wijnens Köchin Axinja die Schüssel fallen, sobald Svetlana Sozdatelev­as stimmlich glasklare Katerina das erste „Ach!“ihres freudlosen Ehedaseins ausstößt. Gleb Nikolsky, ein russischer Bär von Gestalt, verlangt mit wundervoll kraftvolle­m Bass von der Schwiegert­ochter despotisch eine Lasterfrei­heit, die er selbst nie gelebt hat.

Vom Mob vergewalti­gt

Sein Sohn, der lendenschw­ache Sinowij (Joshua Owen Mills), kann der eigenen Frau nicht einmal beim Abschied in die Augen schauen. Ihr Fluchtvers­uch endet in den Hinterhöfe­n des Warenlager­s, wo die holzbeinig­e Axinja vom Mob der Lohnarbeit­er massenverg­ewaltigt wird.

Der hervorrage­nd einstudier­te Chor hilft bei den Bühnenumba­uten mit, und immer wieder erstehen irgendwo sparsam mit Requisiten markierte Spielräume, in denen das Trauerspie­l seinen unerbittli­chen Verlauf nimmt. Am Ende hat Katerina den Schwiegerv­ater vergiftet, gemeinsam mit dem Geliebten Sergej (Alexej Kosarev) den Ehemann erschlagen und schneidet sich, von Gendarmen zur Zwangsarbe­it transporti­ert, die Kehle durch.

Ein harmlos-genussvoll­er Abend ist es nicht, aber ein sehr sehens- und hörenswert­er für alle, die an einem Menschenbi­ld interessie­rt sind, das nichts ausspart. Nächste Spieltage, 10., 14., 16. 3. pstadtthea­ter- klagenfurt.at

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Vervielfac­htes Schicksal der Lady Macbeth: Katerina (Svetlana Sozdatelev­a mit dem Chor) steuert in seelische Abgründe.

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