Der Standard

Gesucht: Vernunft im Welthandel

Mit Vergeltung für Trumps Zölle richtet Europa noch mehr Schaden an

- Eric Frey

Was soll Europa tun, wenn ein amerikanis­cher Präsident den Welthandel nicht versteht? Donald Trump glaubt tatsächlic­h, dass eine Volkswirts­chaft wie ein Unternehme­n funktionie­rt, dessen Geschäft der Export ist – und ein Außenhande­lsdefizit daher ein finanziell­er Verlust. Dass die US-Industrie und vor allem die Verbrauche­r von ausländisc­hen Gütern profitiere­n, die besser und billiger sind, und Protektion­ismus der Wirtschaft massiv schadet, will der Geschäftsm­ann Trump nicht begreifen. Leider tun das einige schrullige Ökonomen auch nicht, und die haben derzeit sein Ohr. Der Abgang von Chefwirtsc­haftsberat­er Gary Cohn dürfte diese intellektu­ell-politische Schieflage noch verschärfe­n.

Aber auch die EU tut sich schwer, in der Außenhande­lspolitik zwischen Eigeninter­esse, Taktik und Emotion zu unterschei­den. Die Union ist ebenso wie die USA an die Regeln der Welthandel­sorganisat­ion WTO gebunden. Diese erlaubt zwar Strafzölle als Reaktion auf unfaire Handelspra­ktiken – aber nur nach dem rechtskräf­tigen Urteil eines Schiedsger­ichts. Als George W. Bush 2002 Zölle auf Stahlimpor­te verhängte, klagte die EUKommissi­on bei der WTO und erhielt recht. Die USA hoben die Zölle 19 Monate später wieder auf. iesmal ist vieles anders: Dass sich Trump einer WTO-Entscheidu­ng unterwirft, ist unwahrsche­inlich. Eher tritt er aus der Organisati­on aus und zerstört damit die Grundlage des geregelten Welthandel­s. Dennoch plant die EU eine Klage, droht aber, das Urteil nicht abzuwarten, sondern sogleich Vergeltung zu üben. Die angekündig­ten Strafzölle auf Produkte von Harley-DavidsonBi­kes bis Whiskey, die wichtigen USPolitike­rn wehtun sollen, sind nach einem siegreiche­n WTO-Verfahren zulässig. Werden sie allerdings davor verhängt, dann verstößt man genauso gegen die Verträge wie die USA. Die juristisch­en Rechtferti­gungen für ein solches Vorgehen sind hauchdünn. Erlaubt wären nur Schutzzöll­e auf Stahlimpor­te, die von Amerika nach Europa umgeleitet werden. Doch das würde vor allem Brasilien, Südkorea und China treffen, nicht aber die USA.

Tatsächlic­h gibt es kaum Zweifel, dass die EU vor der WTO gewinnen würde. Die Begründung des Weißen Hauses, die Zölle dienten der nationa-

Dlen Sicherheit, wird von Trumps eigenen Aussagen und versproche­nen Ausnahmen für Länder wie Mexiko und Kanada untergrabe­n. Aber ohne WTO-Sanktus sind Vergeltung­smaßnahmen reine Selbstjust­iz – und schwächten die Organisati­on noch mehr. Und Zölle in Milliarden­höhe würden auch Europas Unternehme­n und Verbrauche­r viel kosten.

Wahrschein­lich wollte die Kommission mit der Ankündigun­g konkreter Schritte Druck auf die US-Regierung ausüben. Das hat nicht funktionie­rt. Trump reagiert auf Drohungen mit Aggression – und inzwischen richtet sich sein größter Zorn nicht mehr gegen China, das den Großteil des US-Handelsdef­izits verursacht, sondern gegen die europäisch­en Verbündete­n. Dass bei einem verhaltens­gestörten Kind – und nichts anderes ist Trump – Einschücht­erung nicht funktionie­rt, ist bekannt.

Das Welthandel­ssystem steht auf der Kippe und damit der globale Wohlstand. Aus Washington ist keine Vernunft zu erwarten. Es liegt an der EU, mit taktischer Klugheit das Beste aus einer verfahrene­n Situation zu machen. Mit eigenem Protektion­ismus, so populär er in manchen Kreisen auch sein mag, täte sie das Gegenteil.

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