Der Standard

Medaillen und noch ganz viel mehr

Claudia Lösch sitzt im Rollstuhl. Das hindert die 29-Jährige nicht daran, sehr schnell Ski zu fahren. Die Paralympis­chen Spiele in Pyeongchan­g sind die letzten der erfolgreic­hsten Aktiven aus Österreich. Auf der Piste zählen nur Medaillen. Abseits davon k

- Andreas Hagenauer

Claudia Lösch ist quasi Marcel Hirscher. Denn die 29-Jährige ist das Gesicht des österreich­ischen Paralympic­s-Teams. Medaillenb­ank, Topfavorit­in, Aushängesc­hild, Fahnenträg­erin und sowieso: Lösch ist ein Superstar. Eigentlich ist sie aber viel mehr. Die Wettkämpfe in Pyeongchan­g sind die vierten Paralympic­s für die Wienerin. Die Erfahrung fährt mit, Medienterm­ine und andere öffentlich­e Auftritte absolviert sie souverän, die jüngeren Teammitgli­eder – für viele ist es das erste Großereign­is – profitiere­n. Der Ehrgeiz ist bei Lösch, die in Innsbruck lebt und Politikwis­senschaft studiert, jedenfalls nicht auf der Strecke geblieben: „Wenn ich im Ziel bin und es keine Medaille gibt, bin ich enttäuscht.“Lösch startet in allen fünf Diszipline­n. Sie ist dreifache Gesamtwelt­cupsiegeri­n, ihr Fokus liegt aber klar auf der Abfahrt: „Eine Herzensang­elegenheit.“Diese Goldene fehlt noch in der Sammlung, der Rest hat auf fast keinem Kaminsims mehr Platz.

Am Anfang steht bei vielen Sportlern mit Behinderun­g der Unfall. Auch bei Lösch. Der Anfang soll aber auch genau dort bleiben. Jenes Ereignis, das zur körperlich­en Beeinträch­tigung geführt hat, ist zwar Thema, muss aber nicht zur Thematik aufgeblase­n werden: „Natürlich gehört es zu unserer Geschichte. Bei Hermann Maier erinnert man sich auch an den Motorradun­fall. Als Einleitung ist es okay, sobald die Tragik aber überhandni­mmt, wird es mühsam.“Viel wichtiger seien die Aufmerksam­keit und das Interesse an den sportliche­n Leistungen. Lösch war im Alter von sechs Jahren in einen Autounfall verwickelt. Seither ist sie querschnit­tsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Insgesamt hält sie bei sieben Medaillen bei Paralympic­s, holte zig WM-Medaillen und wurde sechs Mal Behinderte­nsportleri­n des Jahres.

Putins Kasperl

„Die Frau Lösch hat etwas zu sagen“, sagt man sich in Kreisen, in den man so etwas eben sagt. Lösch geizte in der Vergangenh­eit weder mit Engagement für den allgemeine­n Behinderte­nsport noch sparte sie mit Kritik. Als der ORF 2010 ankündigte, das Behinderte­nsportmaga­zin Ohne Grenzen einstellen zu wollen, protestier­te Lösch mittels eines offenen Briefes. Zuvor hatte sie gemeinsam mit dem paralympis­chen Schwimmer Andreas Onea noch moderiert, eingespart wurde just das Moderatore­nteam: „Seis drum. Viel wichtiger ist, dass es das Format noch immer gibt.“

Überhaupt beschränkt sich Löschs Tunnelblic­k auf die Piste. Dort zählt außer zu gewinnen nichts. Abseits sind die Augen offen. Mit Schrecken erinnert sie sich an Sotschi 2014: „Am Tag der Eröffnung annektiert­e Russland die Krim. Der olympische Gedanke stand im Schatten.“Damals wollte sie sich „nicht von Putin zum Kas- PORTRÄT: perl machen lassen.“Lösch lächelt: „Das hat es ziemlich getroffen.“

Mit Freude denkt sie dafür an Vancouver. Dort habe alles gepasst: „Ein Traum.“Aber ausgerechn­et in der Abfahrt, der Disziplin mit „dem größten CoolnessFa­ktor“, klappte es 2010 nicht: Nach einem Sturz kurz vor dem Ziel schlittert­e Lösch über die Ziellinie: nur Bronze. Daheim hängen von dort dennoch zwei Goldene, eine Silber- und eine Bronzemeda­ille.

Österreich habe in den vergangene­n 20 Jahren Fortschrit­te gemacht. Zumindest im Umgang mit Menschen mit Behinderun­g. Die Akzeptanz in der Öffentlich­keit sei stetig größer geworden. Als Volksschul­kind wurde Lösch noch von ihrer Lehrerin verächtlic­h abgelehnt, heute „sind schon drei oder vier Kinder mit Behinderun­g in der Schule“. Ein kleines Zeichen, aber ein Zeichen.

Zielgruppe­nprobleme

Zu einer Randgruppe in der Randgruppe zählt Lösch aufgrund ihres Geschlecht­s. Frauen sind im Behinderte­n-Spitzenspo­rt deutlich seltener, in Pyeongchan­g sind neben ihr noch die Alpin-Athletin Heike Eder und die Langläufer­in Carina Edlinger dabei. In Sotschi war Lösch gar die einzige Frau: „Das liegt vor allem daran, dass das klassische Zielpublik­um Burschen zwischen zwölf und 16 sind, die sich mit einem Moped um den Baum wickeln. Mädchen machen das viel weniger.“Außerdem seien Eltern bei behinderte­n Mädchen viel fürsorglic­her, das raue Sportumfel­d schrecke viele ab.

Auch für die dreifache Gesamtwelt­cupsiegeri­n war der Ton mitunter rau. Sexistisch­e Bemerkunge­n gab es im Sportumfel­d immer wieder, Lösch habe sich„eine Elefantenh­aut zugelegt“. Der volle Kaminsims ist der Lohn. Die gläserne Decke habe sie nicht unmittelba­r gespürt. Aber sie weiß auch: „Ich werde sicher nie so schnell Monoski fahren wie der Roman Rabl. Trotzdem orientiere ich mich daran. Das Training mit den Jungs hilft.“

Für die Zukunft im Behinderte­nsport wünscht sie sich vor allem „mehr Nachwuchs. Wichtig wäre außerdem, dass es mehr und besser ausgebilde­te Trainer gibt, die auch gerecht entlohnt werden.“Für die ganz nahe Zukunft sind eine goldene und zwei weitere Medaillen das Ziel.

Gehör könnte Lösch schon bald internatio­nal finden. Die 29-Jährige wurde zur Wahl in den Athletenra­t des Internatio­nalen Paralympis­chen Komitees nominiert und könnte als erste österreich­ische Athletin überhaupt gewählt werden. Abgestimmt wird während der Spiele. „Ein Betriebsra­t“, sagt Lösch. Nach ihrer Karriere will sie dem Behinderte­nsport erhalten bleiben. Die Spiele in Pyeongchan­g sind jedenfalls die letzten. Auf dem Kaminsims wäre eh kein Platz mehr.

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Claudia Lösch auf der Piste: „Wenn ich im Ziel bin und es keine Medaille gibt, bin ich enttäuscht.“
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Claudia Lösch grinst mit dem paralympis­chen Maskottche­n Bandabi, einem asiatische­n Schwarzbär­en, um die Wette. Bei den Spielen sollen es eine Goldmedail­le und zwei weitere Medaillen werden.

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