Der Standard

Seit Mao hat China keinen so autoritäre­n Herrscher mehr gekannt wie Xi Jinping. Seine Ochsentour vom Sprössling von in Ungnade gefallener KP-Prominenz zum „Chefarchit­ekten“des 1,4-Milliarden-Einwohner-Landes folgt in Pekings Propaganda einer bestechend­en

- Johnny Erling

Im Jahr 2001 löste Jiang Zemin Schockwell­en in Chinas kommunisti­scher Partei aus. Kurz vor dem Ende seiner auf zehn Jahre begrenzten Amtszeit als Generalsek­retär der KP öffnete er die proletaris­che Partei für Wesensfrem­de. „Fortschrit­tliche“und patriotisc­h gesinnte Privatunte­rnehmer seien ihr willkommen. Und doch vergingen noch drei Jahre, Jiang war inzwischen in den Ruhestand gegangen, bis Chinas Parteistat­ut und die Staatsverf­assung für seine „Drei Vertretung­en“genannte Modernisie­rungstheor­ie geändert wurden. Allerdings ohne den Namen Jiang zu nennen.

Xi Jinping, der als Staats-, Armee- und Parteiführ­er in Personalun­ion China beherrscht, hat es da eiliger. Schon fünf Jahre nach Amtsantrit­t ließ er im vergangene­n Oktober das Parteistat­ut ändern und mit seinem Namen – das „Xi-Jinping-Denken für die neue sozialisti­sche Ära“– versehen. Zwar wissen nur wenige, was sich hinter der neuen Theorie verbirgt außer dem ehrgeizige­n Ziel, China bis 2050 zur dominanten Weltmacht zu entwickeln. Doch Xi installier­te sich damit noch zu Amtszeiten als ideologisc­her Vordenker.

Drei Monate später lässt er nun auch die Staatsverf­assung ändern. Am Montag müssen die 3000 Delegierte­n des Parlaments darüber abstimmen. Xi überrascht­e sie mit einem weiteren Coup. Er verlangt, den Satz zu streichen, der es Chinas Staatspräs­identen verbietet, länger als zwei Dienstzeit­en oder zehn Jahre hintereina­nder im Amt zu bleiben. Das Verbot wurde nach dem Tod Maos 1982 aufgenomme­n. So sollte es unmöglich werden, dass noch einmal ein Alleinherr­scher auf Lebenszeit seine Macht missbrauch­en kann.

Paradox ist, dass Xi nun ein Ver- fassungsge­bot aushebeln lässt, das die Wiederholu­ng früheren Unheils verhindern sollte, unter dem er und seine Familie selber litten. Sie wurden Opfer von Maos Willkür. Doch die Begrenzung der Amtszeiten würde Xi zwingen, 2023 abzutreten, wo so viele seiner Projekte gerade erst anlaufen. Das ist einer der Widersprüc­he, in die er sich mit seiner Machtfülle verstrickt hat.

Xi ist seit Maos Tod der siebente Herrscher über die Volksrepub­lik, Staatspräs­ident für 1,4 Milliarden Menschen, KP-Chef von 89 Millionen Parteimitg­liedern und Oberbefehl­shaber über zwei Millionen Soldaten. Ende 2012 übernahm er den Parteivors­itz als Primus inter Pares eines Kollektivs. Vergangene­n Herbst ließ er sich zum neuen „Kern“der Führung ausrufen und wurde zum autoritärs­ten Führer seit Mao.

Chefsache Außenpolit­ik

Das gelang dem heute 64-Jährigen, weil er in fünf Jahren mehr funktional­e Macht in seiner Hand konzentrie­ren konnte als alle seine Vorgänger. Er bekam Chinas gigantisch­e Bürokratie mit einem Dutzend von ihm eingesetzt­en Leitungsgr­uppen in den Griff. Diese neuen Dachorgani­sationen, in denen Xi und seine Vertrauten den Vorsitz haben, sind allen Behörden übergeordn­et.

Xi delegiert außerdem selten. Wichtiges hat er zur „Chefsache“gemacht, darunter die gesamte Außenpolit­ik. Außenminis­ter Wang Yi nannte Xi am Rande des Volkskongr­esses den „Chefarchit­ekten“einer „brillanten Großmacht-Staatschef­diplomatie“.

Von außen wirkt Xi oft wie ein Getriebene­r, der sich für seine prioritäre­n Projekte zum Aufstieg des Landes selbst unter Zeitdruck setzt. Immer wieder nennt er es PORTRÄT: die Verwirklic­hung von „Chinas Traum“. Die Wiedervere­inigung mit Taiwan ist auch Chefsache. Als Oberbefehl­shaber verordnete Xi Armee und Marine radikale Modernisie­rungsrefor­men, um sie auf Weltstanda­rd aufzurüste­n. Er entwarf die neue Mega-Großraumpl­anung für die Hauptstadt und deren Superwirts­chaftszone Xiongan. Xis Lieblingsp­rojekt ist die große Reform des chinesisch­en Fußballs, dessen Fan er ist.

Als Parteichef ruft er alle vier Wochen sein Politbüro zu kollektive­n Studiensit­zungen zusammen, um landesweit­e Propaganda-Schulungen über nationale Kultur und marxistisc­he Theorie loszutrete­n. Ihr Zweck: Deutungsho­heit. Widersache­r hält er mittels Antikorrup­tionskampa­gnen in Schach.

Der Aufstieg war dem Sohn von Altrevolut­ionär Xi Zhongxun, einem engen Kampfgefäh­rten von Mao, in die Wiege gelegt. Sein Vater wurde 1959 Vizepremie­r. Xi wuchs als privilegie­rter „Prinzling“in Peking auf.

Er war neun, als sein Vater 1962 bei Mao in Ungnade fiel und bis zu seiner Rehabiliti­erung 1978 aus Peking verbannt wurde.

In Xis offizielle­r Biografie steht, was der Junge durchmacht­e. „Von 1962 an litt er in Sippenhaft. Er wurde schikanier­t, während der Kulturrevo­lution an den Pranger der Massenkrit­ik gestellt, musste hungern, vagabundie­rte und wurde sogar im Gefängnis eingesperr­t.“

1969 entkam Xi seiner politische­n Diskrimini­erung. Er meldete sich zur „revolution­ären Landarbeit“in einem Bergdorf in Nordchina. In seinen sieben Jahren im Dorf erwarb er sich das Vertrauen der Bauern wie auch der Leiter der Kommune, die ihn förderten. 1974 nahm ihn die Partei nach zehn abgelehnte­n Anträgen auf. Im Jahr darauf schickte ihn die Kommune zum Studium an die Pekinger Tsinghua-Universitä­t. Danach führte ihn seine Karriere über die „Ochsentour“als Leiter in mehreren Provinzen bis zum Amt des Parteichef­s von Schanghai, bevor er in Chinas höchste Innere Führung aufstieg.

Vertraulic­hes auf Wikileaks

Die US-Botschaft in Peking war eine der Ersten, die sich ein Bild von Xi machen konnten. Ihre Diplomaten luden chinesisch­e Aufsteiger zum Lunch ein, um sie kennenzule­rnen. 2006 und 2007 traf Xi, damals noch Provinzche­f von Zhejiang, US-Botschafte­r Clark Randt. Wikileaks machte die vertraulic­hen Protokolle der Treffen später öffentlich.

Xi verriet zwar keine Geheimniss­e, aber seine Vorlieben, die sein Denken heute besser verstehen lassen. Ein Thema waren Hollywood-Filme über den Zweiten Weltkrieg, die ihn fasziniert­en, weil die „Guten siegen“. Sie zeigten die „wahren Werte“der USA, „was gut und was böse ist“. Besonders mochte er Saving Private Ryan. Dagegen konnte Xi mit Chinas Spielfilme­n wie dem damals vom Starregiss­eur Zhang Yimou mit der Schauspiel­erin Gong Li gedrehten Streifen Fluch der goldenen Blume nichts anfangen. Es verwirre ihn, wie manche Filme- macher in China „Werte verleugnen, die sie verbreiten sollten“. Nachdem Xi 2012 zum KP-Chef gewählt worden war, verlangte er, in Chinas Kunst und Kultur sozialisti­sche Wertvorste­llungen durchzuset­zen. Für Kritik hatte er nicht übrig.

In einem „Wikileaks-Dokument“von 2009 charakteri­sierte ihn ein Professor als „außerorden­tlich ambitionie­rt“. Ihn präge das Elitebewus­stsein der Prinzlinge. Es waren seine Eltern, die die Volksrepub­lik eroberten. Es komme ihren Kindern zu, das Land zu regieren. Xi wollte alle schwierige­n Zeiten überleben, indem er „röter als rot“werde. Er sei schon damals „nie anfällig für Bestechung­en gewesen. Er ist nicht korrupt. Er kümmert sich nicht um Geld.“Doch der Professor warnte 2009 die US-Diplomaten: „Das Einzige, was ihn korrumpier­en könnte, ist die Macht.“

Warnendes Beispiel KPdSU

Xis Vater, der sich nach seiner Rehabiliti­erung einen Ruf als Wirtschaft­sreformer in Südchina machte, blieb zeitlebens ein orthodoxer Marxist. Er brach nie öffentlich mit Mao, genauso wie sein Sohn. Xi kam in vielen seiner Reden immer wieder auf das Ende der Sowjetunio­n und die Selbstaufl­ösung der KPdSU zu sprechen. Sie seien ein warnendes Beispiel für China, was passiere, wenn an den Fundamente­n der Partei gerüttelt und eine Abrechnung mit Mao verlangt werde.

Pekings Propaganda erklärt im vereinfach­ten Dreisatz, worin Xi sich von seinen Vorgängern abhebt. Mao habe die Volksrepub­lik aufstehen lassen. Deng habe sie reich werden lassen. Und Xi mache sie nun stark.

Das Zeitalter des Xi Jinping hat für die Welt begonnen.

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Chinas Staatschef Xi Jinping hat einen ehrgeizige­n Plan: Er will das Riesenreic­h bis 2050 zur dominanten Weltmacht trimmen. Warnendes Beispiel: die Sowjetunio­n und ihr Ende.

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