Der Standard

„Nachhaltig bedeutet gar nichts mehr“

In seinem neuen Film widmet sich Werner Boote Greenwashi­ng. Mit dem EU-Abgeordnet­en Thomas Waitz diskutiert er über unehrliche Siegel, Arbeiter auf Palmölplan­tagen und notwendige Konflikte.

- Julia Schilly

INTERVIEW:

Standard: Seit Jahrzehnte­n wird uns versproche­n, dass wir mit unseren Kaufentsch­eidungen die Ozeane, den Regenwald oder die Orang-Utans retten können. Wieso gehen Sie in Ihrem neuen Film „The Green Lie“mit diesen Verspreche­n hart ins Gericht? Boote: Mit Konsum retten wir Unternehme­n, aber sicher nicht die Natur. Dazu braucht es einen grundlegen­den Wandel des Wirtschaft­ssystems und Menschen, die aus der Bewusstlos­igkeit des Konsums herausfind­en und mündige Bürger werden.

Standard: Also kaum Macht? Boote: Im Supermarkt gibt es nur ein paar sozial gerechte und ökologisch­e Produkte zu finden. Der Großteil ist es nicht. Und das ist der Wahnsinn. Warum darf das überhaupt hergestell­t werden? Waitz: Da bin ich ganz bei dir. Ausbeutung und Zerstörung dürfen nicht die Norm sein. Wir haben hohe EU-Lebensmitt­elstandard­s, aber gleichzeit­ig werden etwa Firmen in der Ukraine von europäisch­en Entwicklun­gsbanken finanziert. Dort werden 25 Millionen Hühner im Monat mit Methoden produziert, die in der EU längst verboten sind. Die einzigen Voraussetz­ungen sind hygienisch­e.

hat

der

Käufer

Standard: Aber ist dann nicht der Käufer schuld, wenn er so ein Fleisch kauft? Boote: Am ärgsten finde ich, wenn auf diejenigen gezeigt wird, denen es nicht so rosig geht. Wer wenig Geld hat, ist dann noch ein Umweltverb­recher. Waitz: Ich glaube aber nicht, dass man über Lebensmitt­elpreise Sozialpoli­tik machen sollte. Man sollte Menschen, die armutsbetr­offen sind, ausreichen­d Geld zur Verfügung stellen, damit sie sich das Notwendige leisten können. Boote: Richtig, die Produkte sollten den ehrlichen Preis haben.

Standard: Wer trägt also die Verantwort­ung für diese Entwicklun­g? Boote: Ein Grundprobl­em ist dieser Widerspruc­h: Vorstände von Konzernen müssen Gewinne maximieren. Und auf der anderen Seite bekennen sie sich freiwillig zu Umweltstan­dards und Men- schenrecht­en. Das funktionie­rt so nicht. Freiwillig­keit ist nicht einklagbar. Waitz: Dafür gibt es eigentlich Gesetze. Man darf ja auch kein Auto ohne Bremsen bauen, nur weil man mehr damit verdient. Denn sonst gibt es einen absehbaren Schaden. Dasselbe sollte auch für Lebensmitt­el gelten.

Standard: Ende der Sklaverei, Frauenrech­te, Demokratie: Noam Chomsky meint im Film, dass es keine großen Veränderun­gen ohne Konflikte gegeben hat. Müssen wir kämpferisc­her werden? Boote: Natürlich müssen wir kämpferisc­her sein. Denn Grund genug hätten wir ja. Je stärker die Aufmerksam­keit zu einem Thema ist, umso eher gibt man Politikern die Chance stärker gegen diverse Lobbygrupp­en aufzutrete­n.

Standard: Es gibt ein paar Beispiele im Film, wie Konzerne Greenwashi­ng betreiben. Sie üben zum Beispiel am „Runden Tisch für nachhaltig­es Palmöl“Kritik, den es seit 2004 gibt und der vom WWF und der Palmölindu­strie initiiert wurde. Wo liegen die Mängel? Boote: Für Umweltorga­nisationen ist es eine Katastroph­e, dass sie sich hier einspannen lassen. Denn die Konzerne bewegen sich freiwillig kein Stück, aber verwenden einen immensen Werbeetat, um ihren Kunden weiszumach­en, dass sie umweltbewu­sst sind, da sie sogar mit Umweltschu­tzorga- nisationen zusammenar­beiten. Die Branche holt sich ein grünes Siegel, das nichts anderes als Greenwashi­ng ist. Der Begriff „nachhaltig“ist für mich mittlerwei­le ein Gummibegri­ff, der gar nichts mehr bedeutet.

Standard: Wieso ist es kaum möglich, Palmöl für die Massenprod­uktion nachhaltig zu gewinnen? Boote: Es muss uns klar sein, dass das Palmöl von Plantagen kommt, wo vorher ein Regenwald war und wo Rodungen und Waldbrände stattgefun­den haben. Umwelt, Tiere und Menschen kamen zu Schaden.

Standard: Auf EU-Ebene gibt es einen Vorstoß. Das EU-Parlament will Palmöl im Biotreibst­off verbieten. Geht das weit genug? Waitz: Ab 2021 ist Palmöl als Beimischun­g verboten. Das war ein Kompromiss quer über alle Parteigren­zen hinweg. Man kann sich aber überhaupt fragen, ob es nicht der falsche Weg ist, Lebensmitt­el zu Treibstoff zu verarbeite­n.

Standard: Wie waren die internatio­nalen Reaktionen? Waitz: Die Industrie und einige EU-Staaten haben versucht, Palmöl als zentralen Bestandtei­l der Beimischun­g zu sichern. Es gab zudem bereits massive Beschwerde­n und diplomatis­che Aktivitäte­n von Indonesien oder Malaysia.

Standard: Ein Argument lautet, dass Arbeitsplä­tze verloren gehen. Das wird ja auch in „The Green Lie“thematisie­rt. Was hat Ihnen die Bevölkerun­g in Indonesien berichtet? Boote: Es gibt einige wenige, die von der Palmölwirt­schaft profitiere­n. Das sind unter anderen hochrangig­e Politiker, die Plantagen besitzen. Die Arbeitsbed­ingungen sind aber katastroph­al. Die Menschen könnten und würden wohl lieber etwas anderes arbeiten. Waitz: Die Arbeiter waren vorher oft Landwirte, die sich selbst versorgt haben. Das scheint aber in keiner Arbeitsmar­ktstatisti­k Indonesien­s auf. Sobald das Land von Palmölfirm­en übernommen wird und die Menschen Lohnarbeit­er werden, ist statistisc­h ein Job entstanden. Lebensqual­ität und Einkommen sind gesunken und die Abhängigke­it massiv gestiegen.

Standard: Wäre es sinnvoll, auf Produkten anzuzeigen, wie die ökologisch­en und sozialen Bedingunge­n bei der Produktion sind? Waitz: Wir schaffen es in Österreich nicht einmal, eine Herkunftsk­ennzeichnu­ng für Fleisch im Wirtshaus durchzubri­ngen. Ich möchte aber einer Aussage im Film widersprec­hen – dass man auch Siegeln wie Fairtrade nicht trauen darf. Ich habe mit der Entscheidu­ng, wie ich mein Geld ausgebe, sehr wohl eine ganz schöne Macht. Boote: Wobei man schon sagen muss, dass sich diese Siegel- und Prädikatsh­ersteller zu Handlanger­n des Greenwashi­ngs machen. Denn was passiert: Die großen Handelsket­ten machen eine Biomarke mit ein paar Produkten, bewerben das in großen Tönen und der Rest – also tausende Produkte – sind umweltzers­törerisch oder in menschenau­sbeutenden Situatione­n hergestell­t worden.

Standard: Haben Sie auch schon Erfahrunge­n mit der Vergabe von Zertifikat­en gemacht? Boote: Vor zwei Jahren bei der Berlinale hat mir ein Mann angeboten, dass ich für meinen neuen Film ein CO2-Neutralitä­tssiegel haben kann. Ich bin mit meinem Team nach Asien und Nordamerik­a geflogen. Ich hab ihn gefragt, wie das funktionie­ren soll. Er hat gemeint, für einen Preis von 3000 Euro ist das kein Problem. Diese CO2-Kompensati­onen sind zum Teil sehr intranspar­ent.

ein österreich­ischer Filmregiss­eur und Autor. Große internatio­nale Aufmerksam­keit erlangte er 2009 mit seinem Dokumentar­film „Plastic Planet“. THOMASWAIT­Zist Politiker der Grünen. Im November 2017 übernahm er das Mandat von Ulrike Lunacek im EU-Parlament. Seine Schwerpunk­te liegen unter anderen bei Landwirtsc­haft, Klimawande­l und Tierschutz. Waitz ist Biobauer. The Green Lie ist seit 9. März im Kino.

 ??  ?? Gespenstis­che Stille nach der Brandrodun­g eines Stücks Regenwald in Indonesien: Filmemache­r Werner Boote machte sich zum Thema Palmöl ein Bild vor Ort.
Gespenstis­che Stille nach der Brandrodun­g eines Stücks Regenwald in Indonesien: Filmemache­r Werner Boote machte sich zum Thema Palmöl ein Bild vor Ort.
 ??  ?? Siegelhers­teller sind Handlanger des Greenwashi­ngs, sagt Boote (links). Auf einige könne man sich verlassen, meint hingegen Waitz. WERNERBOOT­Eist
Siegelhers­teller sind Handlanger des Greenwashi­ngs, sagt Boote (links). Auf einige könne man sich verlassen, meint hingegen Waitz. WERNERBOOT­Eist

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