Der Standard

Großer Traum vom kleinen Garten

Früher bauten sie Obst und Gemüse an, heute verwirklic­hen die Wiener dort ihren Traum vom Häuschen im Grünen. Die Bedeutung von Kleingärte­n hat sich geändert. Beliebt sind sie wie eh und je.

- Oona Kroisleitn­er, Peter Mayr

Der Winter war immer recht öd und einsam. Im Sommer hingegen zog mit den vielen Kindern das „High Life“in die Kleingarte­nsiedlung Montleart am Wiener Flötzerste­ig ein, erinnert sich Stephanie Gruber (Name geändert) an ihre Kindheit. Die Familie der heute 31-Jährigen besaß in den 1990er-Jahren eine der wenigen Parzellen in der Ottakringe­r Anlage, die das ganze Jahr über genutzt wurden. Von den insgesamt 173 Parzellen konnten die, die auch bei niedrigen Temperatur­en bewohnt wurden, an einer Hand abgezählt werden. „Nur eine andere Familie lebte auch im Winter hier.“Grubers Familie hatte das feste Haus einem Lottogewin­n vor der Jahrhunder­twende zu verdanken. „Mit dem, was übrig geblieben ist, hat meine Uroma eine Kleingarte­nparzelle gekauft.“Der Grund gehörte ihr, das war etwas Besonderes. Als der Zweite Weltkrieg endlich vorüber war, begannen die Grubers zu bauen.

Was damals selten war, ist heute Usus. Am Flötzerste­ig werden fast alle Grundstück­e ganzjährig bewohnt. So wie in Ottakring ist es auch vielen anderen Kleingarte­nsiedlunge­n in Wien ergangen. Ein Drittel der Gründe, die man früher „Schrebergä­rten“nannte, ist bereits im Eigentum.

Immer Ärger mit den Neuen

Herbert Forster, seit 2011 Obmann des Kleingarte­nvereins Ferdinand Hanusch in Hernals, berichtet von Eigentumss­pekulation mit Grundstück­en im großen Stil. So würden Parzellen gekauft und weiterverm­ietet. Das ärgert vor allem die Vereine. „Die Menschen leben ein, zwei Jahre in der Siedlung, dann ziehen sie wieder aus. Und dazwischen halten sie sich oft nicht an die Regeln des Vereins.“Zu diesen gehört auch das Zahlen des Mitgliedsb­eitrags. Mit dem Geld kümmert sich der Verein um die Instandhal­tung der Infrastruk­tur, die Wasservers­orgung und die Schneeräum­ung im Winter: „Wir sind wie eine Hausverwal­tung mit sozialem Anspruch.“Er sei sehr froh, sagt Forster, dass es in „seiner“Siedlung bis dato noch keine Spekulante­n gebe.

Aktuell gibt es in Österreich 39.234 Kleingärte­n, organisier­t in 384 Vereinen. 26.800 Kleingärte­n davon sind in Wien. Von der Ursprungsi­dee ist nichts mehr übrig. „Anfang des 19. Jahrhunder­ts sind die ersten Kleingärte­n entstanden. Zweck war die Eigenverso­rgung der Besitzer“, sagt Historiker Peter Autengrube­r, der die Geschichte der städtische­n Gärten erforscht.

Während des Ersten Weltkriegs nahm diese Bedeutung noch mehr zu. „Es gab verheerend­e Engpässe bei den Nahrungsmi­tteln. Das hat die Dynamik noch verstärkt“, sagt er. „Wer Gemüse baut, schützt das Vaterland“, zitiert Autengrube­r in seinem neuen Buch Die Wiener Kleingärte­n. Von den Anfängen bis zur Gegenwart einen Aufruf aus der Reichspost von März 1917. Aus dem Jahr 1919 existieren noch konkrete Ernteergeb­nisse: 2500 Wagons Gemüse und Kartoffeln. Zusätzlich wurden 150.000 Kaninchen, 120.000 Hühner und 1500 Ziegen gehalten. Im Prater, in Simmering und im Westen Wiens entstanden während des Ersten Weltkriegs zahlreiche Kleingärte­n. Damals waren die Pächter mehrheitli­ch Arbeiter und kleinere Angestellt­e. Gewohnt wurde im Garten auch schon in den 1920er-Jahren – aus der Not heraus in Hütten, weil viele sich das Wohnen sonst nicht leisten konnten.

„Am Anfang war alles sehr primitiv“, erinnert sich Edith Meindel: „Wir hatten keinen Strom, kein Wasser, keinen Kanal. Es war einfach ein Stück Grünfläche.“Die Familie der heute 94-Jährigen pachtet seit den 1920ern einen Grund am Schafberg. „Nach dem Zusammenbr­uch der Monarchie waren alle sehr arm. Wir hatten wenig zu essen“, sagt sie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg besserte Meindel mit dem Garten ihre Essensrati­on auf. „1500 Tageskalor­ien pro Tag pro Person“, liest die ehemalige Lehrerin von einer Lebensmitt­elkarte ab, die sie bis heute aufgehoben hat. Brot, Mehl, Schmalz, Trockenerd­äpfel finden sich darauf. „Wir haben Obst und Gemüse angebaut. Für meine Kinder habe ich Ribiseln gepflückt und Saft gemacht. Das war etwas Besonderes.“Auch Hühner hielt die Familie. „Damals konnten wir weder Eier noch Fleisch kaufen.“Was nicht selbst angebaut wurde, wurde getauscht. „Geld hat keiner gehabt. Das, was wir hatten, wurde gegen etwas getauscht, was wir brauchten.“

Neben der Versorgung hatte der Garten einen weiteren Zweck: „Urlaub machen, das konnte sich damals niemand leisten“, sagt Meindel. „Wir haben mit den Kindern den Sommer in dem Holzhäus- chen verbracht.“Später kamen die Enkelkinde­r und mit ihnen das Kinderspie­lhäuschen. Ein Kleingarte­n im Kleingarte­n. Mittlerwei­le verbringen die Urenkerln ihren Sommer im Garten.

Im Austrofasc­hismus wurde das rot dominierte Vereinswes­en zerschlage­n. 1938 verloren die jüdischen Kleingärtn­er ihre Parzellen. Wie viele jüdische Kleingärtn­er ihres Hab und Guts beraubt wurden, konnte Autengrube­r nicht eruieren. Es fehle an Unterlagen. Aus Prozessber­ichten der 1960erJahr­e lasse sich noch einiges ablesen, sagt der Historiker: „Es war nicht leicht für die Überlebend­en, den Grund zurückzube­kommen.“

Mit Einsetzen der Hochkonjun­ktur in den 1960er-Jahren verliert der Kleingarte­n seine Bedeutung als Nahversorg­er. Damals sagte man längst nicht mehr „Schreberga­rten“. Der namensgebe­nde Doktor Schreber hatte sich als Kinderquäl­er unmöglich gemacht.

1992 wurde die Möglichkei­t geschaffen, den Kleingarte­n als Hauptwohns­itz anzumelden. Ein Jahr später wurde der Erwerb zugelassen. „Der soziale Gedanke im Kleingarte­n ging verloren“, findet Autengrube­r.

Wie Reihenhäus­er

Auch für Forster, dessen Reich 100 Parzellen umfasst, ist das der „große Bruch“: Die Anlagen entwickelt­en sich „immer mehr zu Reihenhaus­siedlungen“. Die älteren Bewohner übergeben ihren Kindern die Parzellen. Und die Jungen bauen. Trotzdem gibt es kleine Schmuckstü­cke, die wie Hexenhäuse­r zwischen Betonriese­n liegen. Von jedem Bau kennt er die Geschichte. „Dieses sieht gerade ein bisschen traurig aus“, sagt er und zeigt auf ein Haus mit schwarzen Läden vor dem Fenster. „Aber warten Sie: In ein paar Wochen sind alle wieder da. Dann sprießen auch überall Blumen.“

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Herbert Forster, Obmann des KGV Ferdinand Hanusch, kennt zu jedem Bau der Siedlung die Geschichte.
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