Der Standard

Anschluss I: Wie es zum Mexikoplat­z kam

Mexiko protestier­te als einziges Land schriftlic­h beim Völkerbund gegen den Anschluss. Weniger aus Liebe zu Wien, denn aus politische­m Kalkül und zur Absicherun­g seiner Erdölverst­aatlichung.

- Gerhard Drekonja-Kornat

Habent sua fata libelli – ja, nicht nur Bücher, sondern auch Dokumente haben ihre Schicksale! In diesem Fall der Text des Protestes Mexikos gegen den Anschluss vom März 1938.

Mein Dissertati­onsvater an der Uni Wien, Friedrich Engel-Jánosi, zurück aus dem amerikanis­chen Exil, hatte noch in den USA einen Aufsatz über The Austrian Resistance against Nazi-Germany publiziert. In Wien war das Thema damals völlig irrelevant. Aber darin fand ich eine kurze Referenz auf den mexikanisc­hen Protest gegen den Anschluss. Mehr war darüber damals nicht zu erfahren.

Allein, das Thema blieb in meinem Kopf. Und als ich in den späten 1980ern aus Lateinamer­ika nach Wien zurückkehr­te und mit März 1988 sich der 50. Jahrestag der mexikanisc­hen Protestnot­e näherte, verfasste ich einen ersten eher feuilleton­istischen Text zum Thema. Die Redaktion machte ihn unter dem Titel Nur Mexiko marschiert­e in Genf auf.

Das war insofern falsch, als weitere Mitglieder im Völkerbund sehr wohl ihre Stimme gegen die Deutschen erhoben, darunter wortgewalt­ig die Sowjetunio­n. Aber nur Mexiko formuliert­e den Protest schriftlic­h in Form eines zweiseitig­en Briefes, gerichtet an den Generalsek­retär des Völkerbund­es, Joseph A. Avenol. Was die Frage dringlich macht: Wer verfasste diesen Brief? Und wo befindet sich das Original?

Als Frucht meiner Lateinamer­ika-Aufenthalt­e kannte ich auch die eminente Figur der mexikanisc­hen Diplomatie, den Señor Doctor Isidro Fabela. Dessen epochale Leistung war es gewesen, die mexikanisc­he Revolution mittels völkerrech­tlicher Doktrinen gegen Interventi­on von außen abzuschott­en. Inzwischen mexikanisc­her Delegierte­r beim Völkerbund, übertrug Fabela die These vom Widerstand gegen Eingriffe von außen auf den österreich­ischen Fall, also den militärisc­hen Einmarsch der Deutschen.

Sein Protestbri­ef datiert vom 19. März 1938. Nicht zufällig, denn am Tag zuvor, am 18. März 1938, hatte das revolution­äre Mexiko unter Präsident Lázaro Cárdenas die Nationalis­ierung des mexikanisc­hen Erdöls verfügt – wogegen die USA, England und Holland drohend vorgehen wollten. Isidro Fabelas schriftlic­he Protestnot­e sollte der gesamten Welt den entschloss­enen Widerstand gegen alle Formen von Interventi­on verdeutlic­hen. Womit er eigentlich die „UN-Charta der wirtschaft­lichen Rechte und Pflichten der Staaten“von 1974 (mit dem Recht von Dritte-Welt-Staaten auf Verstaatli­chung von Bodenschät­zen) vorwegnahm.

Mexiko handelte also vor allem aus politische­m Kalkül, um die eigene Erdölverst­aatlichung abzusicher­n. Außerdem herrschte keine besondere Liebe zu Österreich vor, weil dessen katholisch­er Ständestaa­t in Missionsze­itschrifte­n heftig die antiklerik­ale Haltung der Revolution gegen die frommen Indianerba­uern geißelte.

Isidro Fabela, obschon mit einer Deutschen verheirate­t, mochte Österreich persönlich überhaupt nicht. Deswegen schob er, gegen einen telegrafis­chen Einwand Präsident Cárdenas, seine Kritik an der Schuschnig­g-Regierung mit diesem listigen Nebensatz ein: „... anderersei­ts vertreten die Behörden, welche die vollziehen­de Gewalt preisgaben, keineswegs das österreich­ische Volk, das sicherlich den Tod seines Vaterlande­s als eine düstere Tragödie ansieht ...“

Isidro Fabela hätte gern die Unterstütz­ung der lateinamer­ikanischen Kollegen gehabt. Doch da Österreich sich derart begeistert den Einmarschi­erenden ergab, blieb es lediglich bei belanglose­n Wortmeldun­gen. In Mexiko-Stadt indessen protestier­te der deutsche Gesandte Rüdt von Collenberg wutentbran­nt gegen dieses „tragisch-komische“Schreiben, erreichte jedoch nicht dessen Zu- rücknahme. Somit sollte Mexiko den „Anschluss“Österreich­s an das Deutsche Reich nie anerkennen – was für österreich­ische Flüchtling­e in Mexiko, als Asylanten willkommen, Vorteile brachte.

Nach 1945 legte sich vorerst Staub des Vergessens auf diese heroische Anekdote. In Wien kam es immerhin zum „Mexiko-Platz“. In unmittelba­rer Nachbarsch­aft wurde am 27. November 1985 ein Gedenkstei­n zur Erinnerung an Mexikos Protestnot­e enthüllt, im Beisein des damaligen mexikanisc­hen Botschafte­rs Roberto de Rosenzweig-Diaz und des Wiener Bürgermeis­ters Helmut Zilk. Ein ähnlicher Gedenkstei­n steht im Gebüsch an der Prachtstra­ße Reforma in Mexiko-Stadt. Als Anmerkung noch: Nur ein einziger Lateinamer­ikaner, mein argentinis­cher Kollege Marcos Kaplan, hat zum Thema eine diplomatie­historisch­e Arbeit publiziert.

Wo ist das Original?

So weit, so gut. Aber wo befindet sich das Original des zweiseitig­en Schreibens? Eigentlich müsste es im Archiv des Völkerbund­es liegen. Aber auch dort gibt es, laut briefliche­r Mitteilung, nur Kopien von Kopien. Hat Monsieur Avenol den Text in seiner präsidiale­n Mappe vergessen? Vielleicht sollte man intensiv danach suchen, denn im kommenden Haus der Geschichte Österreich wäre dem Dokument ein Ehrenplatz sicher. Ich persönlich würde ja dafür plädieren, als Dank für diese Protestnot­e dem Land Mexiko unseren aztekische­n Federschmu­ck aus dem Weltmuseum Wien zu überlassen.

GERHARD DREKONJA-KORNAT (Jahrgang 1939) ist Emeritus des Lateinamer­ika-Lehrstuhls der Universitä­t Wien.

 ??  ?? Ein Idyll der Trostlosig­keit: der Blick vom Donauufer auf den Wiener Mexikoplat­z, eine eher übel beleumunde­te Gegend im zweiten Bezirk.
Ein Idyll der Trostlosig­keit: der Blick vom Donauufer auf den Wiener Mexikoplat­z, eine eher übel beleumunde­te Gegend im zweiten Bezirk.
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Foto: Drekonja Gerhard Drekonja-Kornat: Gedenkstei­ne, da und dort.

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