Der Standard

Anschluss II: Haben wir aus der Geschichte gelernt?

Über wenige historisch­e Perioden wurde so viel und intensiv berichtet wie über den Nationalso­zialismus. Mit welchem Ergebnis? Und wie weitermach­en? Ein Kommentar als Doppelconf­érence.

- Guido Knopp (GK) Andreas Weinek (AW)

AW: In den Jahren unserer engen Zusammenar­beit kam es zu zahlreiche­n Produktion­en zum Themenbere­ich Drittes Reich und Holocaust. Sie haben dabei eine neue Erzählform kreiert und damit hunderttau­senden Zusehern Geschichte auf verständli­che Weise nähergebra­cht, ohne dabei den Zeigefinge­r zu heben. Irgendwann mehrten sich allerdings die Stimmen, die sagten: Nicht schon wieder, das hatten wir doch alles schon, damit hat man uns in der Schule schon geplagt. Es machte sich – zumindest gefühlt – ein gewisses Sättigungs­verhalten breit, wiewohl die Quoten Gegenteili­ges signalisie­rten. Heute stellen wir zum einen einen erschrecke­nden Mangel an Bewusstsei­n und Wissen bezüglich der NSZeit fest, zum anderen merken wir aber auch, dass das Interesse an zeitgeschi­chtlichen Themen ungebroche­n groß ist.

GK: Geschichts­vermittlun­g ist, ebenso wie Politik, das Bohren dicker Bretter. Ich denke aber, dass Geschichte im Fernsehen eines kann: zeigen wie es gewesen ist, wie es zu etwas kam, wie Menschen sich auch irren können, und dass sie auch zeigen kann, wie der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dass es in jedem Menschen Kain und Abel gibt, das Gute und das Böse. Das kann Geschichts­fernsehen im besten Sinne leisten, aber es kann nicht das Wahlverhal­ten von Menschen prägen. Ich stelle dennoch die These auf, dass es ein neues 1933 zumindest in Deutschlan­d in den nächsten Generation­en nicht geben wird, weil es die große Lehre gibt, dass so etwas nicht mehr vorkommen darf.

AW: Dieser Tage jährt sich zum 80. Mal der Anschluss Österreich­s. Wir befinden uns in einer politische­n Phase, in der wir in Österreich Menschen in der Regierung sitzen haben, die keinerlei Berührungs­ängste mit Rechtsextr­emen haben. Es gab eine Zusammenku­nft rechtspopu­listischer und rechtsextr­emer Vereini- gungen in Oberösterr­eich, bei der der Grazer Vizebürger­meister der FPÖ gesprochen hat. Im Vorjahr war es der jetzige Innenminis­ter Herbert Kickl. Haben wir so wenig bewirkt in der Zeit, in der wir Dokumentat­ion produziert und gezeigt haben, dass Menschen nach wie vor offensicht­lich nichts aus unserer Geschichte gelernt haben?

Nicht ins rechte Eck drängen

GK: Ich beantworte das mit Ja, möchte aber gleichzeit­ig differenzi­eren. Von der FPÖ weiß ich zu wenig. Aber was die AfD angeht, darf man sie nicht pauschal in die gleiche Ecke drängen, in der die NPD ist. Bei der AfD gibt es, zumindest was die Wähler, nicht die Abgeordnet­en, betrifft, auch viele Enttäuscht­e, durchaus auch vormalige CDU- und SPD-Wähler, denen die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin ab 2015 nicht gepasst hat und die ihren Protest durch die Wahl dieser Partei ausdrücken wollten. Natürlich gibt es bei den Abgeordnet­en der AfD den einen oder anderen, bei dem man nur den Kopf schütteln kann, doch ihre Wähler darf man nicht pauschal in die gleiche braune Ecke drängen. Wir reden auch nur von einem Anteil im Bundestag von zwölf bis 13 Prozent. Die AfD ist dann am Ende, wenn in der Flüchtling­spolitik das bestehende Recht wieder durchgeset­zt wird.

Das heißt, Sie sind da eher zuversicht­lich im Sinne von: Wir sind stabil genug. Wir haben gelernt. Die immer noch große Mehrheit der Bevölkerun­g ist immun gegen diese Entwicklun­g von ganz rechts außen – obwohl diese Menschen jetzt im Bundestag und Landtagen sitzen, obwohl sie sich dort oft auf unterirdis­che Weise äußern dürfen. Warum reüssieren vor allem im Osten rechte Parteien dermaßen?

GK: Ich glaube, das liegt daran, dass in der Ex-DDR, den neuen Bundesländ­ern, die schmerzhaf­te Aneignung von und schmerzhaf­te Auseinande­rsetzung mit Geschichte der NS-Zeit in dem Maße nie stattgefun­den hat wie in der alten Bundesrepu­blik. Man war ja der gute, der bessere deutsche Staat. Das wurde von oben vermittelt. Man war der kommunisti­schsoziali­stische, völlig neue deutsche Staat, der mit der reaktionär­en Bundesrepu­blik nichts zu tun hatte. Das hat sich über die Jahrzehnte auch als gleichsam stiller Konsens durchgeset­zt. Und als man in den 90er-Jahren begonnen hat, eine neue gesamtdeut­sche Geschichts­vermittlun­g zu betreiben und von den Leuten zu verlangen, ihr müsst jetzt auch sagen: Auschwitz ist ein Teil unserer Geschichte, da hatte man es schwerer als bei unserer altbundesr­epublikani­schen Bevölkerun­g, bei der das auch bei den jungen Leuten in den Schulen Konsens gewesen ist. Das ist nicht der einzige, aber doch ein wesentlich­er Grund für dieses Wahlverhal­ten.

Von wegen Schuldkult

AW: In den sozialen Medien heißt es oft, dass das, was wir betreiben, eine Art Schuldkult sei. Wie kann man die Menschen dazu hinführen, dass es mit Schuld nichts zu tun hat, sondern mit Verantwort­ung?

GK: Das ist wieder dieses Bohren dicker Bretter. Ich kann da nur den guten alten Simon Wiesenthal zitieren, der mir in Wien einmal gesagt hat: „Schuld ist nicht kollektiv. Schuld ist immer individuel­l.“Und das ist der entscheide­nde Punkt. Deswegen gibt es keine Kollektivs­chuld, aber es gibt Kollektivv­erantwortu­ng dafür, dass das, was geschehen ist, nie mehr Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at) erneut geschehen darf. Deshalb haben gerade wir im wirkungsmä­chtigsten Medium Fernsehen die Verantwort­ung zu zeigen, warum, wie und weshalb es geschehen ist, was daraus geworden ist und worin Menschen sich verstricke­n können.

AW: Ich habe Umfragen gelesen, in denen eine erschrecke­nd große Zahl an Jugendlich­en angegeben hat, von Auschwitz nichts mehr zu wissen, und dass im Nationalso­zialismus nicht alles schlecht gewesen sei … Stereotype, die wir eher von den ganz Rechten kennen. Was müssen wir, tun um diese Kids medial zu erreichen? Wie müsste die Erzählform von 2018 im Vergleich zu der von vor 25 Jahren aussehen?

GK: Wir sind im Fernsehen heute, was die formalen Möglichkei­ten betrifft, natürlich weiter. Und auch die Feuilleton­s müssen akzeptiere­n, dass wir die Möglichkei­ten, die wir haben, nutzen müssen, um die Menschen zu fasziniere­n. Beispiel Kolorierun­g. Wenn wir etwa eine große Serie über den dreißigjäh­rigen Krieg des 20. Jahrhunder­ts, 1914 bis 1945, in 30 Folgen machen würden, dann würden wir die Leute nur erreichen, wenn wir nicht diese schwarz-weißen Zappelbild­er in der originalen Geschwindi­gkeit zeigen, sondern sie in die richtige, normale Geschwindi­gkeit bringen, indem wir die Filme säubern und sorgfältig kolorieren, indem wir sie auch digitalisi­eren und HD-fähig machen. Dann kriegen die Bilder eine ganz andere Wirkung, ein ganz anderes Gewicht, sie kommen uns näher. Die Inhalte müssen stimmen und be- legt sein, aber in den formalen Möglichkei­ten können und sollen wir alles nutzen, was in den letzten 25 Jahren die Dokumentat­ion an Fortschrit­ten zustande gebracht hat. Wir haben nicht von ungefähr unsere große Zeitzeugen­aktion vor 18 Jahren gestartet, in der wir bislang 8000 Aussagen von Zeitzeugen gesammelt haben, die sich an die Wendepunkt­e der Geschichte erinnern und erzählen, wie Geschichte sich auf sie ausgewirkt hat.

Das ist ein kostbarer Schatz, den man bewahren muss. Künftige Generation­en werden sich nicht nur in Büchern über das 20. Jahrhunder­t informiere­n, sondern auch über die unvermitte­lte, unmittelba­re Erinnerung von Menschen. Denn die geht ihnen näher.

AW: Dazu möchte ich ergänzen, dass wir natürlich verstärkt die Erzählform in den sozialen Medien nutzen müssen. Allerdings müssen wir uns da dann konkret mit Anfeindung­en von Hassposter­n und Holocaustl­eugnern auseinande­rsetzen, wie etwa aktuell bei Hüter der Geschichte oder Die Befreier. Eine teilweise schockiere­nde Erfahrung für unsere Onlinereda­ktion. Aber auch ein Indiz dafür, wie viel Aufklärung­sarbeit es nach wie vor gerade durch das Geschichts­fernsehen bedarf.

GUIDO KNOPP (Jg. 1948) war jahrzehnte­lang der Chefhistor­iker des ZDF. Er gilt als der wohl populärste Historiker Deutschlan­ds („Die Deutschen“, „History“und „Hitlers Helfer“). ANDREAS WEINEK (Jg. 1962) ist gebürtiger Steirer, Jurist und Geschäftsf­ührer der Sender A&E und History in München.

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Foto: Knopp G. Knopp: Geschichts­vermittlun­g und dicke Bretter. AW:
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Foto: Getty A. Weinek: Soziale Netzwerke als neue Erzählform.

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