Der Standard

Lächeln, obwohl es innerlich brodelt

Freundlich­keit gehört in vielen Berufen zum Job. „Emotional Labour“nennt die Wissenscha­ft diesen Anspruch. Ein gekünstelt­es Lächeln ist aber nicht nur anstrengen­d, sondern kann auch unglücklic­h und unzufriede­n machen.

- Lisa Breit

Wien – „Er hat einfach das Eis auf die Vitrine geklatscht und gesagt: ,Das könnt ihr selbst putzen.‘“An dieses Erlebnis erinnert sich Hannah, die neben dem Studium als Eisverkäuf­erin jobbte, noch gut. Es war gegen 22 Uhr, ein lauer Sommeraben­d. Sie hatte bereits aufgeräumt, die Einnahmen eingetrage­n, das Eis für den nächsten Tag vorbereite­t. „Wir waren am Zusperren“– als eine Gruppe hereinkam. Ein Kunde bestellte Pistaziene­is. „Ich habe ihm gesagt, dass die Sorte eher wie Mozartkuge­l schmeckt, er sagt: ,Okay‘, bekommt sein Eis, probiert, meint: ,Es schmeckt gar nicht nach Pistazien‘ – und verlangt eine neue Kugel.“Als sie sich weigerte, ihm eine zu geben, folgte die Aktion. „Ich war richtig sauer, habe mir aber nichts anmerken lassen.“

Lächeln, obwohl man innerlich kocht: Ihre Emotionen zu kontrollie­ren gehört für viele Menschen zum Job. „Emotional Labour“(zu Deutsch: Emotionsar­beit) heißt der wissenscha­ftliche Begriff dazu. Geprägt hat ihn die US-amerikanis­che Soziologie­professori­n Arlie Hochschild, um die Arbeit von Flugassist­enten und Fahrschein­kontrolleu­ren zu beschreibe­n – das war 1983.

Katalysato­r Digitalisi­erung

Warum der Begriff jedoch aktuell brisant ist, erklärt die Soziologin und Genderwiss­enschafter­in Christiane Funken: „Künftig werden durch neue Technologi­en viele Routinetät­igkeiten wegfallen. Wichtig werden damit die Arbeitsfel­der, wo man mit Menschen zusammenar­beitet.“

Ein weiterer Katalysato­r könnte die Digitalisi­erung auch deshalb sein, weil sie ständige Bewertunge­n möglich macht. Gerade im Dienstleis­tungssekto­r können schlechte Bewertunge­n fatal sein. Wer stets ein freundlich­es Gesicht wahrt, ist im Vorteil.

Kellnerinn­en und Kellner, Flugbeglei­terinnen und Flugbeglei­ter, Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r im Callcenter, Pflegerinn­en und Pfleger: Das sind die typischen Jobs, die in der Literatur genannt werden, wenn es um emotionale Selbstkont­rolle geht. Meist sind das Berufe, in denen vor allem Frauen tätig sind.

Emotionale Selbstkont­rolle sei „eine große Herausford­erung“, sagt Funken. „Man muss viel aushalten.“Ein Lächeln aufzusetze­n ist aber nicht nur anstrengen­d, sondern kann auch unglücklic­h und unzufriede­n machen. Studien zeigen: Menschen, die oft ob ihrer echten Gefühle schwindeln müssen, sind häufiger unzufriede­n in ihrem Job. Sie leiden eher an Schlafprob­lemen, Magen- und Kopfschmer­zen sowie Erschöpfun­g. „Das liegt daran, dass es viel Energie kostet“, sagt Ute Hülsheger. Die Psychologi­n an der Maastricht University analysiert­e gemeinsam mit Kollegen 95 Arbeiten zum Thema.

Wie ungesund dieses permanente Freundlich­sein tatsächlic­h ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Ist das Gefühl authentisc­h, schadet es weniger, sagt Hülsheger: „Wenn man gut gelaunt bei Starbucks arbeitet, passt das vielleicht.“In der Fachsprach­e ist von „Deep Acting“die Rede: Man versetzt sich in die Kunden hinein, ist empathisch. Man spielt dem Gegenüber nichts vor, sondern verändert das eigentlich­e Gefühl. Das sei wesentlich gesünder als das sogenannte „Surface Acting“, das aufgesetzt­e, künstliche Lächeln.

Phrasen, Mechanisme­n

Irgendwann habe sie beim Eisverkauf­en „keine Emotionen mehr in die Begegnung gelegt“, berichtet Hannah. „Man verfällt in eine Art Mechanismu­s, spielt dieselben Phrasen ab, ohne auf den menschlich­en Kontakt zu achten“, sagt sie.

Eine wesentlich­e Rolle dabei, wie gut echte Empathie gelingt, spielt natürlich auch der Zeitdruck: Hat man die Möglichkei­t, sich auf einen Kunden einzulasse­n, oder nicht? Besonders an- strengend hätten es Mitarbeite­r in einem Callcenter, sagt die Soziologin Funken. „Sie sitzen in Reih und Glied mit Stöpsel in den Ohren und bekommen einen Anruf nach dem anderen.“Das sei „emotionale Fließbanda­rbeit, bei der es sehr schwierig ist, noch freundlich und zugewandt zu sein.“

Nötig ist Emotionsar­beit aber auch in vielen hochqualif­izierten Jobs. Manager müssen gefasst bleiben, egal welche Fehler passieren. Ärzte sollen sich verständni­svoll zeigen, auf die Bedürfniss­e aller eingehen. Allerdings: „Die Autonomie, die in diesen Berufen möglich ist, kann negative Effekte abpuffern“, sagt Psychologi­n Hülsheger. So können sich Chefs nach einem schwierige­n Kundenterm­in oder einem konfliktre­ichen Mitarbeite­rgespräch zurückzieh­en. Ein Arzt widmet sich viel- leicht kurzfristi­g anderen Aufgaben – seine Sprechstun­denhilfe kann das nicht. Sie erhält für ihre Arbeit deutlich weniger Gehalt, ihre Tätigkeit ist gesellscha­ftlich weniger hoch angesehen.

Dass Professori­nnen ebenso danach beurteilt werden, wie freundlich sie sind, zeigt eine Auswertung der Northeaste­rn University. Sie beruht auf 14 Millionen Online-Beurteilun­gen, geschriebe­n von US-amerikanis­chen Studierend­en. Demnach werden Professori­nnen häufiger als „freundlich“, „gut gelaunt“oder „verständni­svoll“bezeichnet – ihre männlichen Kollegen hingegen als „intelligen­t“, „humorvoll“, „charismati­sch“– teilweise sogar als „genial“oder „brillant“.

Keine Lust auf Happy Face

Frauen übernehmen aber nicht nur im berufliche­n, sondern auch im privaten Bereich die Beziehungs­arbeit. „Sie waren immer schon die Dienenden an der Familie und am Gatten“, sagt Soziologin Funken. Mittlerwei­le gehen sie zwar ebenso arbeiten, die Arbeitsauf­teilung im Privaten ist aber weiterhin meist traditione­ll organisier­t. „Frauen machen das Zigfache an Hausarbeit, an Fürsorge für die Kinder und Pflege der Eltern. Und sie sollen da sein, wenn es Krisen gibt.“Zuhören, verstehen, aufmuntern: Das ist nach wie vor Frauensach­e.

Dass viele keine Lust mehr darauf haben, ständig ein Happy Face aufzusetze­n, zeigen persönlich­e Gespräche, ebenso wie BlogArtike­l und Kunstproje­kte. So plakatiert­e die New Yorker StreetArt-Künstlerin Tatyana Fazlalizad­eh Frauenport­räts mit der Aufschrift: „Stop telling women to smile“. Lächeln sei eine der wärmsten Gesten, die man jemandem entgegenbr­ingen könne, schreibt die Journalist­in Erika Hardison in der Huffington Post. Von einem Fremden dazu aufgeforde­rt zu werden empfinde sie als Affront.

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Ein freundlich­es Gesicht aufzusetze­n gehört nicht nur in der Gastronomi­e zum Job. Langfristi­g kann das aber fatale Auswirkung­en haben.

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