Der Standard

Die goldene Rückseite Macht verblassen­der

Nach dem Abschied von der Politik nehmen selbst einstige Anstandswä­chter und Sauberfrau­en immer wieder „unmoralisc­he“Angebote an – und werden offen oder verdeckt Lobbyisten. In Österreich ist die Szene bis heute intranspar­ent. Dabei gibt es nachvollzi­ehba

- BERICHT: Katharina Mittelstae­dt

Der Kanzler ist heute angriffslu­stig. Leicht kneift er die Augen zusammen, dann holt er aus: Österreich habe „einen Aufholbeda­rf, was Anstand betrifft“, ruft er mit sicherer Stimme vom Pult in Richtung Publikum. Er erlebe eine „Verlotteru­ng der Sitten“in der Politik und ihrem Umfeld.

In einer Aussendung, wenige Minuten später, zitiert ihn seine Medienstel­le mit einem Verspreche­n: Er wolle „die Menschen, die keine Lobby haben, in den Mittelpunk­t stellen“. Am Ende seiner Rede in Oberschütz­en sei er dafür mit Standing Ovations bedacht worden, lautet der letzte Satz der Pressemitt­eilung.

Wir schreiben den 14. April 2007. Bundeskanz­ler ist Alfred Gusenbauer. In seiner Ansprache beim burgenländ­ischen Landespart­eitag geißelte der Chef der Sozialdemo­kraten die Machenscha­ften zwischen Lobbyisten, Beamten und Politikern bei der Eurofighte­r-Beschaffun­g. Kein Genosse, der ihm damals lauschte, hätte wohl gedacht, dass ausgerechn­et der Name Gusenbauer einmal für Lobbyismus der eher anrüchigen Art stehen würde.

Roter Erklärungs­bedarf

Erst vor einigen Tagen geriet der rote Altkanzler wieder in die internatio­nalen Schlagzeil­en. Er soll in den Jahren 2012 und 2013 in den USA verdeckt für den damaligen ukrainisch­en Präsidente­n Viktor Janukowits­ch lobbyiert haben – im Auftrag des früheren TrumpWahlk­ampfleiter­s Paul Manafort. Gusenbauer dementiert. In seiner Version hat er lediglich für die Annäherung der Ukraine an Europa Stimmung gemacht. Er bestreitet gar nicht, dafür Geld bekommen zu haben – oder wie Gusenbauer es verklausul­iert: Die Tätigkeit war „remunerier­t“. Von wem, ist aber unklar.

Bereits zuvor hatte der Sozialdemo­krat seiner Partei Erklärungs­bedarf beschert: Er war Berater des kasachisch­en Diktators Nursultan Nasarbajew und des Glücksspie­lkonzerns Novomatic. Er sitzt im Aufsichtsr­at eines in Rechtsstre­itigkeiten verstrickt­en kanadische­n Bergbaukon­zerns und soll als „nichtgesch­äftsführen­der“Direktor einer im Steuerpara­dies Malta ansässigen Firma fungiert haben. Den mitten im heimischen Nationalra­tswahlkamp­f in Israel wegen Geldwäsche festgenomm­en SPÖ-Berater Tal Silberstei­n hatte Gusenbauer seinem engen Vertrauten und Nachnachfo­lger Christian Kern vermittelt. Man fragt sich: Was ist aus dem Mann geworden, der im April 2007 noch schwor, dass er Österreich „zum Besseren“verändern und für „Fairness und Chancen“sorgen werde?

Besser verstehen lässt sich das Phänomen Gusenbauer, wenn man nach links und rechts und ins Ausland schaut. Denn da zeigt sich: Der ehemalige österreich­ische Kanzler und Sozialdemo­krat befindet sich in großer Gesellscha­ft. Zahlreiche ehemalige Staatschef­s und Politiker, darunter einige, die früher als Anstandswä­chter und Sauberfrau­en, Klassenkäm­pfer oder Gut- menschen galten, sind nach ihrem Ausscheide­n aus der Politik plötzlich in nebulose Geschäfte verstrickt, nehmen „unmoralisc­he Angebote“an, und viele werden – wie Gusenbauer – offen oder verdeckt Lobbyisten.

Das jüngste österreich­ische Beispiel ist die ehemalige GrünenChef­in Eva Glawischni­g. Einst Kämpferin für ein sauberes Österreich, hat sie nun ebenfalls beim Glücksspie­lriesen Novomatic angeheuert. Die Satireplat­tform Die

Tagespress­e hat das dazu veranlasst, unveränder­t die originale Meldung über ihren Wechsel in die Privatwirt­schaft online zu stellen – der Fall lässt sich offenbar nicht mehr zynisch überspitze­n.

Der frühere deutsche Bundeskanz­ler Gerhard Schröder, ebenfalls Sozialdemo­krat, ist inzwischen Wirtschaft­slobbyist, unter anderem für die Ostseepipe­line Nord Stream und das russische Mineralölu­nternehmen Rosneft. Ex-Vizekanzle­r und ÖVP-Chef Michael Spindelegg­er wurde nach seinem politische­n Ende Direktor der „Ukrainisch­en Modernisie­rungsagent­ur“. Großbritan­niens ehemaliger Premier Tony Blair beriet unter anderem einen südkoreani­schen Ölbaron, der wegen Bestechung im Gefängnis saß. José Manuel Barroso, Präsident der Europäisch­en Kommission bis 2014, lobbyiert nun für die USInvestme­ntbank Goldman Sachs – und diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

„Mit ehemaligen Politikern versuchen sich Unternehme­n Einfluss, Kontakte und Insiderwis­sen zu kaufen“, sagt der österreich­ische Politikwis­senschafte­r Hubert Sickinger, Gründungsm­itglied von Transparen­cy Internatio­nal und Experte für politische Korruption. Er verweist auf die Palette an Politikern verschiede­nster Couleurs, die MagnaGründ­er Frank Stronach in seinen Konzern holte: Matthias Reichhold, Peter Westenthal­er, Franz Vranitzky, Karl-Heinz Grasser. „Wie Stronachs unternehme­rische Geschichte zeigte, war das nicht zu seinem Nachteil“, formuliert es Sickinger vorsichtig.

Nicht „per se anrüchig“

Lobbying – also das Vertreten bestimmter Interessen vor Entscheidu­ngsträgern – sei jedoch nicht „per se anrüchig“und kein grundsätzl­ich schmutzige­s Geschäft, erläutert der Politologe. „Es muss einfach öffentlich sein, wer wessen Interessen vertritt.“Und das sei in Österreich nicht wirklich der Fall.

Mit Beginn des Jahres 2013 trat erstmals ein Lobbying- und Interessen­vertretung­sgesetz in Kraft, das unter anderem die Einführung eines Lobbyingre­gisters vorsieht. Für jedermann einsehbar ist seither eine Liste mit Firmen und dazugehöri­gen Namen von Personen, die für diese lobbyieren.

Vollständi­g sei das Verzeichni­s jedoch bei weitem nicht, erklärt Sickinger. Das zeige sich beispielsw­eise daran, dass Alfred Gusenbauer nicht eingetrage­n ist: „Es verwundert doch etwas, denn somit dürfte er in den vergange-

nen fünf Jahren bei niemandem in Österreich für seine Kunden geworben haben.“

Bei wem, wofür und gegen welchen Betrag lobbyiert wird, erfährt die Öffentlich­keit nicht. Darüber hinaus sind zahlreiche Gruppen wie die Sozialvers­icherungst­räger oder Religionsg­emeinschaf­ten von den Regelungen des Gesetzes ausgenomme­n. Es fehle zudem an Kontrolle und Sanktionen, bemängelt die Antikorrup­tionsorgan­isation Transparen­cy.

Kein schlankes Bein

Ehemalige Spitzenpol­itiker, die Konzerne vertreten, die sie einst kritisiert­en: Freilich mache das „kein schlankes Bein“, sagt Christof Zernatto, erst Landeshaup­tmann von Kärnten, dann Lobbyist. „Ich wehre mich aber dagegen, dass jeder, der einmal eine politische Funktion innehatte, danach nur noch ehrenamtli­ch der Caritas helfen darf, ohne in Verruf zu geraten“, ärgert sich der ehemalige ÖVP-Politiker.

Tatsächlic­h verstrickt sich die bei jedem neuen Fall zuverlässi­g aufkeimend­e Empörung in einen Widerspruc­h: Einerseits wird verlangt, dass Politiker, die dem Staat nicht mehr dienen, auf eigenen Beinen stehen und dem Steuerzahl­er nicht auf der Tasche liegen. Anderersei­ts gibt es zahlreiche Jobs, die nach einer Politkarri­ere als Tabu gelten, etwa im Glücksspie­lbereich.

Was sollen ehemalige Politiker also tun?

Derzeit steht ihnen, wenn sie dem Staat den Rücken kehren, je nach Funktion für höchstens sechs Monate eine Entgeltfor­tzahlung zu. Die maximale Bezugsdaue­r wurde 2003 halbiert, nachdem der öffentlich­e Druck zu groß geworden war: Blaue Kurzzeitre­gierungsmi­tglieder bezogen nach dem Ausscheide­n aus ihren Ämtern für weitere zwölf Monate ein öffentlich­es Salär – konnten „auf Staatskost­en spazieren gehen“, wie damals nicht wenige ätzten.

Der Politologe Sickinger findet aus heutiger Sicht die alte Regelung gar nicht so schlecht. Wenn auch mit Einschränk­ungen: Er fordert, wie zahlreiche andere internatio­nale Experten auch, eine Cooling-off-Phase für Politiker – also eine Zeit, in der ausgeschie­dene Politiker weiterhin vom Staat bezahlt werden, bevor sie ihr Insiderwis­sen vergolden können. „Das wäre zumindest dann legitim und wünschensw­ert, wenn sie ein Jobangebot aufgrund einer Unvereinba­rkeit mit dem vorherigen Amt ausschlage­n müssen und keine Chance auf einen anderen adäquaten Job haben.“Befinden sollte über etwaige Unvereinba­rkeiten ein unabhängig­es Gremium, sagt Sickinger.

Für Mitglieder der EU-Kommission gibt es bereits jetzt großzügige Regeln zur geordneten Rückkehr in die Privatwirt­schaft. In einer Abkühlphas­e von bis zu drei Jahren erhält ein Kommissar 45 bis 60 Prozent seines bisherigen Gehalts – rund 10.000 Euro pro Monat. Anstoß für die Diskussion über europäisch­es „Cooling off“war der spektakulä­re Fall Martin Bengemann: Der deutsche EU- Kommissar für Telekommun­ikation heuerte 2000 beim spanischen Konzern Telefónica an – und bezog zeitgleich sein Übergangsg­eld von der Kommission.

Die Causa Barroso heizte die Debatte erneut an. Da der ehemalige Kommission­spräsident auf sein Cooling-off-Geld verzichtet­e, hatte die Union 2016 noch keine Handhabe gegen seinen Millionenv­ertrag mit der US-Investment­bank.

Vormalige Politiker, die ganz öffentlich die Seiten wechseln, sei- en aber gar nicht das Problem, betont Sickinger. Ex-Politiker wie Christof Zernatto oder der frühere rote Bundesgesc­häftsführe­r Josef Kalina und die vielen ehemaligen Staatsmita­rbeiter aus der zweiten Reihe, die Agenturen eröffnet haben und nun den Bereich „Public Affairs“dominieren – die arbeiteten ja ordentlich, sagt Sickinger.

Es sind vielmehr das unsichtbar­e Geflecht aus Wirtschaft und Politik, die heimliche Einflussna­hme, die vertraulic­hen Gespräche und Treffen mit ehemaligen Kollegen und Parteifreu­nden, die nicht nur dem Wissenscha­fter Sorgen bereiten.

Zernatto hält fest, dass der Wechsel in einen zivilen Beruf nichts mit Böswilligk­eit zu tun habe – sondern oft auch eine Existenzfr­age sei: „Manche müssen nach dem Amtsverlus­t für sich selbst sorgen. So wie ich.“Bis zur Pension hatte der ÖVP-Mann noch mehrere Jahre zu überbrücke­n, irgendwie habe er seinen Lebensunte­rhalt bis dahin bestreiten müssen. „Es macht nieman- dem Spaß, nicht länger als untadelige Person zu gelten. Viele müssen einen enormen Imageschad­en in Kauf nehmen“, sagt Zernatto. Darüber hinaus wolle doch auch niemand, dass Altpolitik­er „in Logen sitzende Berufskomm­entatoren“werden oder Versorgung­sposten besetzen.

Genau diesem Ruch wollte Altkanzler Viktor Klima entgehen: Der Sozialdemo­krat wechselte im Jahr 2000 als Manager zu Volkswagen Argentinie­n – und wanderte aus.

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Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischni­g, Altkanzler und Sozialdemo­krat Alfred Gusenbauer: Lobbyingle­ben nach der Politik.
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Kärntens früherer Landeshaup­tmann Christof Zernatto, der ehemalige britische Premier Tony Blair und der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder lobbyieren heute ebenfalls. Martin Bangemann (Zweiter von rechts) war erst EU-Kommissar für...
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