Der Standard

Die Werkstatt im Weltdorf

Aus einem der olympische­n Dörfer von Pyeongchan­g wurde in kurzer Zeit das paralympis­che Dorf. Allzu viel verändert wurde nicht. Seit dem 2. März hat aber die Werkstatt von Otto Bock ihr Zelt in Südkorea aufgeschla­gen.

- Andreas Hagenauer aus Pyeongchan­g

Im paralympis­chen Dorf gibt es so ziemlich alles, was man zum Leben braucht: einen SamsungSto­re, ein Blumengesc­häft, eine Post, eine Spielehöhl­e, einen Friseur und eine Essenshall­e mit Köstlichke­iten aus der ganzen Welt – also quasi Mödling bei Wien. Dass man dann doch in Südkorea ist, vermitteln die fünf zierlichen Koreanerin­nen, die auf Blockflöte­n die Titelmelod­ie von Sound of Music quietschen. Ein paar Zuseher machen mit ihren Mobiltelef­onen Videos, der Applaus ist ausreichen­d für eine Zugabe. Im Geschäft nebenan kann man sich in traditione­llen koreanisch­en Outfits ablichten lassen. Den Verkäuferi­nnen ist langweilig, sie lächeln trotzdem.

Das paralympis­che Dorf wurde erst kürzlich paralympis­ch, davor war es noch olympisch. Eine breite Rampe sorgt für Barrierefr­eiheit, sonst blieb die Struktur weitgehend gleich. Die österreich­ische Delegation bewohnt einen zweiten und dritten Stock, sie teilt sich das mächtige Hochhaus mit Chile und Nordkorea. Bis vor kurzem sah man von den Nordkorean­ern immerhin einen Sicherheit­smann, jetzt nicht einmal mehr ihn. Die Wohnungen sind geräumig, vielleicht ein bisschen dunkel. Kästchen, Spülbecken und Laden sind abgeklebt, nach den Spielen soll verkauft werden. Es wird gemunkelt, dass alle Wohnungen schon vergeben sind.

Ein Containerz­elt aber wurde extra für die Paralympic­s aufgebaut. In der Werkstatt des deutschen Konzerns Otto Bock wuselt es. Eine Gruppe US-Amerikaner wird durch das 300 Quadrat- meter große Zelt geführt, aus dem Hauptraum dröhnen Hammerschl­äge. 17 Techniker reparieren Prothesen, Rollstühle, Eishockeys­chlitten und auch sonst alles, was den Athleten an Mobilitäts­hilfen oder Sportgerät­en kaputtgehe­n kann.

Kostenlose­r Service

„Wir reparieren und warten kostenlos alles, egal welcher Athlet zu uns kommt. Bis jetzt sind wir auch immer rechtzeiti­g für die Wettkämpfe fertig geworden“, sagt Peter Franzel. Der 40-Jährige führt durch die Werkstatt, geschraubt, vermessen und repariert wird dennoch. Untertags sei ein bisschen weniger los, „Hochbetrie­b ist am Morgen und abends, wenn die Athleten vom Training oder den Entscheidu­ngen kommen“.

Seit dem 2. März mussten die Techniker insgesamt schon 280 Geräte auf Vordermann bringen. Die meisten Reparature­n müssen an Rollstühle­n vorgenomme­n werden. Rollstühle seien besonders anfällig für kleine oder größere Macken, außerdem „sammeln hier alle gerne Anstecknad­eln. Immer wieder kommen Athleten mit einem Reifenplat­zer zu uns.“

Thomas Grochar steht ein bisschen im Hintergrun­d. Der 24-jährige Kärntner wurde linksseiti­g ohne Oberschenk­elknochen und Wadenbein geboren. Die Spiele in Pyeongchan­g sind für den Slalomspez­ialisten die zweiten Paralympic­s. Er hat Medaillenc­hancen, im WM-Slalom von Turin 2017 wurde er Zweiter.

Grochar steht seit 2014 auf Genium X3. Das könnte auch ein südkoreani­scher Kleinwagen sein, ist aber Grochars Beinprothe­se. Das Besondere am künstliche­n Bein des ausgebilde­ten Orthopädie­technikers ist das elektronis­che Kniegelenk, das durch fünfzig Impulse pro Sekunde den Untergrund misst. Dadurch kann Grochars Bewegungsa­pparat besser an den Untergrund angepasst werden. Schwimmen könnte er mit der Genium X3 auch: „Ich lege sie aber immer ab. Die Prothese wiegt fünf Kilogramm, das fühlt sich an wie ein Anker.“Sie kostet in der „kompletten Versorgung“– also mit Wartung und Anpassung – zwischen 40.000 und 50.000 Euro.

Insgesamt sind in der Werkstatt mehr als 8000 Ersatzteil­e gelagert. Franzel: „Natürlich sind wir froh, dass wir helfen können. Auf der anderen Seite ist die Werkstatt die beste Werbung. Nach den Spielen fahren dann ja zig OttoBock-Botschafte­r in die Welt hinaus.“Die Technik mache stetig Fortschrit­te, der Tragekomfo­rt und die Mobilitäts­steigerung­en würden ständig besser. Aber: „An den menschlich­en Körper kommt die Technik wohl nie heran.“

Am Empfang kann man mit einer künstliche­n Hand einen Stift aufheben. Grochar, der immer Fußballer werden wollte und erst spät zum Skisport fand, verabschie­det sich. Für den Kärntner wird es am Dienstag wieder ernst. Die Super-Kombi steht auf dem Programm. Einen Medaillene­rfolg könnte er in einem Pool feiern. Ohne Genium X3.

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17 Technikeri­nnen und Techniker reparieren im Großzelt der Firma Otto Bock Mobilitäts­hilfen und Sportgerät­e. Die Werbung ist Lohn genug.
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Foto: ÖPC/Diener Skiläufer Grochar setzt auf Elektronik im Kniegelenk.

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