„Vor Gericht geht es um Schadensbegrenzung“
Rechtsanwältin Eva Plaz vertrat die Opfer von Josef Fritzl und betreut jene, die Olympiasieger Peter Seisenbacher missbraucht haben soll. Sie fordert besseren Schutz für Opfer vor Medien.
STANDARD: Was fehlt Missbrauchsopfern in Strafverfahren? Plaz: Der Weg von der Welt eines traumatisierten Opfers bis zur Welt des Gerichts ist weit. Vor 20 Jahren sind 19 von 20 Verfahren scheiße gelaufen. Eigentlich war es damals fast schon kriminell, nicht von einer Anzeige abzuraten. Heute verlaufen drei Viertel der Verfahren okay. Kulturell ist viel passiert. Das ist natürlich ausbaufähig.
STANDARD: Wie ist die Situation bei Gericht? Plaz: Es ist eine Lotterie, zu wem man kommt. Einzelne Richter sind wunderbar. Da weine ich, wenn die gehen. Ich würde mir wünschen, dass sie mehr entlastet werden. Es ist von der emotionalen Belastung her ein Unterschied, ob ich einen Missbrauch oder einen Diebstahl verhandle.
STANDARD: Opfer haben Anspruch auf eine juristische und psychosoziale Prozessbegleitung. Wozu braucht man das? Plaz: Früher haben sich Opfer nach den Verfahren an Beratungseinrichtungen gewandt und gesagt: Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich nie angezeigt. Heute versucht man, dass es Opfern nach dem Verfahren zumindest nicht schlechter geht als vorher. STANDARD: Das Ziel der Prozessbegleitung ist die Schonung des Opfers vor Gericht. Plaz: Es geht um Schadensbegrenzung. Persönliche Prozesse, die noch anstehen, sollen nicht erschwert oder gar verunmöglicht werden durch das Strafverfahren.
STANDARD: Wie kann man Opfer überzeugen, anzuzeigen? Plaz: Ich rate nicht zur Anzeige. Die Entscheidung, anzuzeigen, wird wenn, dann eher hinterfragt. Meine Rolle ist, zu sagen: Sie müssen damit rechnen, dass diese und jene Dinge passieren. Wollen Sie es trotzdem?
STANDARD: Multiplizieren sich die Bedenken, wenn überlegt wird, an die Öffentlichkeit zu gehen? Plaz: Es gibt viele Leute, die auch aus Angst vor den Medien nicht anzeigen. Ich hatte einen Mandanten, der angezeigt hat, aber nie freiwillig an die Öffentlichkeit gegangen ist. Er wurde aber vor dem Verhandlungssaal gefilmt. Eine Woche später war er seinen Job los. Bei vielen prominenten Fällen ist es verständlich, nicht anzuzeigen, weil der Druck zu groß wäre und die Folgen nicht seriös abschätzbar sind.
STANDARD: Wie kann man dem entgegenwirken? Plaz: Wir brauchen besseren Schutz. Dringend notwendig wäre zum Beispiel ein Veröffentlichungsverbot von Aussagen der Opfer aus dem Ermittlungsverfahren. Es sind die Verletzungen des Identitätsschutzes, die deutlich höher bestraft gehörten. Da liegt die nie ausgeschöpfte Höchststrafe derzeit bei 20.000 Euro. Das scheint sich aber die Politik nicht zu trauen. Das ist für viele Medien Portokassa.
STANDARD: Wie ist es um die Glaubwürdigkeit von Kindern und Jugendlichen bei Gericht bestellt? Plaz: Es gibt die berechtigte Sorge wegen möglicher Beeinflussung. Prozessbegleiter werden deshalb geschult, so zu arbeiten, dass sie in das Erleben und Erinnern des Kindes nicht eingreifen. Es gilt, das Kind nicht zu befragen. Erstens um unnötige Traumatisierungen zu vermeiden, zweitens um eine möglichst unmittelbare, eine nicht verfälschte Aussage zu kriegen. Bei Kindern muss es schon Hinweise geben, warum ihre Aussage jetzt nicht stimmen soll.
STANDARD: Der soziale Nahraum ist die größte Gefahrenquelle bei sexuellem Missbrauch. Kann man Parallelen zwischen der Familie und dem Spitzensport ziehen? Plaz: Ja. Im Sport hängen jahrelange Arbeit und Träume daran, es gibt eine starke emotionale Bindung zum Täter. Da entstehen soziale Biotope mit sehr viel Vertrauen und Abhängigkeit.
STANDARD: Sehen wir im Sport derzeit nur die Spitze des Eisbergs? Plaz: Da kommt wahrscheinlich noch einiges. Der Sport hat den wesentlichen Vorteil, dass der Übergang in die Körperlichkeit leichter funktioniert. Missbrauchstäter wissen genau, was sie tun. Dort können sie leichter austesten, wie das Kind reagiert.
STANDARD: Wie bewerten Sie die Reaktionen des ÖSV und des Judoverbands in der Causa Seisenbacher? Plaz: Hie wie dort wird gebunkert. Erst auf den Druck hin, der medial entsteht, wird Schadensbegrenzung betrieben. Beim eigenen Schaden, wohlgemerkt. Wenn das im Ergebnis dazu führt, dass künftig bessere Strukturen etabliert werden, soll es mir recht sein. Wenn man sich die bisherigen Reaktionen des ÖSV ansieht, denke ich mir als Opfer wohl kaum, dass ich mich bei deren Aufklärungskommission melde. pLangfassung des Interviews auf
derStandard.at/Panorama
EVA PLAZ ist Rechtsanwältin und leitet eine Kanzlei in Wien. Ihre Spezialgebiete neben Opfervertretungen sind Schadenersatz, Erbrecht und Familienrecht.
Im Sport entstehen soziale Biotope mit sehr viel Vertrauen und Abhängigkeit. Da kommt wahrscheinlich noch einiges.