Wenn die Staatsschützer im Visier des Staates sind
Im Krimi rund um die Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz tun sich jeden Tag neue Fragen auf. Am Dienstag will sich das Innenministerium öffentlich äußern. Davor ein Rückblick auf das, was bisher geschah.
Frage: Die Affäre rund um eine Hausdurchsuchung in den Räumlichkeiten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BVT) sorgt für Aufregung. Hausdurchsuchungen finden doch regelmäßig statt, was ist an dieser Aktion so besonders? Antwort: Ungewöhnlich ist einerseits, dass das Innenministerium bei Ermittlungsmaßnahmen rund um Vorwürfe im eigenen Haus mit der Polizeieinheit für Straßenkriminalität vorgeht – und dass man nicht beispielsweise Beamte des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung (BAK) damit beauftragt. Begründet wurde dies damit, dass man darauf achten wollte, Polizisten einzusetzen, die möglichst wenig mit den betreffenden Causen zu tun haben könnten. Erstaunlicher ist es, so betrachtet, dass nun, nachdem die Hausdurchsuchung für Wirbel gesorgt hat, erst recht das BAK Licht in die Sache bringen soll: Das Innenministerium hat BAK-Beamte mit Recherchen beauftragt. Heute, Dienstag, wird das Innenressort in einer Pressekonferenz Stellung nehmen.
Frage: Wie geht es nun an der Spitze des BVT weiter? Antwort: Das ist durchaus brisant. Wie der Falter in seiner am Dienstag erscheinenden Ausgabe berichtet, war die erneute Bestellung des derzeit auf Urlaub weilenden BVT-Chefs Peter Gridling bereits
am 19. Februar von Bundespräsident Alexander Van der Bellen unterzeichnet und danach ans Ministerium retourniert worden. Dies wurde dem STANDARD am Montag aus der Hofburg bestätigt. Im Innenministerium soll das Bestellungsdekret dann aber zurückgehalten worden sein. Am 28. Februar, also am Tag der Razzia, soll Goldgruber das Dekret in Händen gehalten und Gridling die Zustellung verweigert haben. Nun wird spekuliert, wer das BVT künftig leitet. Kolportiert wird Verfassungsschützer Udo Lett, derzeit Kickls Kabinett zugeteilt. Gridling selbst plant, nächste Woche aus dem Urlaub zurückzukehren.
Frage: Worum geht es eigentlich bei den Ermittlungen gegen hochrangige Beamte im Verfassungsschutz? Antwort: Laut Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die ja die Hausdurchsuchung angeordnet und die richterliche Bewilligung dafür eingeholt hat, geht es um den Vorwurf des Amtsmissbrauchs. Die beschuldigten Verfassungsschützer sollen sensible Daten rechtswidrigerweise nicht gelöscht haben. Die Daten betreffen unter anderem längst eingestellte Ermittlungen gegen den Wiener Anwalt Gabriel Lansky. Er hat dem STANDARD am Montag erklärt, dass er sich dem Ermittlungsverfahren gegen die BVT-Beamten als Privatbeteiligter angeschlossen hat. Ihm sei das Dossier, das die Ermittlungen ausgelöst hat, geschickt worden, er habe das der Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Lansky kritisiert die Konstruktion des BVT, die Vorfälle „zeigen, dass eine Behörde nicht gleichzeitig Geheimdienst und Ermittlungsbehörde sein kann. Das Trennungsprinzip, das in Deutschland gilt“, sei besser. Ein anderer Strang der Ermittlungen widmet sich der Weitergabe von drei nordkoreanischen Blanko-Reisepässen an Südkorea.
Frage: Und was hat das alles mit Rechtsextremismus zu tun? Bei der Razzia soll ja Datenmaterial der Leiterin des Extremismusreferats mitgenommen worden sein. Antwort: Was der Grund für die weitreichende Mitnahme von Dokumenten und Speichermedien war, ist noch unklar. Die Staatsanwaltschaft wollte die Kommunikation der als Zeugin geführten Referatsleiterin mit Beschuldigten untersuchen, heißt es. Das Extremismus-Referat des BVT befasst sich jedenfalls mit hochsensiblen Fällen, etwa Neonazis oder Islamismus. Dass der Leiter jener Straßenkriminalität-Einsatzgruppe, die die Razzia durchgeführt hat, ein FPÖ-Politiker ist, der auf Facebook unter anderem Postings der Reichsbürger-Szene geteilt hat, nährt Befürchtungen, die sensiblen Daten könnten in falsche Hände geraten. Offizielle Stellen beteuern, dass nur die Staatsanwältin Zugriff auf die Daten hat. Ein Betroffener, von dessen Causa Material mitgenommen wurde, hat sich bereits beschwert.
Frage: Wieso sollten die Daten auf diesemWegkopiertwerden, wennesauch einfacher geht? Das Innenministerium kann doch ohnehin auf die Extremismusdatei zugreifen, oder nicht? Antwort: Es ist richtig, dass Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) oder sein Generalsekretär Peter Goldgruber jederzeit auf das Informationssystem des BVT (Edis) zugreifen können. Jeder Zugriff auf Edis – und somit auch auf die Extremismusdatei – wird aber genau protokolliert. Bei einer Kopie der Daten beziehungsweise von Rohmaterial des ExtremismusReferats wäre ein unbegrenzter Zugriff auf die sensiblen Daten möglich, ohne dass im Nachhinein nachvollzogen werden kann, was, wann von wem abgerufen wurde. Wie schon erwähnt, gibt es aber keine Hinweise darauf, dass Daten illegal kopiert wurden.
Frage: Die Opposition verlangt rasche Aufklärung. Wird es einen Untersuchungsausschuss geben? Antwort: Das scheint ziemlich wahrscheinlich zu sein. Seit dem Jahr 2014 können Untersuchungsausschüsse als Minderheitenrecht beschlossen werden. Dafür ist ein Viertel der Abgeordneten nötig, das etwa schon die SPÖ allein stellen kann. Brisant dabei wäre die Rolle von Wolfgang Sobotka: Der frühere Innenminister wäre ein interessanter Zeuge in der Causa – zugleich würde er aber als nunmehriger Erster Nationalratspräsident den Ausschuss leiten. Zu erwarten ist, dass Sobotka in einem solchen Fall den Vorsitz ablehnt.
Frage: Einer der Beschuldigten will sich gegen die Razzia beschweren. Was, wenn er recht bekommt? Antwort: Das Oberlandesgericht Wien wird prüfen, ob die Hausdurchsuchung verhältnismäßig war oder ob auch „gelindere Mittel“wie Einvernahmen der Beschuldigten gereicht hätten. War eine Hausdurchsuchung rechtswidrig, muss Beschlagnahmtes grundsätzlich zurückgestellt werden. Nach rechtswidrig erfolgten Telefonüberwachungen müssen die Protokolle vernichtet werden. Andere Beweismittel, die „unzulässig gewonnen“wurden, müssen gemäß Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) nicht vernichtet werden, in der Hauptverhandlung wird entschieden, ob diese Beweise verwertet werden. Die Entscheidung kann der Betroffene bekämpfen.