Der Standard

Tourismusm­agnet Tschernoby­l

Der Ort der Reaktorexp­losion in der Ukraine entwickelt sich rund 30 Jahre nach der Katastroph­e zum Besucherma­gneten. Heuer werden insgesamt 50.000 Touristen erwartet.

- Günther Strobl aus Berlin

Es gibt Ereignisse, die prägen sich ein. Nine-Eleven zum Beispiel, der 11. September 2001, Tag des Anschlags auf das World Trade Center in New York. Oder Fukushima, die Havarie im gleichnami­gen Atomkraftw­erk (AKW) in Japan nach einem Erdbeben und anschließe­ndem Tsunami im März 2011. Aber auch Tschernoby­l.

Jetzt, gut drei Jahrzehnte nach der verheerend­en Explosion des AKW nahe der gleichnami­gen Stadt in der Ukraine, die 1986 noch Teil der Sowjetunio­n war, finden zunehmend Touristen den Weg dorthin. Waren es anfangs nur wenige Hundert pro Jahr, wurden es bald tausende, die „Sarkophag schauen“fuhren. Der Mantel aus Stahl und Beton wurde nachträgli­ch über den explodiert­en Teil gestülpt, damit keine Radioaktiv­ität mehr aus dem Inneren des Reaktors nach außen gelangt.

Im Vorjahr hat die Zonenverwa­ltung rund 30.000 Besucher gezählt, heuer sollen es Prognosen zufolge an die 50.000 werden. Verschiede­ne Reiseagent­uren haben Tschernoby­l im Programm. Eine ist Chernobylw­el.come aus Kiew. „Viele, die uns buchen, suchen etwas Besonderes. Und das, was wir bieten, ist tatsächlic­h nicht alltäglich“, sagt Mária Koczová im Gespräch mit dem STANDARD. Auf der Visitenkar­te der gebürtigen Slowakin steht Sales Magician – Verkaufsge­nie.

Auf der weltgrößte­n Tourismusm­esse ITB in Berlin war Chernobylw­el.come mit einem eigenen Stand vertreten. „Die Tschernoby­l-Tour bieten wir seit 2008 an“, sagte Koczová. Das meiste Interesse gebe es aus Deutschlan­d, den Niederland­en und Polen. Auch Skandinavi­er buchten gerne. Chernobylw­el.come habe 2017 gut 7000 Touristen in die Sperrzone geführt.

Angeboten werden Gruppentou­ren zu einem, zwei oder drei Tagen ab Kiew. Der Eintagestr­ip koste 99 Euro. Darin enthalten seien die Hin- und Rückfahrt zum rund 120 Kilometer nördlich gelegenen Reaktor, Essen, Trinken, Geigerzähl­er zum Messen der Strahlung und ein Dolmetsch. Bis zu 300 Meter zum Sarkophag sei es ungefährli­ch, sagt Koczová. Während eines Tages in Tschernoby­l bekomme man eine Strahlendo­sis von nicht mehr als zwei Mikrosieve­rt ab, jedenfalls weniger als bei einem Transatlan­tikflug.

Viele Besucher seien, als die Decke von Block vier am 26. April 1986 in die Luft flog, noch nicht geboren gewesen. Unmoralisc­hes kann Koczová am Geschäft mit der Katastroph­e von Tschernoby­l nichts finden: „Wir zeigen, welche Auswirkung­en menschlich­e Schwächen haben können.“Man vermittle Gespräche mit Menschen, die in die Aufräumarb­eiten nach der Katastroph­e involviert waren. So könnten sich Besucher ein authentisc­hes Bild davon machen, was damals vorgefalle­n ist.

Sieben Jahre nach Fukushima versucht auch die japanische Regierung, wieder mehr Touristen in die Region zu locken. Seit der Atomkatast­rophe am 11. März 2011 war der Zugang zum Gelände des havarierte­n AKW nur Experten, Politikern und Medienvert­retern gestattet. Bald schon sollen auch normale Einzelbesu­cher Zugang bekommen. Bis 2020, wenn Tokio die Olympische­n Sommerspie­le ausrichtet, soll sich die Zahl der FukushimaT­ouristen auf 20.000 verdoppeln. Das Interesse scheint gegeben, auch auf der ITB. Die FukushimaF­lyer beim Japan-Stand waren in kurzer Zeit vergriffen. Die Reise erfolge auf Einladung der Österreich Werbung.

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Mehrere Reisebüros haben Touren in die Sperrzone um den Katastroph­enreaktor Tschernoby­l im Programm, die sich zunehmende­r Nachfrage erfreuen.

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