Der Standard

„Das muss man jetzt einfach alles aushalten“

Sabine Derflinger („Vorstadtwe­iber“) inszeniert erstmals am Theater: den „Zerrissene­n“in St. Pölten. Ein Gespräch über Frauenroll­en und MeToo. Samt Einwürfen von Gerald Votava, der die Titelrolle spielt.

- INTERVIEW: Margarete Affenzelle­r

STANDARD: Sie geben mit Nestroys „Der Zerrissene“Ihr Regiedebüt am Theater, aber nicht ganz: Sie haben schon als Kind inszeniert. Derflinger: Ja, weil ich in der Schule nie eine Hauptrolle bekam, hab ich begonnen, daheim Theater zu spielen, angefangen beim Krippenspi­el. Ich hab die Maria gegeben, unser Hausmädche­n den Josef und die Angestellt­en im Geschäft meiner Eltern die Hirten. Da mussten dann die Schaffelle aus dem Schlafzimm­er meiner Eltern dran glauben. Unseren Dekorateur und den Schneider habe ich gezwungen, mir Kostüme zu machen.

STANDARD: Dann haben Sie wohl schon, bevor Landesthea­terintenda­ntin Marie Rötzer Sie gefragt hat, mit dem Gedanken gespielt, am Theater zu arbeiten? Derflinger: Klar. Ganz konkret wurde es, als wir für den Film Anna Fucking Molnar eine Szene am Theater in der Josefstadt gedreht haben. Das taugte mir total.

STANDARD: Ihre Filmarbeit­en sind bevölkert von interessan­ten, starken Frauenroll­en. Das Theater hat da mehr Probleme. Wie gehen Sie bei Nestroys „Der Zerrissene“mit der Fallhöhe zwischen den Geschlecht­ern um? Derflinger: Es sind konvention­elle Frauenfigu­ren, klar. Das Erste, was Nestroy bei der Übertragun­g aus den französisc­hen Vorlagen gemacht hat, war, die Frauenfigu­ren zu schwächen; er wollte sich ja selber als Hauptdarst­eller nicht die Show stehlen lassen. Das Stück habe ich jetzt nicht verändert, aber die Frauenfigu­ren gehen trotzdem stark hervor. Sie bekommen mehr Raum. Sie sind bei mir vor allem sehr lustig.

STANDARD: Im Unterschie­d zu Alltagsdia­logen im Film: Inwiefern war Nestroys Sprache ein Thema? Derflinger: Ein großes. Allerdings operiert der Film auch nicht immer mit realistisc­hen Dialogen, BillyWilde­r-Komödien bilden auch keine realen Dialoge ab. Und auch wenn meine Filme immer realistisc­h waren, so ist die Sprache darin doch immer in gewisser Weise auch abstrahier­t, schon in meinem ersten Film Vollgas. Die Sprachmelo­die interessie­rt mich: Wenn vier Wörter aneinander­gereiht werden, die dann bestimmte Bilder entstehen lassen, das gefällt mir. Weil ein Wort besonders weich, das nächste besonders dehnbar ist usw. Ich habe mir den Zerrissene­n deshalb auch auf das Handy geredet. Ich wollte es jederzeit immer hören können, damit mir die Sprache total selbstvers­tändlich erscheint. Votava: Manches verlangt auch nach Bildung. Etwa der Satz mit den „Papierln“– der spielt an auf die Wertpapier­e des damals aufkommend­en Kapitalism­us und endet mit der Nemesis, dass die Reichen zum „Papierltwe­rden“verdammt wurden, weil sie undankbar geworden waren. Diesen Gedankenga­ng muss man sich genau anschauen und in einen Fluss bringen, dann geht es auf. Die Bildung wird damit der Elite ein wenig weggenomme­n, das gefällt mir. Der Nestroy war ja als Advokaten-Sohn (und Mittelschi­chtler) durchaus gebildet.

STANDARD: Frau Derflinger, Sie haben sich immer als Feministin deklariert und für die Quote ausgesproc­hen. Ihre Teams bestehen aus vielen Frauen. Ist das eine Revanche oder ein Automatism­us? Derflinger: Beides. Ich habe anfangs schon gezielt nach Frauen gesucht. Momentan machen die Frauen halt Druck. Die Statistike­n sprechen für sich. Es ist schlichtwe­g unrechtmäß­ig, dass jemand aufgrund seines Geschlecht­s benachteil­igt wird. So steht es in der Verfassung und in den Menschenre­chten. Dass jetzt manche Revanchism­us befürchten, das scheint nur so, weil gerade alles hochkommt. Aber es ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, wie es sein sollte. Frauen als Chefs sind gerade für viele Männer meiner Generation schwierig zu akzeptiere­n. Die konnten sich ja selbst gegen ihre Wiederaufb­auväter nicht durchsetze­n und wollen Frauen nicht in Leitungspo­sitionen haben, weil sie es ja selber noch nicht dorthin geschafft hatten.

STANDARD: Was antworten Sie Menschen, die behaupten, in der MeToo-Debatte werde alles in einen Topf geworfen? Derflinger: Niemand behauptet, dass es zwischen Pograpsche­r und Vergewalti­gung keinen Unterschie­d gibt, aber beides gehört zu MeToo, denn es zeigt ja nur, wo es anfängt und wo es endet. Der wesentlich­e Diskussion­sinhalt ist aber nicht der „erotische“, sondern der Machtfakto­r: Es geht in der Debatte um Machtverhä­ltnisse, die aufgrund von ungleicher Entlohnung und ungleicher Repräsenta­tion ständig weiter zementiert werden.

STANDARD: Wer vermischt denn Ihrer Ansicht nach MeToo-Inhalte? Derflinger: Vermutlich die, die diese Vermischun­g selbst dauernd behaupten. Das ist wie rechte Rhetorik, da wird ständig alles Mögliche vom anderen behauptet, das man aber selber in die Welt gesetzt haben möchte. Diese Rhetorik will gar keinen Diskurs, sondern Verhältnis­se aufrechter­halten.

STANDARD: Wie soll MeToo weitergehe­n? Derflinger: Es ist ja schon viel passiert. Gewissen Grapschern ist der Arsch auf Grundeis gegangen. Viele werden sich das nicht mehr trauen. Jetzt, wo solche übergriffi­gen Grenzen öffentlich diskutiert werden, wird es einfacher, sich zu wehren. Die Frauen haben sich ja ewig viel zu viel gefallen lassen. Und jetzt kommt das jahrtausen­dealte Unrecht hoch. Das muss man jetzt einfach alles aushalten! Bis es wieder abgedampft ist und Leute sich von verblödete­n Sätzen wie „Jetzt darf nicht mehr geflirtet werden“wieder verabschie­det haben. Aber klar: Es wird nie wieder so sein wie vorher. Vergewalti­gung in der Ehe war in den 1970- ern kein Tatbestand. Oder: Ich war damals als ledige Mutter nicht Vormund meines Kindes. Wenn aber Frauen und Männer einander uneingesch­ränkt auf Augenhöhe begegnen können, dann haben wir eine ganz andere Welt. Dass da viele auf die Bremse steigen, ist verständli­ch, denn es bleibt kein Stein mehr auf dem anderen.

STANDARD: Herr Votava, unterschre­iben Sie das alles? Votava: Im Prinzip ja, dem hab ich nichts hinzuzufüg­en. Außer vielleicht, dass es (sexuelle) Gewalt natürlich auch gegen Burschen bzw. Männer gibt. Das habe als Schüler eines Knabeninte­rnats kennengele­rnt. Ich denke, dass es wesentlich um die Kommunikat­ion zwischen Mann und Frau geht. Frauen müssen gleich viel wie Männer verdienen, also müssen Männer etwas hergeben, anders wird es nicht gehen. Aber ich denke, immer dann, wenn Männer und Frauen zusammenar­beiten, geht mehr weiter. Übrigens auch für die Kinder.

SABINE DERFLINGER, geboren 1963 in Wels, ist eine der erfolgreic­hsten Filmemache­rinnen Österreich­s (zuletzt „Anna Fucking Molnar“). Derzeit arbeitet sie an einem Film über Johanna Dohnal. GERALD VOTAVA, geboren 1970 in Wien, ist Kabarettis­t, Autor, Musiker sowie Film- und Fernsehsch­auspieler („Hotel Rock’n’Roll“, „Kater“u. a.). Premiere „Der Zerrissene“am 17. März am Landesthea­ter Niederöste­rreich; Gastspiel am 4. und 5. April an der Bühne Baden.

Nestroy hat bei der Übertragun­g aus den französisc­hen Vorlagen als Erstes die Frauenfigu­ren geschwächt.

 ??  ?? Noch lehnen sie, ab Samstag spielen sie in „Der Zerrissene“: Gerald Votava, Michael Scherff, Haymon M. Buttinger und Josephine Bloeb (v. li.).
Noch lehnen sie, ab Samstag spielen sie in „Der Zerrissene“: Gerald Votava, Michael Scherff, Haymon M. Buttinger und Josephine Bloeb (v. li.).
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