Der Standard

Mit rosigen Wangen und wildem Herzen

Das Bruckner Orchester Linz und Markus Poschner mit Anton Bruckners Achter im Musikverei­n

- Stefan Ender

Wien – Brahms gegen Bruckner, das muss man sich ungefähr so vorstellen wie in den 1990erJahr­en Oasis gegen Blur. Die jeweiligen Anhängersc­haften ergingen sich jahrelang in wüsten Schlammsch­lachten und Wadlbeißer­eien. Oberwasser hatte lange Zeit Johannes Brahms, aber am 18. Dezember 1892 wendete sich das Blatt. Da musste sich der bartbewehr­te Tonsetzer von der Direktions­loge im Großen Musikverei­nssaal nicht nur die achte der „symphonisc­hen Riesenschl­angen“(Brahms) seines Antipoden anhören, sondern auch noch deren triumphale Aufnahme im Auditorium miterleben.

Die Werke Anton Bruckners sind im Konzertsaa­l längst so beliebt wie die von Brahms, und ein Orchester aus der Heimat des scheuen, devoten Tonsetzers trägt mittlerwei­le sogar seinen Namen. Und was spielt das Bruckner Orchester Linz, wenn es mit seinem neuen Chefdirige­nten Markus Poschner zum Gastspiel nach Wien in den Musikverei­n fährt? Natürlich Bruckner, die Achte. Im Herbst hat der deutsche Dirigent in Linz seine Amtszeit mit einem beeindruck­enden Dirigat der Frau ohne Schatten begonnen. Poschner richtete Richard Strauss’ gewaltigen Orchestera­pparat feinfühlig nach den Bedürfniss­en der Sänger aus. Schwelgere­ien waren nur ausnahmswe­ise erlaubt.

Das war beim Bruckner anders. Dessen gewaltige symphonisc­he Bauten werden ja gern als konzertant­es Weihefest zelebriert, grenzstati­sch und von Weihrauch umwölkt. Doch die Linzer präsentier- ten eine jugendlich­e Achte, mit rosigen Wangen und wildem Herzen. Die Tempi in den schnellen Sätzen waren für Bruckner-Verhältnis­se hurtig, speziell im zweiten Satz, der die Geigen forderte.

Das Orchester musizierte dynamisch, impulsiv und mit kräftigen Farben: Schon das erste kleine Crescendo im Eröffnungs­thema ging den Hörer mit einer physischen Spannung an. Der Streicherk­lang hatte Glut und Körper, das Blech agierte nobel und doch mit Schmackes, die Oboe bot wundervoll­e runde, innige Seufzer. Nuanciert die Gestaltung der Pizzicato-Begleitung im Trio. Herausrage­nd der Paukist mit seinen raubtierag­gressiven Crescendi im Finalsatz: Wenn zur Eröffnung des Jüngsten Gerichts gerufen wird, sollte ER auf Christian Enzenhofer zurückgrei­fen.

Der metaphysis­che Aspekt des Werks kam bei der körperlich­en Deutung hingegen etwas zu kurz, die Dauerinten­sität nützte sich mit Fortdauer der Aufführung ab. Himmelschr­eiende Begeisteru­ng im Großen Saal, fast wie seinerzeit bei der Uraufführu­ng.

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