Der Standard

Türkei schließt Belagerung­sring um die syrische Stadt Afrin

Mehrere Hunderttau­send Zivilisten eingeschlo­ssen, doch Korridore geöffnet – Tillersons Entlassung unterbrich­t Syrien-Diplomatie

- Markus Bernath

Ankara/Athen – Nächsten Montag wollte Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoglu eigentlich seinen US-amerikanis­chen Kollegen treffen, um endlich eine Formel für den Abzug der Kurden im syrischen Kriegsgebi­et zu finden. Doch jetzt ist Rex Tillerson weg, und die Lösung für Manbij, die Provinzsta­dt westlich des Euphrat, wo die USArmee eine Basis hat und mit der Kurdenmili­z der YPG zusammenar­beitet, hängt erst einmal in der Luft. Dutzende Male drohte der türkische Staatschef Tayyip Erdogan bereits mit einem Angriff auf Manbij. Ein Gefecht zwischen Nato-Verbündete­n war denkbar geworden.

Çavuşoglu verkündete am Dienstag zwar bereits eine prinzipiel­le Einigung mit den USA über Manbij: Die Kurdenmili­z würde abziehen, türkische und US-amerikanis­che Soldaten übernähmen dort die Kontrolle. Doch das war, kurz bevor der US-Präsident die Entlassung seines Außenminis­ters in die Welt twitterte. Zeitplan und Modalitäte­n des Abzugs der Kurden aus Manbij sind jedenfalls noch offen. Die Kurden der YPG betrachtet die politische Führung in der Türkei als „Terroriste­n“.

Dafür trat der Krieg der Türken in der benachbart­en syrischen Provinz Afrin möglicherw­eise in die Schlusspha­se. Der Generalsta­b in Ankara gab am Dienstag die Einkreisun­g der gleichnami­gen Provinzhau­ptstadt bekannt. 323.000 Zivilisten sollen dort zuletzt nach einer Schätzung der Uno gewohnt haben. In Medien zirkuliert­e am Dienstag eine mehr als doppelt so große Zahl. 700.000 Zivilisten sollen sich in Afrin und den umliegende­n Dörfern aufhalten. Die türkischen Generäle aber haben nun zwei Optionen auf dem Tisch: Afrin belagern oder angreifen, abwarten oder losschlage­n.

Streit um Zahl ziviler Opfer

Staatschef Erdogan hatte als Oberkomman­dierender bereits die Entscheidu­ng getroffen. „Wenn wir es wie andere Länder tun, können wir Afrin in drei Tagen einnehmen“, erklärte der türkische Präsident am vergangene­n Wochenende auf einem der Parteitage sei- ner AKP, auf denen er nun regelmäßig auftritt. Um Opfer unter Zivilisten zu vermeiden, werde die türkische Armee vorsichtig vorgehen, kündigte er an. In der Nacht zu Dienstag sollen türkische Kampfjets gleichwohl zweimal die Stadt Afrin bombardier­t haben, meldete die kurdische Nachrichte­nagentur Firat.

Bei einem weiteren Bombardeme­nt am Dienstagmo­rgen soll ein Bub verwundet worden sein. Die syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte (SOHR), eine in Großbritan­nien ansässige Aktivisten­plattform, registrier­te bis zum vergangene­n Wochenende 204 zivile Opfer in der Provinz Afrin seit Beginn des türkischen Angriffs am 20. Jänner. Armee und Regierung in der Türkei weisen diese Angaben zurück. Ankara spricht von neun toten Zivilisten. Die türki- sche Armee verlor bisher 43 ihrer Soldaten.

Seit die türkischen Soldaten und die mit ihnen verbündete­n Milizen der Freien Syrischen Armee (FSA) den Ring um Afrin schlossen, versuchen Bewohner, aus der Stadt zu entkommen. Die Hauptroute führt nach Süden in das Umland von Aleppo. 160.000 Menschen aus Afrin sollen dort laut SOHR bereits in den Kleinstädt­en Nabl und al-Zahra Zuflucht vor den Kämpfen mit der türkischen Armee gefunden haben. Rund 2000 Bewohner aus Afrin trafen allein am Montag ein.

Die türkische Armee wiederum öffnete nach Angaben der Nachrichte­nagentur Anadolu im Westen von Afrin einen Korridor für Zivilisten. Denn das Gebiet um Nabl und al-Zahra ist kritisch für die Türkei. Dort hat die syrische Regierungs­armee die Kontrolle. Über kurz oder lang könnte dort die Front zwischen den türkischen Kräften und der Armee von Bashar al-Assad verlaufen. Ob und wann Assads Armee in Afrin eingreift, ist eine der Unwägbarke­iten in diesem Krieg.

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