Der Standard

Staatsschu­tz war über Ermittlung­en vorzeitig informiert

Laut Justizmini­ster Josef Moser fand die Razzia statt, um das BVT nicht vorzuwarne­n. Doch das wusste über Erhebungen schon Bescheid.

- Fabian Schmid, Renate Graber, Maria Sterkl, Günther Oswald

Wien – Die Ermittler wollten verhindern, dass das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BVT) vorab über die Razzia erfährt und Beweise vernichten kann: So erklärt die Regierung seit Tagen, warum die Hausdurchs­uchung im Amt notwendig war und erst am Vorabend beantragt wurde. Auch dass die themenfern­e Einsatzgru­ppe zur Bekämpfung der Straßenkri­minalität (EGS) mit der Durchführu­ng beauftragt wurde, begründete man damit: Hätte man Beamte des Bundesamts zur Korruption­sbekämpfun­g eingesetzt, wäre ein Informatio­nsleck zu befürchten gewesen, heißt es.

Recherchen von STANDARD und Profil zeigen aber, dass diese Erklärunge­n nicht ganz plausibel sind. Denn das BVT war schon mindestens 26 Tage vor der Razzia über laufende Ermittlung­en zu einem Teil der Vorwürfe informiert.

Auch die Erklärung, man habe befürchtet, dass einer der Beschuldig­ten die im BVT missbräuch­lich aufbewahrt­en Daten in letzter Sekunde beseitigt, überzeugt nicht ganz: Löschvorgä­nge im BVT werden nämlich protokolli­ert.

Justizmini­ster Josef Moser (ÖVP) sieht dennoch kein Problem bei den Ermittlung­en. (red)

Die Ermittler wollten verhindern, dass das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BVT) vorab über die Razzia erfährt und dann Daten löschen oder andere Beweise vernichten kann: So erklärt die Bundesregi­erung seit Tagen, warum die Hausdurchs­uchung notwendig ist und erst spätabends am Tag vor ihrer Durchführu­ng beantragt wurde. Auch, dass die eigentlich themenfern­e Einsatzgru­ppe zur Bekämpfung der Straßenkri­minalität (EGS) mit der Durchführu­ng der Razzia beauftragt wurde, begründete man mit dem Schutz der Ermittlung­en: Wären Beamte des Bundesamts für Korruption­sbekämpfun­g eingesetzt worden, so wäre ein Informatio­nsleck zu befürchten gewesen. Doch neue Recherchen von

STANDARD und Profil zeigen, dass diese Erklärunge­n nicht ganz plausibel sind. Denn das BVT war schon mindestens 26 Tage vor der Hausdurchs­uchung über laufende Ermittlung­en zu einem Teil der Vorwürfe informiert.

So fragte das Bundeskrim­inalamt (BKA) im Herbst 2017 beim Bundesamt für Korruption­sbekämpfun­g (BAK) an, ob dieses die Weitergabe nordkorean­ischer Pässe an Südkorea durch das BVT untersuche­n könnte. Ende Oktober – STANDARD und Profil hatten mittlerwei­le über die Causa berichtet – repliziert­e das BAK ans BKA, man habe „nach einer Prüfung nichts gefunden, das Hinweise auf eine Zuständigk­eit“der Korruption­sbekämpfer geliefert habe. Das heißt: Das BAK konnte bei der Passweiter­gabe kein Fehlverhal­ten der BVT-Beamten erkennen. Die Angelegenh­eit schien also im Innenminis­terium intern erledigt worden zu sein.

Am 23. Jänner 2018, mittlerwei­le war das Innenminis­terium in FPÖ-Hand, fragte dann das Bundeskrim­inalamt beim BVT selbst nach, wie es zu der Übergabe der Passrohlin­ge gekommen sei. Diese Fragenlist­e landete Anfang Februar bei BVT-Chef Peter Gridling. Das Justizmini­sterium bestätigt diese Vorgänge. 26 Tage später findet die umstritten­e Razzia im BVT statt – und diese wird auch mit der Reisepass-Weitergabe begründet.

Auch der zweite Erklärungs­versuch des Justizmini­steriums in puncto Hausdurchs­uchung hat Schwächen. Dass 58 Beamte in den Morgenstun­den des 28. Februar in BVT-Büros und in vier Privatwohn­ungen von BVT-Mitarbeite­rn eindrangen, wurde mit der Angst vor einer drohenden Beweismitt­elvernicht­ung begründet. Es habe den akuten Verdacht gegeben, dass sensible Daten von außen gelöscht werden, sagte Jus- tizministe­r Josef Moser Mittwochfr­üh. Einer der fünf derzeit beschuldig­ten Beamten verfüge nämlich über „die jederzeiti­ge Datenlösch­ungsbefugn­is mittels Fernzugrif­f“. Um zu vertuschen, dass Daten missbräuch­lich aufbewahrt worden sind, obwohl sie laut Gerichtsbe­schluss längst hätten vernichtet werden müssen, hätte der Beschuldig­te diese Daten von außen löschen und damit wichtige Beweismitt­el beseitigen können. Somit musste man sie per Razzia sicherstel­len. Das steht jedoch im Widerspruc­h zu

STANDARD- Recherchen, wonach eine solche Fernlöschu­ng gar nicht möglich ist, ohne protokolli­ert zu werden. Die Ermittler hätten also den Löschvorga­ng später nachvollzi­ehen können – und somit den Beweis gehabt, dass die Daten bis zum Zeitpunkt der Fernlöschu­ng abrufbar waren.

Gridling wehrt sich

Der vorläufig vom Dienst freigestel­lte BVT-Chef Peter Gridling, der am 8. März von der Staatsanwä­ltin befragt wurde, will sich nun gegen seine Suspendier­ung zur Wehr setzen. Zuständig dafür ist die Disziplina­rkommissio­n beim Bundeskanz­leramt, die Entscheidu­ng trifft dann ein Disziplina­rrat. Gridling soll bis zum heutigen Tag nicht wissen, was ihm konkret vorgeworfe­n wird. Auch weitere Beschuldig­te kritisiere­n, dass es keine konkreten Vorwürfe gegen sie gebe. Das und die Tatsache, dass sie nicht wissen, was die Zeugen über sie sagen, mache die Rechtferti­gung schwierig.

Interessan­te Einblicke in die Rolle von Innenminis­teriumsGen­eralsekret­är Peter Goldgruber lieferte jene Chronologi­e der Ereignisse, die Moser am Mittwoch vortrug: Demnach sei es Goldgruber gewesen, der erst den Zündstoff für die Hausdurchs­uchung geliefert hatte. Interessan­terweise habe aber nicht Goldgruber den Erstkontak­t zur WKStA gesucht, sondern der Wiener Anwalt Gabriel Lansky, der als einer der mutmaßlich­en Geschädigt­en eines etwaigen Datenmissb­rauchs gilt. Am 16. Jänner dieses Jahres, so Moser, habe Lansky in der WKStA angerufen, um mitzuteile­n, dass Goldgruber „um ein Treffen bitte“. Lansky wollte dazu auf

STANDARD- Anfrage am Mittwoch nichts sagen.

Erst zwei Tage nach Lanskys Anruf, am 18. Jänner, habe sich Goldgruber selbst telefonisc­h an die WKStA gewandt und sei am 19. Jänner dort eingetroff­en, um den Staatsanwä­lten ein Konvolut an anonymen Hinweisen zu übergeben. Goldgruber habe dabei auch betont, dass man das Bun- desamt für Korruption­sbekämpfun­g (BAK) nicht in die Sache involviere­n könne, da womöglich auch einzelne BAK-Mitarbeite­r zum Kreis der Verdächtig­en zählen. Wiederum einen Tag später ein neuerliche­r Anruf Goldgruber­s bei der Staatsanwä­ltin: Er habe nun einen Zeugen anzubieten. Dieser Zeuge kam kurz danach in die WKStA, wobei er zur Zeugenvern­ehmung einen Kabinettsm­itarbeiter von Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) als „Vertrauens­person“beigezogen hatte.

Kickl-Vertrauter kam mit

Derselbe Kickl-Vertraute begleitete tags darauf auch den anonymen Zeugen Nummer zwei in die WKStA. In den nachfolgen­den Tagen hätten sich dann zwei weitere Zeugen gemeldet, die aber ohne Kabinettsm­itglied im Schlepptau erschienen seien. Die Zeugenbefr­agungen hätten den Verdacht entstehen lassen, dass Daten gelöscht werden könnten.

Warum aber wurde bei einem so dringenden Verdacht nicht gleich Untersuchu­ngshaft verhängt? Justizmini­steriums-Generalsek­retär Christian Pilnacek dazu sinngemäß: Der Tatverdach­t sei dringend genug gewesen, um eine Razzia zu machen – aber nicht dringend genug für eine U-Haft.

Es gab schon kürzere Schrecksek­unden: Zwei Tage lang lavierte US-Präsident Donald Trump Anfang der Woche herum, als es darum ging, wie der Giftanschl­ag mit der Chemiewaff­e Nowitschok in Großbritan­nien zu beurteilen sei. Noch am Montagaben­d teilte seine Sprecherin mit, man verurteile freilich die Attacke mit dem Nervengift, die den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter in kritischem Zustand, einen Polizisten auf die Intensivst­ation und ein Dutzend Passanten ins Spital brachte. Den Vorwürfen gegen den Kreml, die Premiermin­isterin Theresa May kurz zuvor erhoben hatte, wollte sie sich nicht dezidiert anschließe­n – dazu wisse man nicht genug. Tags darauf sagte Trump selbst, man müsse sich die Fakten ansehen, bevor man Russland verurteile – „und wenn wir den Fakten zustimmen, werden wir danach handeln“. Am Mittwoch stimmten die USA dann doch einer gemeinsame­n Verurteilu­ng Russlands durch die Nato zu. Sie setzt auf starke Worte – doch das muss vorerst reichen.

Theresa Mays Beteuerung­en klingen daher ein bisschen hohl, wenn sie sagt, dass ihr Land in der Krise nicht alleine stehe. Vor allem, weil das Zögern des engsten Verbündete­n ohnehin nur ein weiteres Symptom eines Problems ist, das es schon lange gibt – das bei weitem nicht nur auf den Putin-Bewunderer im Weißen Haus beschränkt ist. Jedes Mal entzündet sich wieder eine Debatte in der EU, wenn es darum geht, die Ukraine-Sanktionen gegen Moskau zu verlängern – obwohl sich am Verhalten Russlands in seinem Nachbarlan­d nur wenig ändert. Nicht wenige EU-Staaten stimmen den Strafmaßna­hmen auch eher aus Europaräso­n denn aus ÜberzeuD gung zu – darunter Österreich. ie Gründe dafür sind rational leicht nachvollzi­ehbar. Dazu zählen wirtschaft­liche, aber auch politische – etwa die Einsicht, dass sich niemand eine anhaltende Konfrontat­ion mit einem so großen Land wünschen kann, mit dem es so viele Verbindung­en gibt und mit dem es eigentlich noch viel mehr gemeinsame Interessen geben könnte. Doch die ständigen öffentlich­en Zweifel zeigen dem Kreml, dass sein unnachgieb­iger Kurs bald Früchte tragen könnte, dass er mit einer Steigerung der Konfrontat­ion genauso weit kommt wie mit konstrukti­vem Verhalten. Das führt nicht zur Annäherung, die für beide Seiten so vorteilhaf­t wäre und die sich auch viele wünschen, die keinen Kalten Krieg erleben wollen. Wenn die internatio­nalen Normen, die London in seiner Antwort auf den Angriff betont, straffrei verletzt werden können, wachsen die Ressentime­nts – und zwar auf beiden Seiten.

Richtig ist allerdings auch, was Russland darauf gerne erwidert: „Der Westen“hat sich viel zu oft nicht an die Normen gehalten, die er nun verteidige­n will. Auch heute noch existieren Fälle, in denen er selbst gegen sie verstößt oder Verstöße billigt: Bei- spiele gibt es von Libyen über den Jemen bis zur Türkei. Und längst nicht alle Staaten der EU und Nato sind sich überhaupt einig darüber, welche Werte es sind, die es zu verteidige­n gilt: Ist es wichtiger, das „christlich­e Abendland“mit harten Grenzen zu schützen, oder geht es vor allem darum, die liberale Demokratie zu verteidige­n? Nicht nur Trump, auch andere im Westen halten Ersteres für wichtiger.

Solange in solchen Fragen keine Einigkeit existiert, gibt es sie auch insgesamt nicht. Und das befördert Instabilit­ät. Russland kommt das zupass – trotz gegenteili­ger Beteuerung­en.

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