Staatsschutz war über Ermittlungen vorzeitig informiert
Laut Justizminister Josef Moser fand die Razzia statt, um das BVT nicht vorzuwarnen. Doch das wusste über Erhebungen schon Bescheid.
Wien – Die Ermittler wollten verhindern, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) vorab über die Razzia erfährt und Beweise vernichten kann: So erklärt die Regierung seit Tagen, warum die Hausdurchsuchung im Amt notwendig war und erst am Vorabend beantragt wurde. Auch dass die themenferne Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) mit der Durchführung beauftragt wurde, begründete man damit: Hätte man Beamte des Bundesamts zur Korruptionsbekämpfung eingesetzt, wäre ein Informationsleck zu befürchten gewesen, heißt es.
Recherchen von STANDARD und Profil zeigen aber, dass diese Erklärungen nicht ganz plausibel sind. Denn das BVT war schon mindestens 26 Tage vor der Razzia über laufende Ermittlungen zu einem Teil der Vorwürfe informiert.
Auch die Erklärung, man habe befürchtet, dass einer der Beschuldigten die im BVT missbräuchlich aufbewahrten Daten in letzter Sekunde beseitigt, überzeugt nicht ganz: Löschvorgänge im BVT werden nämlich protokolliert.
Justizminister Josef Moser (ÖVP) sieht dennoch kein Problem bei den Ermittlungen. (red)
Die Ermittler wollten verhindern, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) vorab über die Razzia erfährt und dann Daten löschen oder andere Beweise vernichten kann: So erklärt die Bundesregierung seit Tagen, warum die Hausdurchsuchung notwendig ist und erst spätabends am Tag vor ihrer Durchführung beantragt wurde. Auch, dass die eigentlich themenferne Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) mit der Durchführung der Razzia beauftragt wurde, begründete man mit dem Schutz der Ermittlungen: Wären Beamte des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung eingesetzt worden, so wäre ein Informationsleck zu befürchten gewesen. Doch neue Recherchen von
STANDARD und Profil zeigen, dass diese Erklärungen nicht ganz plausibel sind. Denn das BVT war schon mindestens 26 Tage vor der Hausdurchsuchung über laufende Ermittlungen zu einem Teil der Vorwürfe informiert.
So fragte das Bundeskriminalamt (BKA) im Herbst 2017 beim Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) an, ob dieses die Weitergabe nordkoreanischer Pässe an Südkorea durch das BVT untersuchen könnte. Ende Oktober – STANDARD und Profil hatten mittlerweile über die Causa berichtet – replizierte das BAK ans BKA, man habe „nach einer Prüfung nichts gefunden, das Hinweise auf eine Zuständigkeit“der Korruptionsbekämpfer geliefert habe. Das heißt: Das BAK konnte bei der Passweitergabe kein Fehlverhalten der BVT-Beamten erkennen. Die Angelegenheit schien also im Innenministerium intern erledigt worden zu sein.
Am 23. Jänner 2018, mittlerweile war das Innenministerium in FPÖ-Hand, fragte dann das Bundeskriminalamt beim BVT selbst nach, wie es zu der Übergabe der Passrohlinge gekommen sei. Diese Fragenliste landete Anfang Februar bei BVT-Chef Peter Gridling. Das Justizministerium bestätigt diese Vorgänge. 26 Tage später findet die umstrittene Razzia im BVT statt – und diese wird auch mit der Reisepass-Weitergabe begründet.
Auch der zweite Erklärungsversuch des Justizministeriums in puncto Hausdurchsuchung hat Schwächen. Dass 58 Beamte in den Morgenstunden des 28. Februar in BVT-Büros und in vier Privatwohnungen von BVT-Mitarbeitern eindrangen, wurde mit der Angst vor einer drohenden Beweismittelvernichtung begründet. Es habe den akuten Verdacht gegeben, dass sensible Daten von außen gelöscht werden, sagte Jus- tizminister Josef Moser Mittwochfrüh. Einer der fünf derzeit beschuldigten Beamten verfüge nämlich über „die jederzeitige Datenlöschungsbefugnis mittels Fernzugriff“. Um zu vertuschen, dass Daten missbräuchlich aufbewahrt worden sind, obwohl sie laut Gerichtsbeschluss längst hätten vernichtet werden müssen, hätte der Beschuldigte diese Daten von außen löschen und damit wichtige Beweismittel beseitigen können. Somit musste man sie per Razzia sicherstellen. Das steht jedoch im Widerspruch zu
STANDARD- Recherchen, wonach eine solche Fernlöschung gar nicht möglich ist, ohne protokolliert zu werden. Die Ermittler hätten also den Löschvorgang später nachvollziehen können – und somit den Beweis gehabt, dass die Daten bis zum Zeitpunkt der Fernlöschung abrufbar waren.
Gridling wehrt sich
Der vorläufig vom Dienst freigestellte BVT-Chef Peter Gridling, der am 8. März von der Staatsanwältin befragt wurde, will sich nun gegen seine Suspendierung zur Wehr setzen. Zuständig dafür ist die Disziplinarkommission beim Bundeskanzleramt, die Entscheidung trifft dann ein Disziplinarrat. Gridling soll bis zum heutigen Tag nicht wissen, was ihm konkret vorgeworfen wird. Auch weitere Beschuldigte kritisieren, dass es keine konkreten Vorwürfe gegen sie gebe. Das und die Tatsache, dass sie nicht wissen, was die Zeugen über sie sagen, mache die Rechtfertigung schwierig.
Interessante Einblicke in die Rolle von InnenministeriumsGeneralsekretär Peter Goldgruber lieferte jene Chronologie der Ereignisse, die Moser am Mittwoch vortrug: Demnach sei es Goldgruber gewesen, der erst den Zündstoff für die Hausdurchsuchung geliefert hatte. Interessanterweise habe aber nicht Goldgruber den Erstkontakt zur WKStA gesucht, sondern der Wiener Anwalt Gabriel Lansky, der als einer der mutmaßlichen Geschädigten eines etwaigen Datenmissbrauchs gilt. Am 16. Jänner dieses Jahres, so Moser, habe Lansky in der WKStA angerufen, um mitzuteilen, dass Goldgruber „um ein Treffen bitte“. Lansky wollte dazu auf
STANDARD- Anfrage am Mittwoch nichts sagen.
Erst zwei Tage nach Lanskys Anruf, am 18. Jänner, habe sich Goldgruber selbst telefonisch an die WKStA gewandt und sei am 19. Jänner dort eingetroffen, um den Staatsanwälten ein Konvolut an anonymen Hinweisen zu übergeben. Goldgruber habe dabei auch betont, dass man das Bun- desamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) nicht in die Sache involvieren könne, da womöglich auch einzelne BAK-Mitarbeiter zum Kreis der Verdächtigen zählen. Wiederum einen Tag später ein neuerlicher Anruf Goldgrubers bei der Staatsanwältin: Er habe nun einen Zeugen anzubieten. Dieser Zeuge kam kurz danach in die WKStA, wobei er zur Zeugenvernehmung einen Kabinettsmitarbeiter von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) als „Vertrauensperson“beigezogen hatte.
Kickl-Vertrauter kam mit
Derselbe Kickl-Vertraute begleitete tags darauf auch den anonymen Zeugen Nummer zwei in die WKStA. In den nachfolgenden Tagen hätten sich dann zwei weitere Zeugen gemeldet, die aber ohne Kabinettsmitglied im Schlepptau erschienen seien. Die Zeugenbefragungen hätten den Verdacht entstehen lassen, dass Daten gelöscht werden könnten.
Warum aber wurde bei einem so dringenden Verdacht nicht gleich Untersuchungshaft verhängt? Justizministeriums-Generalsekretär Christian Pilnacek dazu sinngemäß: Der Tatverdacht sei dringend genug gewesen, um eine Razzia zu machen – aber nicht dringend genug für eine U-Haft.
Es gab schon kürzere Schrecksekunden: Zwei Tage lang lavierte US-Präsident Donald Trump Anfang der Woche herum, als es darum ging, wie der Giftanschlag mit der Chemiewaffe Nowitschok in Großbritannien zu beurteilen sei. Noch am Montagabend teilte seine Sprecherin mit, man verurteile freilich die Attacke mit dem Nervengift, die den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter in kritischem Zustand, einen Polizisten auf die Intensivstation und ein Dutzend Passanten ins Spital brachte. Den Vorwürfen gegen den Kreml, die Premierministerin Theresa May kurz zuvor erhoben hatte, wollte sie sich nicht dezidiert anschließen – dazu wisse man nicht genug. Tags darauf sagte Trump selbst, man müsse sich die Fakten ansehen, bevor man Russland verurteile – „und wenn wir den Fakten zustimmen, werden wir danach handeln“. Am Mittwoch stimmten die USA dann doch einer gemeinsamen Verurteilung Russlands durch die Nato zu. Sie setzt auf starke Worte – doch das muss vorerst reichen.
Theresa Mays Beteuerungen klingen daher ein bisschen hohl, wenn sie sagt, dass ihr Land in der Krise nicht alleine stehe. Vor allem, weil das Zögern des engsten Verbündeten ohnehin nur ein weiteres Symptom eines Problems ist, das es schon lange gibt – das bei weitem nicht nur auf den Putin-Bewunderer im Weißen Haus beschränkt ist. Jedes Mal entzündet sich wieder eine Debatte in der EU, wenn es darum geht, die Ukraine-Sanktionen gegen Moskau zu verlängern – obwohl sich am Verhalten Russlands in seinem Nachbarland nur wenig ändert. Nicht wenige EU-Staaten stimmen den Strafmaßnahmen auch eher aus Europaräson denn aus ÜberzeuD gung zu – darunter Österreich. ie Gründe dafür sind rational leicht nachvollziehbar. Dazu zählen wirtschaftliche, aber auch politische – etwa die Einsicht, dass sich niemand eine anhaltende Konfrontation mit einem so großen Land wünschen kann, mit dem es so viele Verbindungen gibt und mit dem es eigentlich noch viel mehr gemeinsame Interessen geben könnte. Doch die ständigen öffentlichen Zweifel zeigen dem Kreml, dass sein unnachgiebiger Kurs bald Früchte tragen könnte, dass er mit einer Steigerung der Konfrontation genauso weit kommt wie mit konstruktivem Verhalten. Das führt nicht zur Annäherung, die für beide Seiten so vorteilhaft wäre und die sich auch viele wünschen, die keinen Kalten Krieg erleben wollen. Wenn die internationalen Normen, die London in seiner Antwort auf den Angriff betont, straffrei verletzt werden können, wachsen die Ressentiments – und zwar auf beiden Seiten.
Richtig ist allerdings auch, was Russland darauf gerne erwidert: „Der Westen“hat sich viel zu oft nicht an die Normen gehalten, die er nun verteidigen will. Auch heute noch existieren Fälle, in denen er selbst gegen sie verstößt oder Verstöße billigt: Bei- spiele gibt es von Libyen über den Jemen bis zur Türkei. Und längst nicht alle Staaten der EU und Nato sind sich überhaupt einig darüber, welche Werte es sind, die es zu verteidigen gilt: Ist es wichtiger, das „christliche Abendland“mit harten Grenzen zu schützen, oder geht es vor allem darum, die liberale Demokratie zu verteidigen? Nicht nur Trump, auch andere im Westen halten Ersteres für wichtiger.
Solange in solchen Fragen keine Einigkeit existiert, gibt es sie auch insgesamt nicht. Und das befördert Instabilität. Russland kommt das zupass – trotz gegenteiliger Beteuerungen.